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36 Jahre Konkret CD

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Heft 02 2009

Tina Klopp

What's left

Die Linken kommen, und diesmal geht es um mehr als Gespenster und alte Socken, diesmal wird es richtig gruselig. Blutigrot leuchtet das Cover von Christian Rickens' Buch "Links!" (Ullstein). Das I-Tüpfelchen ist zur Faust geballt. Im Untertitel verspricht er das "Comeback eines Lebensgefühls". Wow!

Warum aber bezeichnet man sich als links, wenn man es nicht ist? Warum zitieren derzeit so viele Marx, obwohl ihnen bereits die SPD zu sozial ist, und beschwören das Ende des Raubtierkapitalismus, von dem sie gut und gerne leben? Bei Rickens geht es um so Umstürzlerisches wie "Privatisieren, aber richtig!", einen "fairen Wettbewerb der Krankenkassen", das "gesicherte Existenzminimum" und ein "Ja zur Zuwanderung" - wohlgemerkt für "gut qualifizierte und integrationswillige Bürger". Das Buch eignet sich als Bewerbungsschreiben für den Vorsitz der Jungliberalen - so "frech" und "frisch" kommt es daher.

Attraktiv findet der "Trendautor" des "Manager Magazins" besonders den linken Zukunftsoptimismus; das Alte, Bewahrende ist Rickens ein Graus. Doch taugt ihm die aktuelle Linke nicht, sie verpasse "den Kontakt zu einem wachsenden Milieu, ... jenen rund sieben Prozent der Deutschen Bevölkerung, die Soziologen gerne als ›Experimentalisten‹ bezeichnen und Trendforscher bisweilen als ›digitale Boheme‹: hochgebildete, internetaffine, global vernetzte Meinungsführer, die wahrscheinlich morgen als Unternehmensberater bei McKinsey anfangen könnten - sich aber größtenteils lieber in ungesicherten materiellen Verhältnissen herumschlagen, weil sie ihre Autonomie nicht einbüßen wollen."

Sein "links" genannter Liberalismus, den er von der britischen Eliteuniversität London School of Economics importiert hat, läßt Rickens in seiner eigenen Branche als Paradiesvogel schillern. Vermutlich reicht es dafür schon, daß einem Worte wie "Staat" oder "Gewerkschaft" noch über die Lippen kommen, ohne daß man dabei ausspuckt. Als Oberschüler, schreibt er in der "Welt am Sonntag", bedeutete Linkssein für ihn, "unsere Schülerzeitung nicht mehr vom Direktor zensieren zu lassen". Damals kostete es auch nichts. Heute kann man mit wirklich linken Positionen - zumal als Journalist - einpacken. Welches Unternehmen schaltet schon eine Anzeige in einem Medium, das ihm den Milliardengewinn mißgönnt? Weshalb linke Zeitungen dazu verdammt sind, ihre Existenz allein vom Verkaufserlös zu bestreiten und vom Idealismus ihrer Mitarbeiter, für die sie deshalb kaum mehr als Hungerlöhne übrig haben.

Aber links - da geht doch noch was! Zum Beispiel Panikmache. Schon die Behauptung, daß es einen Linksruck gebe, klingt nach Rote-Socken-Grusel. So schreibt Rickens in seiner Hauspostille von einem Unternehmer, der sich angesichts der jüngsten Erfolge der Linkspartei an die Nachkriegszeit im sowjetisch besetzten Osteuropa erinnert: "Da hat man auch die Vermögen verteilt, und nachdem alles aufgezehrt war, war das System bankrott."

Auch der "Brand Eins"-Gründer und Autor Wolf Lotter fragt in seinem neuen Buch "Die kreative Revolution" (Murmann-Verlag) besorgt: "Was kommt nach dem Industriekapitalismus?" Antwort: Noch mehr Lotters und Rickens, die Kreativen sind gefragt! "Kreative Wirtschaft ist die Ökonomie der Ideen, die wertvoller und nachhaltiger sind als Produkte und Waren." Das kreative Lotterleben sieht so aus, daß der Autor neben Schulaufsätzen für "Brand Eins" noch Vorträge für die Österreichische Wirtschaftskammer verfaßt und Texte fürs "Audi-Magazin" schreibt.

Daß es um den Mehrwert geht, lehrte Robert Misik schon in "Marx für Manager". Der "Taz"-Autor und Exgelegenheitskommunist aus Wien wettert in seinem neuesten Werk "Politik der Paranoia" (Aufbau) gegen "die neuen Konservativen". Zuvor hatte ihn das Che-T-Shirt auf dem Busen von Kate Moss zu seinem "Genial dagegen" inspiriert, in dem er überall Gesten des Protests ausmacht, als stünde die deutsche Jugend kurz vorm Amoklauf. Was andere für Geschmacksverirrung halten - daß Wir sind Helden es in die Hitparade schaffen und Filme wie die "Die fetten Jahre sind vorbei" im Kino laufen -, läßt ihn an ein Linksrevival glauben.

