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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 06 2009

Peter Kusenberg

Transatlantisches Gelächter

Fernsehen ist ein trauriges Tun, besonders in Deutschland. In Amerikas Programmnischen hingegen gedeihen kluge und witzige Serien, die dank I-Tunes und DVD-Import auch das hiesige Publikum zu beglücken vermögen. Ein Überblick.

Nicht umsonst kann man in Amerika von zynischen Filmproduzenten hören, ihre Streifen hätten auf das Niveau Elfjähriger Rücksicht zu nehmen. Indem sie das tun, möchten sie am liebsten die Erwachsenen zu Elfjährigen machen." So schimpfte vor 50 Jahren Theodor W. Adorno wider das US-Trivialkino und beschreibt damit trefflich das aktuelle deutsche Fernsehprogramm, das Klassenkasper wie Michael Herbig und Nichtmalkasper wie Mario Barth zu "Komikern" adelt. In den USA braucht sich der geschmackssichere Zuschauer nicht mit Unkomik zu begnügen, er lacht - zum Beispiel - über Larry David.

David ist der kreative Kopf hinter der langlebigen Comedyserie "Seinfeld", die in den neunziger Jahren alle Einschaltquotenrekorde brach und den mittlerweile 61jährigen zum Multimillionär machte. In Santa Monica, dem reichsten L.A.-Vorort mit Meerblick, ließ er sich nieder und drehte aus Langeweile eine Mockumentary, also eine Pseudodokumentation, über sein Leben als "rich prick" (= reicher Sack). Daraus entstand die Serie "Curb your Enthusiasm" (soviel wie: Zügle deine Begeisterung), die hier in Nischensendern unter dem dämlichen Titel "Laß es, Larry" läuft und deren siebte Staffel derzeit produziert und ab Herbst auf dem Bezahlsender HBO ausgestrahlt wird. (HBO brachten seine Serienerfolge, darunter auch "The Sopranos" und "Six Feet Under", jüngst im Magazin "The Word" den Titel "The Channel That Ate Hollywood" ein.) "Curb" funktioniert so: Larry fährt zu einem Restaurant, um die falsch gelieferte Essensbestellung gegen die richtige einzutauschen. Die richtige bringt Allan Wasserman gerade zurück. Wasserman ist der Chef von HBO und hatte sich in einer der vorigen Folgen mit Larry überworfen. Daheim stellt Larry fest, daß sich zu wenige Shrimps in der Packung befinden, folglich verdächtigt er Wasserman, Shrimps gestohlen zu haben.

Kleine Handlungsstränge dieser Art werden kunstvoll miteinander verwoben und entblößen den eitlen Protagonisten, wozu nicht selten äußerste Derbheiten gehören, etwa die Beschimpfung eines Pokerkollegen als "cunt". Das Großartige an "Curb" ist, daß sich prominente Gaststars, Improvisationen und ein stets sichtbarer roter Faden zu einem Crescendo steigern, in dem alles Mediale, Profane und Religiöse durch den Kakao gezogen wird und immer wieder kleine Sottisen gegen das Fernsehen und gegen "die Deutschen" enthalten sind: "It's nice to be affected to something German - you don't get the opportunity quite often", sagt Larry, während er seinen deutschen Schäferhund tätschelt.

In der "Shrimp"-Folge von "Curb" darf Davids grandiose Kollegin Julia Louis-Dreyfus auftreten und bittere Witze darüber reißen, daß sie seit "Seinfeld" keine großen Rollen bekommt. Das war 2001, mittlerweile wird die fünfte Staffel von "New Adventures of Old Christine" vorbereitet, in der Louis-Dreyfus die Hauptfigur spielt. Diese Serie erlaubt sich zwar keine rüden Improvisationen à la "Curb", doch zunehmend selbstbewußter werden Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Klassendünkel thematisiert. "Christine" ist im deutschen Programm von Comedy Central zu sehen, nach Ohrenzeugenberichten gräßlich synchronisiert. Im gleichen Sender läuft die Serie "It's Always Sunny in Philadelphia", die mit Handkamera und viel Improvisationstalent arbeitet. Die Stars sind vier Slacker, die einen irischen Pub in Philadelphia betreiben und sich mit Brandstiftung, Dauertanzwettbewerben und anderen Fisimatenten die Zeit vertreiben. Ab der zweiten Staffel kommt Danny DeVito hinzu - als Vater der beiden dünnen, großen und blonden Geschwister Dennis und Dee. Gleich in der ersten Folge wird einer der Pubbetreiber von seiner heimlichen Liebe des Rassismus verdächtigt und versucht sich reinzuwaschen, indem er eine dunkelhäutige Dame unter dem Vorwand eines Rendezvous zur Angebeteten bringt und stolz als "seine schwarze Bekannte" präsentiert. "It's Always Sunny" wird immer derber: In einer der jüngsten Folgen fahnden die Loser nach dem Urheber einer Kackwurst, die Charly in seinem Bett gefunden hat.

