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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 01 2011

von konkret

   Informationsvorsprung (1)

KONKRET, wegen seiner antideutschen Tendenz vom Verfassungsschutz dem "undogmatischen Linksradikalismus" zugerechnet, erfährt unerwarteten Zuspruch. Günter Verheugen, ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Kommission, antwortete als Nachbar des Euro-Gegners Joachim Starbatty im ZDF auf die brunzdumme Frage der Moderatorin Maybrit Illner, warum der Luxemburger Jean-Claude Juncker unsere Kanzlerin beleidigt habe:

Die Deutschen sehen nicht, wie die deutsche Politik in diesem Augenblick bei allen unseren Partnern in Europa ankommt. Die deutsche Politik wird bei unseren Partnern als eigensüchtig, selbstsüchtig geradezu, betrachtet, und unsere Partner vermissen an Deutschland, daß wir ein Stück der Solidarität zurückgeben, die wir über Jahrzehnte von ihnen erfahren haben. Wir sollten bitte nicht vergessen: Dieses ganze Projekt Europäische Einheit ist wegen Deutschland notwendig geworden. Es geht immer dabei (darum), Deutschland einzubinden, damit es nicht zur Gefahr wird für andere. Das dürfen wir in diesem Land nicht vergessen. Wenn irgend jemand glaubt, wenn Sie, Herr Starbatty, glauben, daß das 65 Jahre nach Kriegsende keine Rolle mehr spielt, dann sind Sie vollkommen schief gewickelt. Ich kann Ihnen nach zehn Jahren Brüssel sagen: Das spielt jeden Tag, jeden Tag noch eine Rolle, und die Art, wie Deutschland in Europa auftritt, wird anders beurteilt als die Art und Weise, wie Luxemburg in Europa auftritt, und das aus guten Gründen.

So nah ist Verheugen KONKRET nur einmal gekommen: 1980, physisch, im Interview, als Generalsekretär der FDP. Ausschnitt:

KONKRET: Wir kennen einige Reisende, die noch in der Schlußphase des Regimes dort gewesen sind und dem Schah kräftig die Hand gehalten haben. Das waren nicht Jimmy Carter und Alfred Dregger, das war auch Graf Lambsdorff, dessen Lobreden auf den Schah wir noch sehr gut im Ohr haben.

Verheugen: Das war doch notwendig angesichts des ungeheuren Investitionsvolumens der deutschen Wirtschaft im Iran.

KONKRET: Das ist exakt der Beleg für den Vorwurf: Neokolonialismus.

Verheugen: Im Gegenteil. Die meisten Länder der Dritten Welt empfinden Auslandsinvestitionen als eine hochwillkommene Hilfe.

KONKRET: Auch wenn die Investoren zur Sicherung ihres investierten Kapitals und dessen möglichst profitabler Nutzung die jeweils herrschende Clique korrumpieren und auf Gedeih und Verderb unterstützen?

Verheugen: Sie werden von dem deutschen Investor ja schlecht verlangen können, daß er auf den Schutz seines Eigentums verzichtet. Aber davon abgesehen: Es liegt überhaupt nicht in unserem langfristigen Interesse, gemeinsame Sache mit den korrupten Diktaturen in der Dritten Welt zu machen. Die werden nämlich nicht ewig halten, zum Glück.

Das Glück, das ihre Ersetzung bedeutete, war im Fall des Schahs kein ungeteiltes, auch wenn Außenminister Kinkel den "kritischen Dialog" erfand, der den Spendern seiner FDP die Aufrüstung des Regimes ermöglichte. Aber da war Verheugen schon bei der SPD.

   Informationsvorsprung (2)

KONKRET-Leser wissen noch mehr. Am 15. Dezember 2010 meldet die Deutsche Welle:

Der heutige Ministerpräsident des Kosovo, Hashim Thaci, soll einem Bericht des Europarats zufolge Ende der 90er Jahre Boß einer Mafia-ähnlichen Organisation gewesen sein. Thaci - damals Chef der kosovarischen Befreiungsarmee UCK - sei unter anderem in Organhandel, Auftragsmorde und andere Verbrechen verwickelt gewesen. Die Organe seien vor allem serbischen Gefangenen während des Kosovokrieges entnommen worden, heißt es in dem Bericht weiter. Westliche Länder hätten von den Verbrechen gewußt, diese aber ignoriert.