Dafür darf Misik auch mal richtig zynisch sein. In seinen "Zehn Geboten für den Weihnachtseinkauf" empfahl er im "Falter": "Lassen Sie sich das schöne neue Jäckchen nicht vermiesen! Denn die Sache mit dem bewußten Konsum ist so eine Sache: Klar, Sie wollen keinen Import-Fetzen kaufen, das eine Schneiderin irgendwo in Asien in einem Sweatshop zusammennäht - die pro Tag nur zwei Euro verdient. Andererseits: Wenn diese Schneiderin diesen Job nicht hätte, ginge es ihr wahrscheinlich noch schlechter." Wenn das mal die Lohas nicht gehört haben!

Lohas wohnen in Rickens' Nachbarschaft und sind kluge Menschen, die Politik ganz relaxed zu ihrer Leib- und Magenaufgabe gemacht haben - beim Einkaufen nämlich. Denn sie haben, nachdem sie über ganze Stadtteile gentrifizierend hergezogen sind, in ihrem internetaffinen Dasein immer noch genug Kohle, um dem fairen Konsum zu frönen. Im Bücherregal der Lohas stehen "Die Einkaufsrevolution", "Gute Marken, böse Marken" oder "Shopping hilft die Welt verbessern". "Wir interessieren uns für Gesundheit, Spiritualität, Nachhaltigkeit und Ökologie. Gehen zum Yoga oder Tai-Chi, trinken Grüntee oder Bionade", heißt es spaßbetont auf karmakonsum.de. "Wir leben Lohas - den Lifestyle of Health and Sustainability." Die Konkurrenzwebseite utopia.de verkündete unlängst den saubersten Deal des Jahres: eine strategische Partnerschaft mit dem Reinigungsmittelkonzern Henkel.

Wer sich nun angesichts der Finanzkrise sorgt, den können die Schweizer Trendforscher vom Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) beruhigen: "Mit Öko-Appellen lassen sich auch im Age of Less gute Geschäfte machen." Mit kratzigen Baumwollschlüpfern der neuen H & M-Organic-Cotton-Line etwa oder Terra-Pura, dem vollwertig-ökologischen Hundefutter.

Geht's auch etwas lustvoller? Aber ja! In seinem Buch "Uns gehört die Welt" (Hanser) klärt Klaus Werner-Lobo über "Macht und Machenschaften der Multis" auf. Werner-Lobo ist im Nebenberuf Clown und setzt auf "Happy Demonstrating", denn der Linken fehlt irgendwie der Spaß an der Sache. "Ein Clown hat die Angst vor der eigenen Lächerlichkeit verloren und wird dadurch gefährlich für Mächtige", erzählt er jetzt.de. Und selbst beim Ficken kann man Gutes tun. "Fuck for Forest" heißt das Internetunternehmen skandinavischer Naturschützer, die im Dschungel Pornos produzieren und mit den Einnahmen Aufforstungsprojekte im Regenwald fördern. Lachen, shoppen, ficken - Kapitalismus, deine Tage sind gezählt!

Beim Linkssein geht es immer auch um Banales, die Angst vorm Älterwerden, Nostalgie. Die Wellnessvariante des Linksseins trifft eher mitteljunge Menschen wie Rickens und Misik, denen man das linke Liebäugeln schon am Brillenmodell ansieht und die überhaupt das Ganze vor allem für eine Modefrage halten. "Die hipperen linken Milieus sind die, die man als die ›Kulturlinken‹ bezeichnen könnte", weiß Misik. "Sie legen viel Wert auf eine Kultur der Differenz, daß unterschiedliche Lebensweisen als gleichwertig respektiert werden. Dabei gerät ihnen die Gleichheit und soziale Gerechtigkeit schon mal aus den Augen."

Rickens' Elitelinke hingegen kennen den Wert der Solidarität: "Doch der hat für sie nichts mit der Frage zu tun, ob man mit 65 oder mit 67 in Rente geht. Solidarität müßte sich aus ihrer Sicht in der Gewißheit zeigen: Wenn es mit meiner fragilen Patchworkkarriere vorübergehend mal nicht gut läuft, dann hilft der Staat unbürokratisch mit einigen hundert Euro monatlich aus der Patsche." Solidarität ist die Solidarität mit dem Nachbarn im Loha-Viertel und anderen Wohlfühllinken, nicht aber mit dem schlecht integrierten Hauptschüler, der WLAN für eine Alkopopmarke hält.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36