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36 Jahre Konkret CD

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Heft 04 2008

Georg Fülberth

Zweiklassen-Kampf

Wer hat warum den ehemaligen Postchef Zumwinkel enttarnt?

Klaus Zumwinkel, bis vor kurzem Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post AG, soll Steuern in Millionenhöhe hinterzogen haben. Er hat offenbar schon "kooperiert" (also einiges gestanden). Deshalb darf auch, wer von Vorverurteilungen nichts hält, jetzt schon mal fragen: Falls Herr Zumwinkel das, was ihm vorgeworfen wird, wirklich angerichtet hat - warum hat er es getan? Antwort: Keine Ahnung. Vielleicht ist er wirklich ein kleinlich gieriger Mensch. Oder umgekehrt: Er kümmert sich nicht um solche Peanuts und hat einen Steuerberater. Oder derlei ist in seinen Kreisen einfach üblich. Schließlich lebt Liechtenstein nicht nur von diesem einen Kunden. Im letzten Fall gibt es schon wieder eine Frage: Warum ist es diesmal herausgekommen? Darauf können mindestens vier Antworten gegeben werden: Volkszorn, Shareholder, Klassenkampf und innerkapitalistische Konkurrenz.

Der Reihe nach: Die Wut über die Reichen ist ihrerseits ein Gewerbezweig. Seit der Agenda 2010 blüht sie. Die Landsleute lassen sich ja vieles gefallen, aber Hartz IV und die Rente mit 67: das hat einen zu deftigen Symbolwert. Weil diese Eckpunkte kapitalistischer Sozial- und Wirtschaftspolitik aber nicht beseitigt werden dürfen, hat "Bild" seit über einem Jahr die Oppositionsführung übernommen. Nach einigen Monaten folgten ihr die Meinungsumfragen: Deutschland rücke nach links. Daß gleichzeitig eine Partei stärker wurde, die diese Richtungsangabe im Namen führt, wurde nicht nur hingenommen, sondern sogar klammheimlich begrüßt: Was sie gewinnt, verliert die SPD, spaltet die Kräfte jenseits von CDU und FDP und erweitert insofern die Optionen des Kapitals gegenüber einer verunsicherten Politik. Daß dabei die Bewohner der oberen Etagen gescholten werden, schadet nichts, solange sie das, was ihnen geneidet wird, doch nicht hergeben müssen und es nicht unten ankommt. Statt dessen geht es um eine Verschiebung innerhalb der Kapitalistenklasse selbst.

Nächste Antwort: Schon Marx unterschied zwischen fungierenden und nur aneignenden Kapitalisten. Erstere organisieren persönlich die Abpressung des Mehrwerts, den sie sich anschließend ins Portefeuille stecken. Es sind zwei verschiedene Handlungen: erstens die tätige Ausbeutung und zweitens das passive Inkasso. Ohne Organisation der Mehrwertproduktion geht überhaupt nichts, es gibt aber Mitglieder der Kapitalistenklasse, die nur noch die Einnahmen konsumieren. Friedrich Engels nannte sie "Couponabschneider" und war, nachdem er sich aus dem Geschäft in Manchester zurückgezogen hatte, selber einer.

Mit dem Aufkommen der Aktiengesellschaften wurde diese Trennung institutionalisiert. Leitende Angestellte, die Manager, organisieren die Produktion des Mehrwerts, den ihre Arbeitgeber, die Aktionäre (engl. "shareholder"), einstreichen. Vollständig lassen sich die beiden Funktionen nicht scheiden. Ein Vorstandsvorsitzender macht seine Arbeit erst dann optimal, wenn sein Einkommen mit dem Gewinn steigt oder - noch besser - mit diesem teilidentisch ist. Soll heißen, er muß so viel verdienen, daß er das gar nicht alles selbst verbrauchen kann. Damit wird er in der Regel seinerseits zum Aktionär. Andererseits gibt es immer wieder Couponabschneider, denen das nicht genügt und die sich lieber als fungierende Kapitalisten betätigen. Klaus Zumwinkel ist eine solche Figur: Er ist von Haus aus ein Millionenerbe und erlernte dennoch den Beruf des Vorstandsvorsitzenden.

Personell also oft nicht völlig voneinander zu trennen, sind Manager und Aktionäre der Funktion nach aber doch zwei deutlich geschiedene Gruppen in der Kapitalistenklasse. Sie haben sogar Streit miteinander. Seit einiger Zeit wird viel über die Ablösung des Manager- durch den Shareholderkapitalismus geschrieben. Der eine ist an der langfristigen Mehrung des in einem Unternehmen steckenden Kapitals und kontinuierlicher Steigerung der Erträge orientiert, der andere am schnellen Kursgewinn. (Angeblich und drittens soll es noch einen Stakeholder-Kapitalismus geben. Der habe etwas mit Ethik, Verantwortung und anderem Gedöns zu tun und ist hier zu vernachlässigen.)

