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36 Jahre Konkret CD

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Heft 03 2011

Matthias Janson

Weiche Landung

Das Münchner Strafverfahren gegen den ehemaligen SS-Wachmann Iwan "John" Demjanjuk steht kurz vor seinem Abschluß.

Nun scheint alles ganz schnell zu gehen. Am 27. Januar, im vierzehnten Monat des zähen Prozesses gegen den mutmaßlichen NS-Massenmörder Demjanjuk, verkündete der Vorsitzende Richter des Verfahrens vor dem zuständigen Münchner Landgericht, Ralph Alt, daß die Beweisaufnahme demnächst abgeschlossen werde und es bereits Ende März zur Verkündung des Urteils kommen könnte. Demjanjuks Anwalt, Ulrich Busch, der das naturgemäß anders sieht, protestierte. Er sei "der Auffassung, daß die Planung nicht aufrechtzuhalten ist", und verkündete, weitere Beweisanträge stellen zu wollen. Acht Tage später gab das Gericht zwar tatsächlich weitere Sitzungstermine bis zum 23. März bekannt, gleichwohl dürfte Alts Einschätzung, man sei nun im "Landeanflug" der Beweisaufnahme, gültig bleiben. Das Gericht scheint zu einem Urteil gekommen zu sein. Wie könnte es lauten?

Wer sich mit dieser Frage beschäftigt und nicht zu den Prozeßbeobachtern gehört, wird sich mit der Antwort schwertun, denn die deutschen Medien haben die Berichterstattung über das Verfahren Mitte 2010 nahezu komplett eingestellt. Der anfängliche Andrang von Journalisten hat sich mittlerweile auf ein kümmerliches Häuflein von ca. fünf Personen reduziert, die beruflich und mehr oder weniger regelmäßig an den Verhandlungstagen erscheinen. Einer von ihnen ist der freie Journalist Andrea M. Jarach (seine Prozeßberichte sind unter http://www.newsvine.com/demjanjuk zu finden). Er berichtet mir vom neuesten Antrag der Verteidigung: Busch hat um die Erlaubnis gebeten, in polnischen, israelischen und russischen Archiven nach entlastendem Material für seinen Mandanten suchen zu dürfen. Erhielte er sie, wäre das Urteil auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Zeitplanung des Gerichts zeigt jedoch, daß es den Antrag ablehnen wird - wie die meisten anderen Anträge, die die Verteidigung in den vergangenen Wochen gestellt hat. Einer dieser Anträge machte Buschs Verzögerungstaktik besonders deutlich. Es ging um den ehemaligen Sobibór-Häftling Alexej Weizen. Der 87jährige Weizen hatte dem Moskauer Büro des tschechischen Rundfunksenders "Cesky rozhlas" wenige Monate nach Beginn des Münchner Verfahrens mitgeteilt, er habe den Angeklagten auf Fotos wiedererkannt. Demjanjuk sei einer jener Aufseher, die im Lager Sobibór Dienst getan hätten. Er habe gesehen, wie Demjanjuk Häftlinge zu Arbeiten in den Wald geführt habe.

Demjanjuks Verteidiger stellten Weizens Glaubwürdigkeit damals in Frage. Rechtsanwalt Günther Maull verwies auf Interviewaussagen des Zeugen, denen zufolge er Konzentrations- und Erinnerungsprobleme habe. Außerdem sei Weizen praktisch nicht reisefähig. Später aber stellte Busch den Antrag, Weizen zu Demjanjuks Aufenthalt in Sobibór zu befragen. Er erklärte, Weizen habe Demjanjuk damals verwechselt und könne dies vor Gericht bezeugen. Verflogen schienen plötzlich alle Zweifel am Erinnerungsvermögen des ehemaligen Vernichtungslagerhäftlings. Das Gericht lehnte den Antrag Buschs Mitte Januar ab.

