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36 Jahre Konkret CD

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Heft 05 2010

Christian Y. Schmidt

Trendsport Mauerspringen

Interview mit dem Autor, der seit 2005 in Peking lebt, über Googles Rückzug aus China, den Alltag mit der Internetzensur und Märchen deutscher Medien

KONKRET: Was hat sich durch Googles Umzug nach Hongkong im chinesischen Web-Alltag geändert?

Christian Y. Schmidt: Hongkong ist natürlich auch China, doch gelten dort andere Gesetze. In Festland-China (also China ohne Taiwan, Hongkong und Macao) hat sich durch den Umzug von google.cn praktisch nichts geändert. Die Suchergebnisse, die vorher von Google selbst gefiltert wurden, werden jetzt von der Great Firewall of China - also den Zensurbemühungen der Behörden - gefiltert. Für mich selbst ändert sich rein gar nichts, da ich zum Suchen google.com oder google.de benutze. Hätte Google nicht so einen großen Krawall gemacht, hätte ich vom Umzug gar nichts gemerkt. Die meisten der zirka 400 Millionen chinesischen Internetnutzer übrigens auch nicht. Die benutzen die Suchmaschine Baidu, die in Festland-China einen Marktanteil von etwa 65 Prozent hat.

Welche Gründe stehen überhaupt hinter dem mit großem Getöse vollzogenen Rückzug, was mag sich Google davon versprechen?

Zunächst einmal ist Google gar nicht wirklich weg. An verschiedenen Standorten in Festland-China ist Google mit insgesamt etwa 600 Beschäftigten weiterhin präsent. Und die arbeiten auch weiter, zum Beispiel daran, Android, ein Betriebssystem für Mobil- und Smartphones, in China zu etablieren. Das größte britische Computermagazin "PC pro" meint, hier sei das eigentliche ökonomische Interesse Googles in China zu verorten, während die Suchmaschine google.cn nur wenig Geld gebracht habe. "PC pro"-Blogger Stuart Turton schreibt: "Google tat so, als sei seine Haltung zu China ein unerschrockenes Spiel. Blödsinn. Man hat ein Paar Zweier fallen gelassen, weil man noch drei Könige im Ärmel hat. Das brachte Google die Sympathie des Publikums und stützte seine bröckelnde ›Don't be evil‹-Fassade, dazu kam die Dankbarkeit der US-Regierung."

Die aber, so glaubt Herr Turton, könne Google im Moment gut gebrauchen. Googles langfristige Pläne ließen sich nämlich nur verwirklichen, wenn die US-Regierung Infrastrukturmaßnahmen wie das Legen von Glasfaserkabeln und die Installation von DNS-Servern positiv begleite. Die chinesische Presse geht sogar noch weiter und behauptet, Googles Rückzug nach Hongkong sei direkt mit der US-Regierung abgesprochen. Dafür hat man gute Argumente. Ding Yifan, Mitglied eines staatlichen Think-tanks, der die chinesische Regierung und das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas berät, schreibt in "China Daily", daß sich kurz vor Googles Verkündung des Abzugs die CEOs von Google, Facebook, Twitter und Youtube mit US-Außenministerin Hillary Clinton zum Essen getroffen hätten. "Einige Tage nach dem erhellenden Mittagessen", so Ding Yifan, "kündigte Google wie erwartet den Rückzug seiner Suchmaschine an ... Sofort nach dieser Ankündigung hielt Clinton eine Rede, in der sie ihrer Unterstützung für Googles ›Internetfreiheits‹-Kampagne Ausdruck verlieh."

Tatsächlich waren Google-CEO Eric Schmidt und andere am 7. Januar bei Clinton im State Department, wenn wohl auch nicht zum Mittag-, sondern zum Abendessen. Prompt kündigte am 12. Januar ein Google-Sprecher an, google.cn werde künftig seine Suchergebnisse in China nicht mehr zensieren. Google ist aber noch direkter mit der US-Regierung verbandelt. Der Konzern war einer der Hauptsponsoren von Barack Obamas Wahlkampf, und einige führende Google-Manager wurden nach Obamas Sieg Mitglied seiner Administration. Auch mit der CIA hat Google immer wieder eng zusammengearbeitet. So hat Google, wie die "Times" im März 2008 berichtete, die geheimdienstinterne Datensammlung "Intellipedia" nach dem Vorbild von Wikipedia aufgebaut.

