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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 05 2007

von konkret

   Lohnabhängigkeit und ihre Folgen: Ein Exempel

Die Winterreise, die an dieser Stelle im Vormonat ihren Anfang genommen hatte, fand im Frühling Fortsetzung und Ende. Zur Erinnerung: Das Wissensmagazin der "Zeit" hatte dem Herausgeber von KONKRET die Frage gestellt: "Wie könnte ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts aussehen, der der turbokapitalistischen Destruktivität und ihrer Auswirkung auf die Umwelt entgegensteuert?" Und Gremliza hatte geantwortet:

"Den Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der der turbokapitalistischen Destruktivität und ihrer Auswirkung auf die Umwelt entgegensteuert, gibt es schon. Er sieht aus wie Kurt Beck und tut, was er soll: Er steuert den Rentnern auf dem Weg in die Armut ein paar Almosen entgegen - in einem Volksgeländewagen mit 600 PS. Ein Sozialismus jedoch, der die Herrschaft des Kapitals aufhöbe und die Natur aus dessen Verwertungszwängen befreite, ist mehr als die Bourgeoisie und ihre Polizei erlauben. Unwidersprochen von seinen Kollegen hat ein Justizminister (Goll, FDP) dieser Tage erklärt, daß 'heftige Kapitalismus-Kritik' ein Vergehen ist, das mit der Verschärfung des Strafvollzugs geahndet werden muß".

Die zuständige Redakteurin des Wissensmagazins war begeistert:

"Sehr geehrter Herr Gremliza, vielen Dank!! Sehr schön, sehr pointiert, sehr amüsant - trotz des ernsten Themas.

Herzliche Grüße, Sigrid Neudecker"

Doch der Wind spielt mit der Wetterfahne/ Auf meines schönen Liebchens Haus, und tags darauf schlug es vor, den ersten Satz zu kürzen, einige Tage später hatte es, unter der "Betreff"-Zeile "ich habe ein problem", ein Problem: Der Justitiar der "Zeit" sei dagegen, den letzten Satz abzudrucken. Anstatt aber auf ein Statement von drei Sätzen, dessen ersten Satz es am liebsten zu zwei Dritteln gekürzt und dessen dritten Satz sie gern gestrichen hätte, zu verzichten, meldete das schöne Liebchen ein Zeit-Problem:

"Sehr geehrter Herr Gremliza, ich brauche leider bis heute 15 Uhr Ihre Entscheidung, was wir mit Ihrer Antwort machen sollen. Da ich nicht darauf verzichten möchte, würde ich also den letzten Satz kürzen und gehe, sollte ich bis 15 Uhr keine gegenteilige Nachricht von Ihnen bekommen habe, davon aus, daß dies auch in Ihrem Sinne ist. Vielen Dank und trotz allem herzliche Grüße.

Sigrid Neudecker"

Er hätt' es eher bemerken sollen,/ Des Hauses aufgestecktes Schild,/ So hätt' er nimmer suchen wollen/ Im Haus ein treues Frauenbild:

"Sehr geehrte Frau Neudecker, Sie irren schon wieder. Sie haben kein Problem (und hätten es, wenn Sie das Begleitschreiben zu meiner Antwort ernst genommen hätten, nie gehabt) ...

Ihr Gremliza"

Der Wind spielt drinnen mit den Herzen/ Wie auf dem Dach, nur nicht so laut:

"Sehr geehrter Herr Gremliza, wie schön, daß wir einander im Wechsel so nachhaltig verwirren können ... Jetzt müssen Sie mir leider noch das Begleitschreiben zu Ihrer Antwort erläutern. So genau ich dieses auch lese, ich erkenne dort keine Lösung meines Problems/Nicht-Problems. Ich habe soeben schon unseren Herausgeber Gero von Randow als Dolmetsch bemüht, der allerdings auch passen mußte. Er läßt aber auf jeden Fall herzlichst grüßen und ist meiner Meinung, daß wir Ihren Beitrag selbst in der Kurzversion im Blatt haben sollten.

