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36 Jahre Konkret CD

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Heft 11 2007

von konkret

   Aus der Werbebranche

Eine alternative Hand wäscht die andere. Michael Sontheimer, ursprünglich "Michi vonne Taz" und darum wie all die andern spontan Linksradikalen heute ein besonders nützliches Glied der Gesellschaft, bewirbt in "Spiegel Online" eine Werbeschrift, die der Verlag Kiepenheuer und Witsch sich zum 65. Geburtstag seines Autors Wallraff, der nicht schreiben kann, von Sontheimers altem "Taz"-Kumpel J. Gottschlich hat schreiben lassen. Sontheimer, der - nach Ansicht eines seiner Chefs - "das Pulver auch nicht erfunden hat", dichtet Kiepenheuer/Wallraff/ Gottschlichs Text so nach:

"'Ganz unten' wurde ein Welterfolg, in über 30 Sprachen übersetzt, mehr als 4,6 Millionen Mal verkauft. Das schuf Neid, bei der Linken und auch bei denen, die mit ihm und für ihn gearbeitet hatten. Schließlich schlug Herrmann Gremliza, Chefideologe der KONKRET, zu und erklärte, Wallraff habe die meisten seiner Bücher nicht selbst geschrieben. Er, nicht Wallraff, habe weite Teile von dessen 'Bild'-Buch aus Tonbändern zusammengeschrieben. Es folgten bittere Auseinandersetzungen. Wallraff wehrte sich verzweifelt und letztlich erfolgreich gegen den versuchten Rufmord.

Wie bei Werbetexten üblich, ist nichts davon wahr. Weder heißt Gremliza "Herrmann" noch hat er behauptet, Wallraff habe die meisten seiner Bücher nicht selber geschrieben, sondern alle. Auch hat er nicht "weite Teile" von Wallraffs "Bild"-Buch "aus Tonbändern zusammengeschrieben", sondern bloß das ganze, inklusive Vorwort und Nachwort des Verlegers Neven DuMont (dem, als er in der "Taz" log, er habe sein Nachwort selber verfaßt, Gremliza diese Behauptung verbieten ließ). Zu gerne hätte man von Kiepenheuer/Wallraff/Gottschlich/Sontheimer erfahren, womit sich der Autor letztlich erfolgreich gegen den versuchten Rufmord gewehrt hat: Indem er seit Bekanntmachung seiner Unfähigkeit zu schreiben anno 1987 zwanzig Jahre lang kein Buch geschrieben hat?

   Ein Briefwechsel:

Montag, 23. Juli 2007 12:14

Betreff: Anfrage tagesschau.de:

Die Linke und die RAF

"Sehr geehrter Herr Gremliza,

für tagesschau.de plane ich zum 30. Juli 2007 einen Artikel über den Umgang der Linken (oder was sich so links nennt) mit der Geschichte der RAF. Besonders möchte ich mich der Frage widmen, wie sich linke Gruppen zu dem Antisemitismus in der RAF positionierten und heute positionieren. Gerne würde ich Sie zu diesem Thema in dieser Woche interviewen - entweder telefonisch oder persönlich.

Mit freundlichen Grüßen

Patrick Gensing"

Sehr geehrter Herr Gensing,

telefonisch kommt nie was Gescheites raus und persönlich komm ich nicht dazu - aber wenn Sie mir Ihre Fragen schriftlich stellen, bekommen Sie postwendend Antwort. Ist das was?

Mit freundlichen Grüßen

Gremliza

"Sehr geehrter Herr Gremliza,

anbei die angekündigten Fragen. Wir werden allerdings nicht das komplette Interview veröffentlichen, sondern ich werde einen Text daraus verfassen. Wenn Sie aus Zeitgründen nicht zu allem etwas schreiben wollen, verstehe ich das natürlich. Die Fragen sind ja recht 'offen' gehalten.

Vielen Dank für Ihre Mühen und freundliche Grüße

Patrick Gensing

Hier die Fragen und die Antworten:

"Welche Rolle spielt die RAF in der heutigen Linken noch?"

Was ist "die heutige Linke"? Die alte, traditionalistische (linke SPD, DKP, Gewerkschafter), die sich heute in der Linkspartei zusammenfindet, war damals entschieden gegen die "Chaoten" von der RAF. Sie hat mit diesen Leuten auch heute nichts zu tun. Mit einigen sehr persönlich geprägten Ausnahmen, wie etwa dem KONKRET-Autor Georg Fülberth (DKP), der ein paarmal Christian Klar in der Haft besucht hat, bis der ihn wegen unwillkommener Ratschläge ausgeladen hat. Die "Neue Linke", die Achtundsechziger, die Autonomen, Spontis und Maoisten, damals allesamt Sympathisanten der RAF, sind heute Außenminister a.D., Berater der Bundesregierung, Redakteure bei Springer oder sitzen im Feuilleton der "FAZ" und wissen von ihrer einstigen Sympathie absolut nichts mehr. Die RAF ist für sie eine Art Struwwelpeter, an dem sie lehrt, was aus Leuten wird, die sich nicht anpassen wollen.

