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36 Jahre Konkret CD

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Heft 06 2008

Kay Sokolowsky

Scheibenkleister

Kabarett auf Westerwelle-Niveau

Das müssen andere Zeiten gewesen sein damals, 1919, als ein junger Journalist notierte: Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel. Heute sitzt man auf der Couch und nimmt nicht die Pointen übel, sondern ihre Abwesenheit.

Es ist Donnerstag, 23 Uhr, und die ARD-Kabarettshow "Scheibenwischer" sorgt für ein Befinden, das etwa in der Mitte zwischen Wut und Wachkoma liegt - man könnte es gelähmtes Entsetzen nennen, atemloses Gähnen oder schlicht Trübsinn. Was da gezeigt wird, ist so fad und brav wie eine Regierungserklärung von Angela Merkel und ebenso scheinheilig, eitel, gemein.

Der folgende Satz zum Beispiel könnte von der Kanzlerin stammen, aber gesagt hat ihn einer, der mal für einen Satiriker gehalten wurde, Bruno Jonas: "Man muß sich fragen, was die Frau Ypsilanti in der Schule gelernt hat. In Ethik jedenfalls hat sie gefehlt." Hingequakt in der "Scheibenwischer"-Ausgabe vom 20. März, nachdem Frau Ypsilanti mitgeteilt hatte, sie nähme ihre Wahl zur Ministerpräsidentin von Hessen auch dann an, wenn insgeheim Vertreter der Linken für sie votierten. Daß sie damit kein einziges Versprechen brach, das sie vormals abgegeben, focht Jonas nicht an; er plapperte einfach nach, was die Trottelpresse vorgebetet hatte. Um die Ethik des Leitartikels durchschauen zu können, hat "Bruder Barnabas" offenbar nicht oft genug bei der Salvatorprobe auf dem Nockherberg gefehlt.

Seinem Kompagnon Mathias Richling gelang es in derselben Sendung, diese Dumpfmeisterei zu übertrumpfen, indem er eine Parodie auf Andrea Ypsilanti hinlegte, die sogar für seine Verhältnisse erbärmlich war (Quäkstimme, hysterisches Gelächter, Haarraufen - niemals, nirgends, bei keiner Gelegenheit war am Original eine verwandte Geste, ein ähnlicher Ton zu beobachten), und diesen vollauf Guido-Westerwelle-kompatiblen Kalauer: "Ich mache aktive Versprechensbekämpfung." Großer Applaus von einem Publikum, über dessen Idiotie und Ressentimentgeladenheit hier noch geflucht werden wird - keine Sorge.

Nun lassen die Kanzlerin ebenso wie die Amtsinhaber des "Scheibenwischer" sich damit abtun, daß es gar nicht lohne, sich über Opportunisten wie sie zu empören, daß die dummen, banalen, bigotten, reaktionären Phrasen, die aus den jeweiligen Maskenmündchen fallen, eine Aufregung nicht wert seien, weil hinter ihnen ja kein Charakter steckt. So hat auch der Autor die Plattheit und Blöddreistigkeit des Vortrags lange Zeit geduldet, weil ihm die Vortragenden viel zu harmlos schienen und mit ihrer Harmlosigkeit viel zu sehr kokettieren, als daß er diese Figuren eine Zehntelsekunde lang ernst nehmen mochte. Im Fall Frau Merkels ist die Großzügigkeit des Publikums ein Fehler, der sich historisch bereits gerächt hat, im Fall der Scheibenwischiwaschis eine Lässigkeit, die zwar in der Welthistorie keine Spur hinterlassen wird, doch in der eigenen Geschichte - als Fernseh- und Komikverbraucher - nicht eben gut aussähe, bliebe sie bestehen.

"Wenn ein Politiker sagt, daß es so schlimm nicht ist - dann kann man davon ausgehen, daß das Gegenteil stimmt", grunzt Jonas; und Richling greint: "Statt einer vermehrten Beimischung von Ethanol zum Benzin sollte man besser eine verminderte Beimischung von Gabriel zur Bundesregierung durchsetzen." Tosendes Gelächter, rasender Beifall, wilde Schnitte. Das hätte der Reaktionär, der täglich in "Bild" mit offener Hose Briefe publiziert, nichtiger nicht hinrotzen können. Der Einfluß Krähwinkels hat die deutsche Satire in ihren so dürftigen Grenzen gehalten, schrieb vor 89 Jahren jener junge Journalist, der anschließend nichts unversucht ließ, um den Deutschen beizubringen, was die Satire darf, nämlich: alles. Sie haben weder ihn noch sein Experiment zu würdigen vermocht, sie leben weiterhin in Krähwinkel; und Satire darf bei ihnen auch alles, bloß nicht überraschend, intelligent, präzis, kurz: Satire sein.

Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient ... nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird. Aus dem charaktervollen Künstler von 1919 ist die Knallcharge, aus dem moralischen Kampf bigottes Gespreize, aus der Nichtachtung wegen Beleidigtheit eine Ignoranz aus Langeweile, aus dem empörten Fauchen ein kerndummes Gegacker geworden. Was Eckhard Henscheid vor mehr als zwei Jahrzehnten in Erledigte Fälle angesichts der Kabarettkatastrophe Hanns Dieter Hüsch konstatierte, gilt unverändert: "(Diese) SPD- und Grünen- und Gewerkschaftskultur rund um die Hüsche und Kittners und Kraut- und Rübenquatschis aller Couleur, sie ist nicht nur kein Deut klüger als die ohnehin fehlende der Reaktion, sondern wenigstens noch infamer. ... (Ihr) dankbares Dauerkichern über alles und jedes hat selber etwas Höllisches - die Erbärmlichkeit des deutschen Kabarett- und ›Kleinkunst‹-Publikums, das ist in Wahrheit das Thema."

Geändert hat sich seit Henscheids fulminanter Polemik allein und allerdings das politische Selbstverständnis der "Scheibenwischer"-Protagonisten und ihrer Fans: Sie wollen keineswegs mehr links sein, sondern dort, wo Exlinke sich besonders wohlfühlen, in der "Mitte der Gesellschaft", vulgo: am Arsch der Welt. Senil wie die Witze auf der Bühne wirkt das Studiopublikum; und eventuell drückt die permanent angewiderte Miene von Bruno Jonas einen letzten Rest kritischen Bewußtseins aus, so als dächte er: "Welch ein Greisenhaufen sind wir geworden!" Der sichtbare Verdruß hat Konsequenzen: Zum Ende des Jahres wird Jonas den "Scheibenwischer" verlassen. Er wolle "mal was anderes machen, einen neuen Blickwinkel auf die Dinge gewinnen", teilte er mit, und das kann ihm und erst recht uns nur guttun.

Bereits im Februar verließ Richard Rogler holterdipolter das Showensemble, angeblich, weil er sich auf seine Bühnenauftritte konzentrieren wolle. Vielleicht aber auch, weil ihn schwere Scham befallen hatte über den Quatsch, den er, ein einstmals zurechnungsfähiger Mann, vom üblen Genius loci verführt, etwa am 22. November 2007 produzierte. Er sei gegen einen Streik der Satiriker, obschon alle Welt zur Zeit streike, denn "da können die Krankenkassen dran kaputtgehen. Lachen ist gesund, lachen entlastet die Krankenkasse." Da es beim "Scheibenwischer" nie was zu lachen gibt, müßte, Rogler zufolge, die Sendung hauptverantwortlich für die Misere der Kassen sein. Und krank vor Abscheu angehörs solcher verschimmelter Ladenhüter aus der untersten Schublade des deutschen Kabaretts kann man schon werden.

Der Genius loci (er selber würde sagen: Genius Lokus), der alles verdirbt, heißt Richling. Er wird zurückbleiben ab 2009 und neben ihm, dem Parodisten, der in tausend Verkleidungen tausendmal die gleiche miese Parodie abliefert, dem Polemiker, der todesmutig offene Türen einrennt, dem Komiker, der die Witze drischt, bis sie sich übergeben, werden nur mehr infernalische Inferioritäten wie Arnulf Rating, Hagen Rether oder Frank Lüdecke zu besichtigen sein. Leider nicht das letzte Aufgebot deutscher Kleinkunst, doch gewiß das Allerletzte. Satire, schrieb vor 89 Jahren Kurt Tucholsky, trommelt gegen alles, was stockt und träge ist. Nähme bloß einer beim "Scheibenwischer" diesen Satz mal ernst und brächte das peinsame Theater zu einem würdigen Ende mittels Selbstzerfleischung! Aber Georg Schramm, der einzige, der's richten könnte, ist bereits 2006 zum ZDF geflüchtet. So gnadenlos kann die Satire sein.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36