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36 Jahre Konkret CD

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Heft 03 2010

von konkret

   Fiktion und Fakten

"Spiegel online" meldete am 19. Januar:

Claude Lanzmann in Hamburg. Gewalttätige Linke verhindern die Vorführung seines Films über Israel, im Feuilleton tobt eine Debatte über seine Autobiographie - mit Regisseur Claude Lanzmann hätte es auf einem Hamburger Podium viel zu bereden gegeben. Doch die Diskutanten wichen jedem Aufreger gezielt aus - wie erfreulich. "Die Normalität Israels ist das Anormale" sagte Claude Lanzmann irgendwann im Lauf der Diskussion, die sich der Vorführung seines Dokumentarfilms "Warum Israel" anschloß. Wie wenig selbstverständlich das ist, was normal sein sollte, konnte man an diesem Montagabend allerdings auch weit weg von Israel erleben, in Deutschland, mitten in Hamburg, in einem alten Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem der Club Uebel & Gefährlich beheimatet ist.

Ein Film wurde gezeigt. Die Leute standen Schlange, setzten sich, schauten zu und gingen wieder nach Hause. Das war's. "Ja, und?" könnte man fragen - und wäre beim Kern der Sache. Denn fast überall, wo in Deutschland ein Davidstern zu sehen ist, wo es um Israel geht, steht daneben ein Polizeibus, sind Poller in den Gehweg einbetoniert, Absperrgitter sollen das Durchkommen verhindern.

Man mußte also mit Großalarm, mit einem Polizeiaufgebot, mit Demonstranten rechnen. Doch vor dem Uebel & Gefährlich stand eine Schlange, als gelte es, ein Konzert von MGMT oder einer anderen jener hippen Popbands anzuschauen, die sonst hier auftreten. ... Die Stimmung war friedlich, die Wartenden waren jung und machten das, was man eben so macht in einer Schlange: rauchen, telefonieren, über Pfützen schimpfen. Wie herrlich diese Normalität ist, konnte einem da, zum ersten Mal an diesem Abend, klarwerden.

Dann ging's los mit dem Film aus dem Jahr 1973, der, wie der KONKRET-Herausgeber Hermann L. Gremliza in der Diskussion danach ganz richtig anmerkte, eigentlich "Darum Israel" heißen müßte. Zeigt er doch die Gründe für die Existenz des Staates. Und das auf ausgesprochen kurzweilige Art.

(Es) wurde über den Film gesprochen und über den Antisemitismus in der deutschen Linken, der zu der historisch einmaligen Aktion gegen "Warum Israel" geführt hatte - Hermann L. Gremliza wies nicht ganz zu Unrecht darauf hin: Antisemitismus ist kein Privileg der Linken, es gibt ihn in allen Lagern und in allen Schichten.

Im "Neuen Deutschland", das bemerkenswert korrekt über den Abend referiert hatte, durfte Tage darauf ein Leser die übliche Duftmarke setzen:

Warum machen Sie anti-linken Leuten wie Hermann Gremliza den Hof, indem sie sogar seinen Auftritt im Übel & Gefährlich falsch darstellen? Wie ich beim Mitschnitt im Internetradio hören konnte, fehlten Herrn Gremliza im Film "Pourqoui Israel" nicht etwa die palästinensischen Bewohner, sondern Hamas und Selbstmordattentäter ... Hätte er sich durch deren Darstellung im Film vielleicht noch besser seinen Kriegs-Träumen hingeben können? Jemand wie Gremliza, der in jeder Kritik an (neo)imperialistischer Kriegsführung nichts als Antisemitismus entdeckt, Linke ohnehin generell für Antisemiten hält und sich fleißig an der Zerstörung linker Strukturen beteiligt, sollte doch in einer Zeitung wie "Neues Deutschland" nicht auch noch unterstützt werden!

Das "Hamburger Abendblatt" berichtete:

Nicht daß Lanzmanns ausufernde Erzählungen nicht interessant gewesen wären, aber die anderen Podiumsteilnehmer, KONKRET-Herausgeber Hermann Gremlitza und Kulturtheoretiker Klaus Theweleit, blieben bei dieser fast zweistündigen "Diskussion" nur Randfiguren.

Dem "Abendblatt" war offenbar eine Meldung aus Pulheim dazwischengekommen:

Der Kameradschaftsabend der Freiwilligen Feuerwehr Pulheim zum Jahresende ist zugleich Ehrungsabend wie Weihnachtsfeier. Weihnachtliche Stimmung kam zunächst aber nicht auf. Dafür sorgte Löschzugführer Reinhard Gremlitza. Gremlitza forderte, das Jahr 2010 zum Jahr der Gespräche auszurufen.