Die Anwälte der Nebenkläger geben sich, motiviert offenbar durch die regelmäßige Ablehnung der Beweisanträge der Verteidigung, bezüglich eines Schuldspruchs vorsichtig optimistisch. Das Gericht selbst äußert sich dazu öffentlich natürlich nicht. Auch Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz will keine Erwartungen eines bestimmten Ausgangs des Verfahrens schüren. Es gehe einzig um die juristische Verfolgung von Menschen, "die Schuld auf sich geladen hätten", und nicht um die Aufarbeitung von Geschichte. Und doch lassen es die letzten Monate als möglich erscheinen, daß es zu einer Verurteilung Demjanjuks kommt. Zumindest zeigt sich das Gericht nun bemüht, das Verfahren möglichst rasch abzuschließen: Als Demjanjuk am 23. November letzten Jahres überraschend eine Erklärung in das Verfahren einbringt, in welcher er die Richter angreift und der "Entstellung von Tatsachen" beschuldigt, bestand die Gefahr, daß das Gericht darauf mit einer Strafanzeige gegen Demjanjuk reagiert, welche das Verfahren abermals verzögert hätte. Das Gericht hat dies bislang jedoch nicht getan, weil es offenbar den Zweck der kruden Schmähschrift erkannte. Und als im Dezember das vollständige 600 Seiten lange Urteil aus Demjanjuks israelischem Berufungsverfahren des Jahres 1993 verlesen werden sollte, beschränkte sich das Gericht im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten auf die wichtigsten Textabschnitte, um das Prozedere zu beschleunigen. Aber dieses Urteil - Freispruch - war ohnehin nicht geeignet, Demjanjuk zu entlasten, wenngleich die Verteidigung genau dieses vorgab: Laut Busch habe Demjanjuk in Israel bereits wegen mutmaßlicher Verbrechen im Lager Sobibór vor Gericht gestanden und dürfe daher nun in München nicht erneut dieser Taten beschuldigt werden. Tatsächlich aber war dieser Anklagepunkt in Israel gar nicht zugelassen worden.

Auch Andrea M. Jarach ist verhalten optimistisch. Er weist auf den Umstand hin, daß Demjanjuk bereits 22 Monate in deutscher Untersuchungshaft sitzt - gesetzlich zulässig sind in der Regel jedoch nur 6 Monate, solange keine Freiheitsstrafe ausgesprochen worden ist. Zwar könnte das Oberlandesgericht bei umfangreichen Ermittlungen einer Verlängerung der Untersuchungshaft zustimmen, selbstverständlich wäre das allerdings nicht. Richter Alt steht also unter Zugzwang und sähe am Ende nicht eben gut aus, wenn er bei einer deutlichen Überziehung der regulären Untersuchungshaftdauer am Prozeßende nur einen Freispruch verkünden könnte.

Doch die Verteidigung war nicht ganz erfolglos. Immer wieder hat sie das zentrale Beweismittel der Anklage, den Trawniki-Dienstausweis Demjanjuks, zum Gegenstand von Sachverständigen-Gutachten gemacht. Das hat sich zumindest im Falle der Untersuchung von Demjanjuks Unterschrift gelohnt: Die Sachverständige Wülbeck vom bayerischen Landeskriminalamt mußte in der Verhandlung vom 2. Februar offenlassen, ob die Unterschrift in dem Dokument von Demjanjuk stammt oder nicht. Allerdings hatte der US-Sachverständige für Dokumentenprüfung, John F. Stewart, festgestellt, daß der Ausweis "höchstwahrscheinlich" echt ist. Zum gleichen Urteil gelangte der Sachverständige Anton Dallmayer vom bayerischen Landeskriminalamt, der allerdings anmerkte, daß er eine Fälschung durch den russischen Geheimdienst KGB nicht mit letzter Sicherheit ausschließen könne.

Klar ist zudem, daß ein Einzeltatnachweis bislang nicht erbracht werden konnte. Das Gericht müßte sich daher für einen Schuldspruch am Völkerstrafrecht orientieren. Dieses ermöglicht eine Verurteilung aufgrund der bloßen Anwesenheit als Wachmann in einem Vernichtungslager. Ob ein derartiges Urteil vor dem Bundesgerichtshof Bestand hätte, ist fraglich.

Nach Abschluß der Beweisaufnahme werden innerhalb weniger Tage die Plädoyers vorgetragen. Dann folgt das Urteil. Mit letzterem kann man es halten wie die Zeugen, die in dem Verfahren ausgesagt haben: Sie wurden nicht müde, zu betonen, daß die bloße Durchführung des Verfahrens wichtig sei, weil es die Erinnerung an die Shoah wachhalte. Bedenkt man jedoch, daß nach dem Vorbild des Münchner Verfahrens in Deutschland weitere Prozesse gegen NS-Täter folgen werden, die in der Ukraine oder dem Baltikum geboren wurden, so wird klar, daß der Ausgang des Verfahrens die künftige Marschrichtung der deutschen Gerichte vorgeben wird. Ein Freispruch hätte eine fatale Signalwirkung.

Matthias Janson hat kürzlich das Buch Hitlers Hiwis. Iwan Demjanjuk und die Trawniki-Männer (konkret texte 51) veröffentlicht (120 Seiten, 14 Euro). Es ist im Buchhandel und beim Verlag lieferbar.

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KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36