Die chinesische Presse vermutet, Zweck des mit massiver Unterstützung der Obama-Administration durchgezogenen Rückzugs sei es, von den hausgemachten Ursachen der anhaltenden Wirtschaftskrise in den USA abzulenken und China den Schwarzen Peter dafür zuzuschieben. So gehöre Googles Schritt letztlich zu einer Kampagne, die Präsident Obama gegen die chinesische Regierung führe, um sie zur Aufwertung der chinesischen Währung zu zwingen, was chinesische Waren in den USA teurer machen würde. Was am Ende der tatsächliche Grund für Googles Rückzug ist, mag jeder für sich selbst entscheiden. Die Sorge um die Freiheit im Internet ist es sicher nicht.

Wie strikt ist die Internetzensur in China tatsächlich, und welche Inhalte sind davon betroffen?

Das kommt darauf an, worum es sich handelt. Die meisten ausländischen Webseiten sind hier zugänglich. Die deutschen Internetmedien sowieso, auch diejenigen, die wie "Spiegel online" immer wieder Stimmung gegen China machen. Deutsch ist einfach eine zu kleine Sprache, die in China kaum jemand versteht. Deshalb interessiert die Zensoren alles Deutsche kaum. Gesperrt sind die Propagandaseiten der tibetischen und uigurischen Separatisten, Falun-Gong-Seiten, taiwanesische Zeitungen, pornographische Seiten und seit den Krawallen der Uiguren im vergangenen Jahr auch soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook. Damals wurde auch Youtube wieder gesperrt. Wikipedia dagegen war lange Zeit komplett nicht zu erreichen, jetzt sind nur noch ein paar Seiten blockiert; außerdem kann man auf Wikipedia keine Bilder sehen. Wer ganz genau wissen will, was in China gesperrt ist, dem empfehle ich Chinachannel auf http://chinachannel.hk/. Das ist ein von Hongkonger Bürgerrechtlern geschriebenes Add-on für Firefox. Wenn man das installiert hat, kann man sich auch in Deutschland hinter die Great Firewall of China begeben und sehen, was alles nicht mehr geht.

Die andere Seite der Zensur betrifft die chinesischen Blogs und Webseiten. Die guckt sich die Internetpolizei an, und wenn sie mißliebige Inhalte findet, werden die entfernt. Das kann manchmal sehr schnell gehen. Aber meistens ist die Zensur zu langsam, und der umstrittene Beitrag ist schon längst als Kopie in anderen Blogs oder Foren zu finden.

Welche Mittel gibt es, die Zensur zu umgehen? Und wie intensiv werden sie genutzt?

Die Great Firewall zu umgehen, ist wirklich sehr einfach. Man kann sich Software herunterladen und installieren und dann die gewünschten Seiten mit Hilfe von Proxy-Servern oder VPNs, das sind virtuelle private Netzwerke, aufrufen. Es gibt Bezahlangebote, die funktionieren dann besser, sind schneller, aber auch kostenlose Seiten. Diese Technik ist bei Chinesen durchaus bekannt, es gibt sogar einen eigenen Ausdruck dafür, "fan qiang", das heißt soviel wie "über die Mauer gehen". Ich habe diese zwei Schriftzeichen gerade noch mal von Peking aus auf google.cn gesucht (am 8. April 2010). Da kommt man auf 7.800.000 Hits. Und es gibt viele Seiten, die einem erklären, wie man die entsprechende Software installiert und benutzt.

Wie intensiv das genutzt wird, weiß ich nicht. Für etliche Chinesen aber scheint das "Über-die-Mauer-Gehen" ein richtiger Sport zu sein. Dagegen wundere ich mich über meine Mitausländer in China. Da gibt es einige, die mir immer wieder erzählen, wie schlimm es ist, daß die chinesische Regierung ihre Freiheit im Internet einschränkt, aber die zehn Minuten, die es braucht, um die Great Firewall zu überwinden, die bringen sie nicht auf.

In einer Titelgeschichte zum Thema ("Kalter Krieg im Internet") beklagt der "Spiegel", die Suche nach "Falun Gong" führe bei verschiedenen Suchmaschinen entweder ins Leere oder zu Falun-Gong-kritischen Seiten. Gehört so etwas überhaupt zu den Themen, die die chinesische Öffentlichkeit besonders interessieren?