Was die Vorstandsherren verdienen und investieren, fehlt den Shareholdern an ihrem Gewinn. Jahrzehntelang haben sie es hingenommen, daß die Unternehmen fett wurden und die Manager auch. Jetzt möchten sie ein bißchen zu ihren Gunsten umverteilen. Volkszorn und Gewerkschaften tun ihnen den Gefallen und geißeln die hohen Vorstandsgehälter. Der Fall Zumwinkel kommt da gerade recht und wurde denn auch mit einer Fernsehkamera am Gartentor gleich geeignet zelebriert. Nicht der Millionenerbe und Shareholder ist da vorgeführt worden, sondern der Manager. Der hatte aber noch einen weiteren Makel. Um dies zu erklären, müssen wir uns zwischendurch einem anderen Kriminalfall zuwenden:

Der Hauptfeind des Aktionärs ist nicht der Manager, sondern es sind die Arbeiter, insbesondere deren Gewerkschaftsführer. Einer von denen, der gelernte Schmied und langjährige VW-Betriebsratsvorsitzende Klaus Volkert, hat gerade wegen Beihilfe und Anstiftung zur Untreue zu Lasten seines Konzerns eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung erhalten. Seine Paten, der Personalvorstand Peter Hartz und der VW-Manager Klaus-Joachim Gebauer, kamen glimpflicher davon, der Chef des Hauses, Ferdinand Piëch, will von allem nichts gewußt haben.

Volkert spricht von Zweiklassen-Justiz. Das hat er schön gesagt. Er selbst hat viele Jahre lang einen Zweiklassen-Kampf geführt. Sein Verteidiger machte geltend, daß Klaus Volkert das Unternehmen nicht geschädigt, sondern diesem genutzt habe: Er hielt die Belegschaft ruhig. Die zirka zwei Millionen Euro extra, welche er außerhalb der Legalität dafür erhielt, waren gut angelegt: Produktionsausfälle durch Streik wären teurer geworden. Dadurch wurde Volkert aber noch lange nicht zum Arbeiterverräter. Seine Kollegen sind ihm auch keineswegs durchgehend böse. Er hat ziemlich viel für sie herausgeholt: Löhne, die sie selbst für gut hielten, Sicherung ihrer Arbeitsplätze. Insofern hat er beiden geholfen: dem Kapital und der Arbeit.

Manche Beobachter meinen, Piëchs Kollegen müßten durch Volkerts Verurteilung verunsichert sein. Wie sollen sie in Zukunft noch den Betriebsfrieden erkaufen, wenn das plötzlich strafbar sein soll? Aber diese Sorge hätten sie nur in einem weiterbestehenden Managerkapitalismus. Bei VW hatte dieser sogar eine von ihnen besonders verabscheute Form angenommen - Korporatismus, das ist: 20,2 Prozent Aktienanteil und Sperrminorität des Landes Niedersachsen, starke Positionen der Gewerkschaften im Aufsichtsrat, ja sogar (über den Arbeitsdirektor) im Vorstand. Dagegen kommt kein ehrlicher Kaufmann an, und ein wehrloser Couponabschneider auch nicht. An die Stelle des Manager-Betriebsrats- und Staatskapitalismus soll aber doch jetzt der Shareholderkapitalismus treten. Deshalb kamen sozialdemokratische Repräsentanten des alten Systems - Hartz, Volkert, selbstverständlich noch einmal mit klassen- und schichtspezifisch abgestuftem Urteil - auf die Anklagebank.

Doch die Hydra hat viele Köpfe. Schlägt man dem Korporatismus den einen ab, wächst woanders ein neuer. Zum Beispiel Klaus Zumwinkel. 2007 hat er sich auf den Mindestlohn für Postdienste eingelassen. Damit wollte er weniger der Belegschaft etwas Gutes als seinem Unternehmen. Mit den 8 bis 9,80 Euro, auf die er die Branche festlegte, sollten Konkurrenten, darunter Springers PIN AG, ausgeschaltet werden. Die hatten ihn unterbieten wollen. Sie hatten sogar einen eigenen Arbeitgeberverband unter der Leitung von Florian Gerster (SPD), einst Chef der Bundesagentur für Arbeit. Während bei VW der Korporatismus angegriffen wird, drohte er also bei den Postdienstleistungen durch das Zusammenwirken von Regierung, einem ehemaligen Staatsunternehmen und den Gewerkschaften wiederzuerstehen.

Kaum hatte Klaus Zumwinkel seinen Triumph genossen, kam die Razzia. Wer hat ihn enttarnt, und warum gerade zu diesem Zeitpunkt? Vielleicht fragen Sie bei Gelegenheit einmal Herrn Gerster.

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Literatur Konkret Nr. 36