Als die deutschen Medien noch den Kanzler Schröder und seinen Minister Fischer für ihren Krieg zur Befreiung des Kosovo feierten, schrieb Gremliza in KONKRET 11/99 schon die Geschichte nach der Geschichte:

Der UCK-Chef Thaci, beispielsweise, der ein Bandit ist, verhält sich zu seinen Bonner und Washingtoner Förderern wie der Türsteher zum Bordellchef. Wird er lästig, werden sie mit ihm verfahren wie mit ihrem Agenten Noriega oder mit ihrem Augusto Pinochet.

KONKRET-Leser können sagen, sie sind dabeigewesen.

   Veranstaltungen

Osnabrück, 13.1., 19.30 Uhr, Universität, Raum 11/211: "Die Bombardierung Dresdens und der Umgang mit der Vergangenheit", Vortrag von Gunnar Schubert (Autor des konkret-texte-Bandes 42: Die kollektive Unschuld). - Köln, 26.1., 19 Uhr, Fachhochschule Köln, Claudiusstr. 1, Mevissensaal: "Feindbild Israel - der ewige Sündenbock", Vortrag von Alex Feuerherdt und Tilman Tarach. - Güstrow, 27.1., 19 Uhr, Uwe-Johnson-Bibliothek: Jens Hoffmann liest aus seinem Buch "Aber wenn ich werd' schreien, wird besser sein?" Die Lebensgeschichte der lettischen Jüdin Ruth Fridlendere (konkret texte 52).

Wenzel Storch zeigt und kommentiert eigene Filme: vom 6. bis 8.1. im Metropolis-Kino in Hamburg im Rahmen einer Werkschau, jeweils 21.15 Uhr, und am 21.1. (20 Uhr) und 22.1. (16 Uhr) im Filmhaus Stuttgart; Storch liest eigene Texte zu Schmuddelbildern am 11.1. in Frankfurt, Club Voltaire, 20.30 Uhr (als Stargast bei der "Titanic"-Peak-Preview), und am 24.1. in Darmstadt, Gute Stube (Hoff-Art-Theater), 20 Uhr.

   Memento

Noch immer steht im Internet der Schlagabtausch mit Karl Held auf dem KONKRET-Kongreß 1993 herum, ohne Anmerkung, versteht sich, daß er in den zwei dem Streit folgenden Jahren immer wieder in KONKRET zu Wort gekommen ist, bis auch in seinem Fall die Haltung zu Israel den endgültigen Bruch erzwang. Am 11. Oktober 2010 ist Karl Held, Kopf der Marxistischen Gruppe und ihres Zentralorgans "Gegenstandpunkt", im Alter von 66 Jahren gestorben. Als Memento eine Passage des Streitgesprächs mit Gregor Gysi, das Held 1994 im Bochumer Café Konkret führte:

Von Öffentlichkeit kann man durchaus ausgegrenzt sein. Die kann man haben oder nicht. Die kann einem zur Verfügung gestellt oder auch entzogen werden. Öffentlichkeit ist doch nicht etwas, wo einer auf meine Argumente hört, darauf, was ich so an Überlegungen habe. Öffentlichkeit ist etwas Organisiertes, ist etwas mit Hetze und Vorbereitung. Sie (G. Gysi) meinen wohl, man muß nur ein Schlagwort zu seinen Gunsten unter die Leute bringen, und dann halten die schon irgendwie zu einem. Eine absurde Vorstellung.

Was immer ihm nachgerufen wird: Ein Held der westlichen Welt war er nicht.

   Trauer um Peter O. Chotjewitz

Peter O. Chotjewitz ist am 15. Dezember im Alter von 76 Jahren gestorben. Vor kurzem hatte er sich von der Redaktion noch ein Buch zur Rezension gewünscht: Sabine Peters' Roman über seinen Schriftstellerkollegen Christian Geissler, mit dem der ehemalige Rechtsanwalt Chotjewitz das politische Engagement, insbesondere für die Gefangenen der RAF, teilte und der 2008 ebenfalls an Krebs gestorben war. Da er die Buchbesprechung nicht mehr schreiben konnte, bat Chotjewitz am 1. Dezember KONKRET-Redakteurin Marit Hofmann, ihn spontan zu seiner Lektüre zu interviewen. Das kurze Gespräch, in dem auch die Themen Krebs und Tod zur Sprache kamen, ist auf Seite 64 in der Printausgabe und unter diesem Link nachzulesen. Bis zuletzt war er bemüht, seine Gesprächspartnerin aufzumuntern.

Peter O. Chotjewitz, dessen Arbeit als Schriftsteller wie als Essayist den Horizont der deutschen Linken weit überstieg, war bereits in den ersten KONKRET-Ausgaben als Autor vertreten. Er ist dem Blatt seither treu geblieben. Die Redaktion wird seinen Witz und seine Wärme vermissen.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36