Nichts verwechselt hat Henryk Broder, der für die "Weltwoche" des XXX Roger Köppel unterwegs war:

Dummerweise gab es auch, wie bei solchen Anlässen üblich, eine Diskussion über die "Aktualität" des Films ... Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit erklärte den Unterschied zwischen einem Buch und einem Film, und der Herausgeber der Zeitschrift KONKRET, Hermann Gremliza, sagte, daß er sich habe überreden lassen, an der Diskussion teilzunehmen, lieber würde er etwas darüber schreiben.

Statt Nabelschau zu betreiben, hätte man auch über einen zweiten Skandal reden können, der ebenfalls mit Lanzmann und mit Hamburg zu tun hat. Ausgerechnet die liberale Wochenzeitung "Die Zeit" hat sich verpflichtet gefühlt, den Rowohlt-Verlag vor einer Veröffentlichung von Lanzmanns Memoiren zu warnen. Er habe 1949 einen inzwischen vergessenen "Reichskunstwart" der Weimarer Republik namens Edwin Redslob als NS-Mitläufer geschmäht und einen falschen Grund für dessen Entlassung als Rektor der Freien Universität angegeben. Damit habe sich "Lanzmann, das Mensch gewordene Monument der historischen Verantwortung", unglaubwürdig gemacht, er "verändert die Geschichte - nach seinem Interesse".

Man hätte auch, wäre man schon zu faul zum Mitschreiben, im Netz (unter www.freie-radios.net/portal/content.php?id=31686 ) nachhören können, was Gremliza gesagt hat, nämlich so weder dieses noch jenes. Man hätte auch recherchieren können, wie es zum Schweigen über den "Zeit"-Artikel gekommen war, und dabei erfahren, daß Claude Lanzmann darum gebeten hatte, daß Nabelschau betrieben, das heißt: über den "Zeit"-Geist nicht geredet werde. Aber wie man es beim "Spiegel" lernt: Fakten stören nur den Fluß der Story.

   Deutsche Heldensagen

"Hätte ich gäwoßt, daß man mit Händchenhalten marschierände Hordän aofhalten kann, hätte ich das för die Verteidigong Bärlins bäfohlen!", twitterte ein User unter dem Namen "Der_Fuehrer" am 13. Februar, als die Medien unisono meldeten, das Scheitern eines geplanten Aufmarschs von 5.000 Neonazis in Dresden sei der Menschenkette zu verdanken, mit der die Stadtoberen der Bombardierung der Stadt vor 65 Jahren gedenken ließen. Für den wahren Grund, warum sich die Nazis auf dem Bahnhofsvorplatz die Füße plattstanden, nämlich massive Blockaden durch ein antifaschistisches Bündnis, fehlte vermutlich die Sendezeit. Wie nahtlos sich die Dresdener Gedenkrituale in die Legenden einfügen, mit denen Täter zu Opfern gemacht werden, zeigt Gunnar Schubert in seinem Buch Die kollektive Unschuld. Wie der Dresden-Schwindel zum nationalen Opfermythos wurde (konkret texte 42). In einem Interview in der "Frankfurter Rundschau" (15. Februar) sprach Schubert über den Mythos Dresden - http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2305025_Gunnar-Schubert-Da-wirkt-die-Goebbels-Propaganda-nach.html

   Deutsche Opfermythen

Zu den deutschen Opfersagen gehört auch die Umdeutung der Geschichte der Vertriebenen und die Manipulation ihrer Mitgliederzahlen. Mit letzterer beschäftigt sich Erich Später im aktuellen Heft. Anläßlich der Einigung der Bundesregierung mit der Vertriebenenchefin Erika Steinbach über die Besetzung des Stiftungsrats des "Zentrums gegen Vertreibungen" sprach die "Frankfurter Rundschau" am 12. Februar mit ihm: http://www.fr-online.de/top_news/?em_cnt=2300008&

   Von Tätern und Opfern

Allerlei Empörung herrscht im Agenda-Jahr 2010 über Guido Westerwelles Äußerungen zum Thema Hartz IV - vor allem bei denen, die das verfassungswidrige Gesetz auf den Weg brachten. Dabei spricht aus des Vizekanzlers Asozialismus doch lediglich der Grundgedanke, auf dem die Agenda-Beschlüsse der damaligen rotgrünen Regierung basieren. Mehr über Gerhard Schröders Lieblingsgesetz und seine Folgen lesen Sie im aktuellen Heft.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36