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36 Jahre Konkret CD

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Heft 09 2009

Rolf Surmann

SPRINGPROZESSION

Die Rehabilitierung von "Kriegsverrätern" hat keinerlei gesellschaftliche Konsequenzen.

Die Initiatoren der Rehabilitierung von Soldaten, die wegen Kriegsverrats im Zweiten Weltkrieg verurteilt worden waren, glaubten, den Nachweis erbringen zu müssen, daß die Verurteilten nicht ehrenrührig gehandelt haben. Dafür haben sie geforscht und Beweise gefunden. Als nun auch der ehemalige Bundesverfassungsrichter Hans Hugo Klein in einem Gutachten für die Bundesjustizministerin zu dem Schluß kam, der Kriegsverratsparagraph sei so formuliert, daß man ihn als juristische Verbrämung von Tötungsverbrechen verstehen könne, gab die SPD-Bundestagsfraktion, die noch im Jahr 2002 Kriegsverräter der NS-Wehrmacht als "vaterlandslose Gesellen" gebrandmarkt hatte, ihre Blockadehaltung auf. Mit einigen Wochen Verzögerung folgte ihr die CDU/CSU-Fraktion, nachdem Verteidigungsminister Jung mit Bezug auf das Gutachten erklärt hatte, er könne in einer Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter keinen Schaden für die Bundeswehr erkennen. Das große internationale Interesse tat dann ein Übriges.

Natürlich ist die Rehabilitierung der letzten aus politisch-moralischen Gründen Verfolgten der Wehrmachtjustiz zu begrüßen. Festzuhalten ist auch, daß CDU/CSU zum ersten Mal auf eine Einzelfallprüfung verzichtet und einer pauschalen Rehabilitierung zugestimmt haben. Unakzeptabel bleibt jedoch, daß die verurteilten Kriegsverräter in dieser Debatte immer stärker lediglich als Opfer einer verfolgungswütigen Justiz gesehen wurden und man ihr Recht auf Widerstand mit allen Konsequenzen einer entsprechenden Tat nicht thematisierte. Damit hat man eine grundsätzliche Bekräftigung des Widerstandsrechts in einem ungerechten Krieg - in diesem Fall: Vernichtungskrieg - vermieden.

Immerhin stellt die jetzige Entscheidung zumindest implizit auch das Eingeständnis eines bisherigen Fehlverhaltens dar. Deshalb stünde nun eigentlich eine Reflexion über Ursachen und Konsequenzen dieses Versagens an. Doch der Bundestag sieht auch jetzt die Notwendigkeit einer Prüfung nicht, wie es überhaupt um die Rechtsstaatlichkeit der bisherigen juristischen Praxis und um die Gerechtigkeit gegenüber all den anderen Verurteilten bestellt ist. Was es über das Rechtsverständnis dieser Gesellschaft sagt, mit einem solchen Justizunrecht über Jahrzehnte gut gelebt zu haben, ist ein noch ungeschriebenes Kapitel.

Gegenüber den lebenslang zunächst verfolgten und dann diskriminierten Menschen sowie ihren Angehörigen sieht sich das Parlament erst recht nicht in der Pflicht. Die dürfen sich jetzt einfach freuen. Der Beschluß zur Rehabilitierung der Kriegsverräter erscheint deshalb als punktuelle Abspaltung heute nicht mehr zu rechtfertigenden nazistischen Unrechts - ohne jede weitere gesellschaftliche Konsequenz.

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Literatur Konkret Nr. 36