Dagegen wirkt "Arrested Development" geradezu elegant. Die Serie wurde längst eingestellt, erfreut sich aber weiterhin großer Beliebtheit, vor allem dank der hohen Gagdichte. Eine reiche und gehörig funktionsgestörte Familie verliert durch ihre Machenschaften das gesamte Vermögen, woraufhin der mittlere Sohn, Michael, die Zügel in die Hand nimmt und sich mit seiner intriganten und trunksüchtigen Mutter, seinem verkappt schwulen Schwager und dem Bruder herumärgert. Inzestwitze, abgebissene Hände und satirische Anspielungen aufs Showbiz werden im Sekundentakt abgeschossen und bedürfen guter Kenntnisse der US-Unterhaltungsindustrie.

In der Rolle von Michaels Schwester brilliert Portia de Rossi, die wiederum in der neuen Sitcom "Better off Ted" gerade die kühl kalkulierende Subchefin eines schurkischen Mischkonzerns spielt: "Es ist hart zu akzeptieren, daß sich riesige Firmen nicht um Menschen scheren. Ich weiß, wie hart es für mich war, als ich es zuerst bemerkte - als ich acht Jahre alt war." Der Konzern Veridian wirbt in jeder Folge mit einem neuen Werbespot für seine Produkte, etwa nach dem Motto: "Wettbewerb. Er macht alles besser."

"Arrested Development"-Schöpfer Mitchell Hurwitz stellt derweil mit "Sit Down, Shut Up" unter Beweis, wie gut sich Satire und Zeichentrick vereinbaren lassen. Die Figuren sind gezeichnet, die Hintergründe bestehen aus Fotos und zeigen etwa eine Klasse, in der Deutschlehrer Willard Deutschebog mit seinen Schülern deutsche Abschiedsfloskeln übt. Deutschebog ist ein lebensuntüchtiger Angsthase, dessen Erinnerungsrückblenden zu allem Überfluß mit dem Scheibenwischer weggewischt werden: So macht sich Hurwitz lustig über Serien à la "Family Guy", die nur aus einer Reihe von Flashbacks bestehen.

Die besten Zeichentrickgeschichten erzählt nach wie vor Greg Daniels' "King of the Hill". Antiheld Hank Hill ist ein erstklassiger Biedermann, der die Fettnäpfchen seiner Frau reinigt und die Paranoia von Nachbar Gribble mäßigt. Jede Folge nimmt sich Zeit, um etwa die alberne Begeisterung für schale Witze von Hanks Sohn Bobby vorzuführen und mit des Vaters Vorbehalten gelungen zu synthetisieren.

Die Reallife-Comedy "30 Rock" (beim ominösen deutschen TV-Sender TNT - es empfiehlt sich, die DVD-Version im Original zu goutieren) treibt die Selbstreferenz auf die Spitze. Liz Lemon alias Tina Fey produziert darin eine Comedyserie bei NBC - mit eitlen Stars, nerdigen Gagschreibern und dem überlebensgroßen Alec Baldwin als NBC-Chef. Obwohl deutsche Fernsehfritzen gern alles, was in Übersee Lustiges und Unlustiges ersonnen wird, imitieren - "The Office" wurde dreist geklaut und via "Stromberg" als Ein-Mann-Zotenshow präsentiert - wäre eine Sendung wie "30 Rock" hierzulande undenkbar: Esther Schweins produziert eine Geschichtsserie fürs ZDF im Mainzer Hauptquartier, wobei sie mit Schmierendarstellern "Adolf Hitler im Wiener Obdachlosenheim" inszeniert? Träum weiter.

Unvorstellbar auch eine so witzige Kritik am Kultur- und Medienbetrieb, wie sie im glücklichen Amerika "Flight of the Conchords" übt: Die neuseeländischen Musiker Jermaine und Bret leben in New York und bemühen sich darum, ein paar Dollars mit ihrer Musik zu verdienen. Ihr Manager verschafft ihnen zwar keine lukrativen Gigs, doch er schreibt Konzertverrisse für seine eigene Botschaftszeitung, in der er sich über das Fehlen der Instrumente beklagt, die Jermaine und Bret mangels Mietzins verkaufen mußten. Die absurde Handlung wird gelegentlich unterbrochen durch Gesangseinlagen im MTV-Videoclip-Stil, der dabei gehörig und gekonnt persifliert wird. Und ein Song wie "Most Beautiful Girl" hätte selbst dem guten Theodor Wiesengrund gefallen.

- Vielen Dank an Tracy Littleton für die Unterstützung bei der Recherche -

"Curb your Enthusiasm" ("Laß es, Larry") läuft derzeit im Pay-TV-Sender Fox Channel; DVDs bei Warner Home Video oder als UK-Import.

DVDs von "New Adventures of Old Christine", "It's Always Sunny in Philadelphia", "Arrested Development" und "King of the Hill" bei 20th Century Fox; von "30 Rock" bei Universal und von "Flight of the Conchords" bei Warner.

Peter Kusenberg schrieb in KONKRET 5/09 über den Heidelberger Appell und die Googlekratie

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36