"Inwieweit gibt es noch Solidarität in der Linken mit den Gefangenen der RAF?"

Abgesehen von Verwandten und einzelnen Freunden können die Gefangenen mit keinerlei Solidarität rechnen, allenfalls auf Interventionen einiger eher liberaler Menschen- und Bürgerrechtler bezüglich Haftdauer und Haftbedingungen.

"Können etablierte Linke das Symbol RAF heute benutzen, um noch einmal und ganz endgültig ihren Frieden mit der Staatsmacht zu schließen?"

Ja, und sie tun es weidlich. (Wenn "etablierte Linke" Linke sein können. Ich halte den etablierten Linken für eine contradictio in adiecto.)

"Durch ihre Zusammenarbeit mit terroristischen palästinensischen Gruppierungen hat die RAF eine Front gegen die Überlebenden der deutschen Vernichtungspolitik gebildet. Inwieweit hat die Linke dieses Kapitel aufgearbeitet? Wie gehen linke Gruppen mit diesem Erbe um?"

Shakespeare hat die Not, die seltsame Schlafgenossen schafft, sprichwörtlich gemacht, Maos Wort von den Feinden meiner Feinde, die meine Freunde sind, ist - wie alle Weisheiten der Mao-Bibel - ja auch nur ein Plagiat. Der Gedanke läßt verstehen, warum die RAF sich mit palästinensischen Terroristen eingelassen und sogar Ulrike Meinhof den Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft zu rechtfertigen versucht hat. Schändlich war es trotzdem. Putzig aber ist, wenn Leute, deren modisches Kennzeichen jahrzehntelang (auch zu den Zeiten blutigster Anschläge) das Palästinensertuch war, heute mit langen Denunziantenfingern auf die paar Überlebenden der RAF zeigen. Die RAF war nicht antisemitischer als die Deutschen insgesamt es waren und sind, nur daß bei der RAF dieses Ressentiment - wie vieles andere, was sonst seinen Weg aus den Köpfen und den Mördergruben nur in die Leserbriefe findet - praktisch wurde. Was, übrigens, tat die Ministerin Wieczorek, als sie die Zusammenarbeit ihrer Regierung mit der von der Hamas geführten Palästinenserbehörde verlangte? Hat sie da nicht auch "eine Front gegen die Überlebenden der deutschen Vernichtungspolitik gebildet"?

"Inwieweit hat sich die Linke mit der Gewalt und anti-emanzipatorischen Zielen der RAF auseinandergesetzt?"

Wenn Auseinandersetzung heißt, das staatliche Monopol auf Gewalt vorbehaltlos anzuerkennen, verdienen die Alten der Neuen Linken dafür eine Eins mit Sternchen. (Die Traditionslinke war sowieso stets nur so revolutionär, wie es die Polizei erlaubt.) Was aber meinen Sie mit "anti-emanzipatorischen Zielen der RAF"?

"Sehr geehrter Herr Gremliza,

wir planen, den Artikel am 05. September auf tagesschau.de zu veröffentlichen. Könnten Sie uns noch ein Foto von Ihnen zusenden?

Besten Dank und schöne Grüße

Patrick Gensing"

Lieber Herr Gensing,

den Artikel habe ich auf tagesschau.de nicht gefunden. Warum?

Ihr Gremliza

"Lieber Herr Gremliza,

dieser Artikel hat mir leider weitere graue Haare eingebracht. Mein Beitrag hat in der Redaktion leichte Unruhe ausgelöst; ich muß den Artikel noch einmal bearbeiten. Wir haben uns nach längerer Diskussion auf einen Weg geeinigt. Das Ganze soll jetzt passend zu der Ermordung Schleyers im Oktober auf die Seite gehoben werden. Es hat viele Vorteile, über eine Marke wie die Tagesschau eigene Artikel verbreiten zu können - nur der Weg dorthin ist bisweilen recht beschwerlich. Entschuldigen Sie bitte, daß ich versäumt habe, dies Ihnen mitzuteilen. Auf jeden Fall bleiben Ihre Einschätzungen (RAF als Struwwelpeter) dem Beitrag erhalten, das steht fest.

Nochmals vielen Dank für Ihre Mühen,

freundliche Grüße, Patrick Gensing"

Bis zum Redaktionsschluß dieser Ausgabe war der Beitrag auf tagesschau.de nicht zu finden.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36