Herzliche Grüße, Sigrid Neudecker"

Was vermeid' ich denn die Wege,/ Wo die ander'n Wand'rer geh'n,/ Suche mir versteckte Stege,/ Durch verschneite Felsenhöh'n? Welch ein törichtes Verlangen/ Treibt mich in die Wüstenei'n?

"Sehr geehrte Frau Neudecker, vor 35 Jahren habe ich beschlossen, mich nie mehr zensieren zu lassen. Was von mir erscheint, sind meine Texte, keine Dick-, Dünn-, Lang- oder Breitversionen. Kurzversionen auch nicht.

Ihr Gremliza"

Auf einen Totenacker/ Hat mich mein Weg gebracht:

"Sehr geehrter Herr Gremliza, ich hoffe, Sie sind nicht tatsächlich der Meinung, wir würden Sie zensieren. Das hier hat nichts mit Zensur zu tun, sondern mit der üblichen journalistischen Sorgfaltspflicht, die wir auch an dieser Stelle nicht außer Acht lassen dürfen. Und auf die Sie sich im Gegenzug vermutlich auch gern verlassen würden. Es tut mir sehr leid, daß Sie die Antwort nun wirklich umsonst geschrieben haben, aber noch einmal: Nicht die politische Aussage darin hindert uns daran, sie zu drucken (sonst hätten wir Sie gar nicht erst zu fragen brauchen), sondern die etwas zu steile Schlußfolgerung im letzten Satz, die für uns juristisch nicht haltbar gewesen wäre. Haben Sie trotzdem vielen Dank für die Mühe, die Sie sich mit Antwort und Erläuterungen gemacht haben.

Mit freundlichen Grüßen, Sigrid Neudecker"

Nun merk' ich erst wie müd' ich bin,/ Da ich zur Ruh' mich lege;/ Das Wandern hielt mich munter hin/ Auf unwirtbarem Wege:

Sehr geehrte Frau Neudecker, daß Zensur nicht mehr Zensur heißt sondern "journalistische Sorgfaltspflicht", auf die ich mich "im Gegenzug vermutlich auch gern verlassen würde" (was immer das auf Deutsch hieße), ist schön für Sie. Ob der Gesetzgeber auch schon davon gehört hat und nun das Grundgesetz ändert?: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Eine journalistische Sorgfaltspflicht findet nicht statt ... Zum Dank für die lustige Korrespondenz mit Ihnen will ich Ihnen zum guten Schluß verraten, was von Anfang an das "Problem", das Sie mit mir hatten, war: Sie sind abhängig beschäftigt, ich nicht.

Ihr Gremliza

   Veranstaltungen mit KONKRET-Autoren:

Am 1. Mai findet im Hamburger Polittbüro (Steindamm 45) eine Veranstaltung mit Wladimir Kaminer und Hermann L. Gremliza statt - Lesung und Gespräch: 20 Uhr.

Erwin Riess liest am 23. Mai gemeinsam mit Rolf Becker in der Vers- und Kaderschmiede im Polittbüro aus seinem Erzählungsband "Herr Groll erfährt die Welt"; am 24. Mai liest Riess in der Galerie der Schlumper (Hamburg) und am 25. Mai in der Peter Panter Buchhandlung (Meldorf), Beginn jeweils 20 Uhr.

Gunnar Schubert stellt in der Vers- und Kaderschmiede des Polittbüros sein Buch "Die kollektive Unschuld - Wie der Dresden-Schwindel zum nationalen Opfermythos wurde" (konkret texte 42) vor, mit Nachfragen, Kritik und Ergänzungen von Thomas Ebermann: 3. Juni, 20 Uhr.

Am 20. Mai lesen Horst Tomayer und Hermann L. Gremliza im Haus der Jugend, Mainz. Beginn 20.30 Uhr.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36