Gute Frage, auf die habe ich gewartet. Ich überprüfe hier nämlich immer gerne alles, was der "Spiegel" über China behauptet, sofern ich die Möglichkeiten dazu habe. Und so habe ich in der Woche, in der besagter Artikel erschien, sofort auf google.com nach "Falun Gong" gesucht. Laut "Spiegel" hätte ich schon aufgrund der Suchanfrage eine Fehlermeldung erhalten müssen. Ich habe aber genau dasselbe detaillierte Suchergebnis bekommen, das man - wiederum laut "Spiegel" - angeblich nur in Hongkong erhält. Das beweist mein Screenshot (liegt der Redaktion vor). Und natürlich habe ich dabei kein Hilfsmittel benutzt, um die Firewall zu überwinden. Man sollte dem "Spiegel" wirklich nicht allzuviel glauben - vor allem, wenn es um China geht.

Falun Gong selbst ist eine üble Sekte, die in den Neunzigern einigen Einfluß in China hatte. Inwieweit sie über den heute noch verfügt, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall ist ihren Mitgliedern in den letzten Jahren keine spektakuläre Propagandaaktion - wie Selbstverbrennungen - mehr gelungen. Nicht einmal zu den Olympischen Spielen haben sie irgendwie auf sich aufmerksam gemacht. Das deutet darauf hin, daß der Einfluß der Sekte extrem zurückgegangen ist.

Der "Spiegel" bejubelt das Internet als Motor einer Demokratisierung Chinas. Der deutsche Durchschnittsuser nutzt das Netz ja hauptsächlich zum Spielen und Chatten. Ist das WWW in China tatsächlich ein politischerer Schauplatz?

Doch, das glaube ich schon. Anders als die meisten Deutschen wissen die meisten Chinesen nämlich, daß sie nicht alles, was in der Welt passiert, aus der Zeitung oder dem Fernsehen erfahren. Es wird hier viel vertuscht, und Korruption ist weit verbreitet. Da funktionieren die vielen Blogger, die es gibt, tatsächlich in einem viel stärkeren Maße als Aufklärer von konkreten Mißständen als Blogger im Westen. Und sie haben auch oft Erfolg. Korrupte Kader werden eingesperrt, weil ihnen die Netzgemeinde auf die Spur gekommen ist. Ungerechte Landnahmen durch Spekulanten werden rückgängig gemacht, oder es werden höhere Entschädigungen gezahlt. Ein Mädchen, das sich der Vergewaltigung durch einen Kader widersetzt und ihn dabei erstochen hat, wird aufgrund eines Aufschreis im Netz freigesprochen.

Das Internet in China ist auch in anderen Bereichen sehr viel wichtiger als im Westen. Zum Beispiel wird sehr viel mehr Literatur im Netz gelesen, vor allem von den Jüngeren. Viele Popromane erscheinen zunächst online und gehen nur in Druck, wenn sie besonders erfolgreich sind.

Sonst wird natürlich auch in China im Netz hauptsächlich gespielt, gechattet, und es werden Filme geguckt. Das kann man in jedem der riesigen Internetcafés sehen. So traut selbst der chinesische Promiblogger Han Han, der millionenfach gelesen wird, dem politischen Bewußtsein seiner Gemeinde wenig. Anläßlich von Googles Abzug schrieb er, daß sich natürlich alle chinesischen Internetnutzer gerne ohne Zensur durchs Netz bewegen würden. "Das ist wie beim Lebensmittelkauf. Die Leute sind immer glücklicher, wenn man ihnen mehr gibt. Wenn allerdings Baidu (die chinesische Suchmaschine; C.Y.S.) jedem ›Netizen‹ zehn RMB (rund ein Euro; C.Y.S.) geben würde, damit er nicht nur einen neuen Browser installiert, der Google sperrt, sondern auch dafür, daß er

eine Suchmaschine benutzt, deren Ergebnisse völlig in Einklang mit Chinas Gesetzen und Regulierungen sind - oder diese sogar noch übertrifft -, ich wette, mehr als die Hälfte würden dieses Angebot akzeptieren." Dieser Kommentar zu Googles Abgang wurde von der Zensur auch recht schnell wieder gelöscht. Doch jeder, der will, kann ihn auch jetzt noch irgendwo in den Weiten des Webs nachlesen. So ungefähr funktioniert chinesische Internetzensur.

Mehr zum Thema findet sich auch in Christian Y. Schmidts China-Erlebnisberichten Bliefe von dlüben und Allein unter 1,3 Milliarden (beide Rowohlt Berlin).

- Interview: Svenna Triebler -

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Literatur Konkret Nr. 36