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36 Jahre Konkret CD

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Heft 02 2010

Ann Löwin

Schande für Berlin

Ortsbesichtigung: Im und am Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg kann man der Staatsgewalt bei der Integrationsarbeit zusehen.

Ein schöner Montagmorgen im November, die Sonne scheint, es ist ungewöhnlich warm. Ein paar Vögel zwitschern im laublosen Gebüsch, das den Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg umgibt. Freilaufende Hunde mit ihren Besitzern tauchen auf, Schülergruppen trinken Kaffee und rauchen. An einer Wand des ehemaligen Bahnhofs am nordwestlichen Ende des Parks bewegt sich die Ecke eines überdimensionales Plakats im Wind: "Dealer vepißt euch", gegenüber an der zehn Meter hohen Einzäunung des Sportplatzes ist ein Transparent professionell außer Reichweite festgezurrt: "Terroristen sind die, die Abschiebeknäste bauen." Rund um den Park liegt der süßliche Gestank von Verwesung in der Luft: Der sich seit Wochen stapelnde Müll in den Sackgassen und unter den Bäumen gärt, während eine Kolonne der Berliner Stadtreinigung (BSR) beginnt, die überquellenden Mülleimer des Parks zu leeren und Papier mit langen Stangen vom graslosen Boden zu picken. Sie nähern sich der Mitte des Parks, der "Kuhle", ein riesiges flaches Loch, an dessen Hängen im Sommer ganz Kreuzberg in der Sonne liegt. Um eine der Bänke am Rand der Kuhle sammelt sich eine Gruppe Schwarzer: Zwei morgendliche Jogger, ein Pärchen mit Hund, zwei späte Partygänger und eine Gruppe Zeitarbeiter von der Nachtschicht lassen sich mit duftenden Croissants und Kaffee auf die Bänke sinken. Es wird gelacht, geneckt, die letzten Infos vom Wochenende werden ausgetauscht, einer baut einen Joint, dessen Duft schnell den des um die Bänke rottenden Mülls überlagert. Irgendwer spielt Vybz Kartel auf seinem Handy.

Kurz macht die Gruppe den Weg frei für die anrollende BSR, drei Arbeiter krabbeln aus dem VW-Bus, um wortlos den sonntäglichen Müll unter den Bänken um die Gruppe aufzuklauben. Einer fällt mehr aus dem Wagen, als daß er geht, blinzelt in die Sonne, bevor er, von seinen Kollegen unbemerkt, auf die Gruppe zutorkelt. "Scheiße, ja?", lallt er, fixiert einen der Jogger auf der Bank, während er mühsam das Gleichgewicht hält. Einer seiner Kollegen ruft ihm etwas zu, was ihn nicht weiter interessiert, er macht eine ausladende Armbewegung: "Du machen den ganzen Scheißmüll, ja? Dreckschweine!" Keiner reagiert ernsthaft, ein alteingesessener Kreuzberger Schwarzer mustert den Deutschen über die Schulter: "Im Schnapsfaß übernachtet, oder was ..." und wendet sich wieder ab. Unvermittelt greift der BSRler einem auf der Bank sitzenden Zwei-Meter-Jamaikaner ins Haar und nuschelt: "Ist das echt?" Der Jamaikaner nimmt langsam den Arm des Typen und zieht die Hand von seinem Kopf. "Faß mich nicht an, Alter." Der Franzose winkt einem BSR-Kollegen: "Eh, nimm mal deinen Kumpel da weg, der stinkt." Ohne Eile packen die Arbeiter den Besoffenen in den Bus, der "Scheiß Dreckschweine" und "Scheiß Niggerpack" brüllt.

Am Sonntag drauf, es ist immer noch schön, der Park gegen Mittag knallvoll und fast das, was eine Anwohnerinitiative sich im Sommer wünschte: ein Park für alle, ohne "Dreck und Drogen". Gemeint war die angeblich zunehmende Präsenz Schwarzer, die "aggressiv mit Drogen dealen", mit Gras. An Gras Interessierte gibt es augenscheinlich genug, vornehmlich Berlin-Touristen, die, anders als die gut vernetzten Einwohner, keine feste Quelle haben. 2007 begann die Polizei bereits mit täglichen Einsätzen, 2008 sprang die Presse auf: Ganzseitig druckte die "BZ" im Juni Fotos von bemützten Schwarzen mit und ohne Joints und titelte: "Der Görlitzer Park - eine Schande für Berlin". Wie zuvor der Weinbergspark im Vorzeigebezirk Mitte und die Gegend um den Helmholtzplatz rückte der Görlitzer Park als nächstgelegener innenstädtischer Park ins Visier der Publicity-Beauftragten. Nicht zuletzt das Großprojekt "Media-Spree" ein paar Straßen weiter nördlich, mit O2- und Universal-Gebäude verlangte eine ordentliche Umgebung. Aus anderen Parks polizeilich verdrängte Dealer und sogenannte "Boat People", die die Überfahrt von Afrika überlebt und sich bis ins Zentrum von Europa vorgearbeitet hatten, die im Park schnelles Geld mit Weed machten, waren denkbar unwillkommen. Als die "BZ" die Fotos veröffentlichte, lagen zwei der Abgelichteten bereits im Krankenhaus: ein ausgekugelter Ellenbogen und gebrochene Rippen, als Ergebnis einer Aufräumaktion von Kripo und Beamten des Abschnitts 53 der Direktion 5 der Berliner Polizei im Görlitzer Park.

Während bis in die neunziger Jahre der Park schlicht abgefuckt war, der Schlamm sich im Frühjahr mit der Hundescheiße vermischte, im Sommer spärlich Gras darüber wuchs, im Winter alles spiegelglatt zueiste, um dann wieder aufzutauen, und die im Park sich Aufhaltenden einander wenig beachteten, ist im November 2009 eine allgemeine Aufmerksamkeit zu spüren. Die Hundebesitzer halten sich von den Wiesen und Kindern fern, sammeln ordentlich den Kot ihrer Köter ein und fordern alle anderen dazu auf, es ihnen nachzutun, Eltern versuchen, ihre Kinder davon abzuhalten, an Hunden herumzuzerren, die Alkoholiker suchen eifrig nach den alltäglichen Prügeleinen alle Flaschenhälse und Essensreste zusammen und schütten die Feuerstelle sowie die Hundebuddellöcher zu, und die neu angelegten Wege werden regelmäßig von kleinen Streifenwagen befahren. Pünktlich gegen 13 Uhr durchkämmen Zivilbeamte den Park und kontrollieren alle Schwarzen, die nur deshalb noch da sind, weil sie nichts verkaufen.

An diesem Sonntag kommen die Beamten um 14 Uhr, diesmal sind es vierzig Männer und Frauen, die alle in und um den Park anwesenden Schwarzen ansprechen, ihnen Handschellen anlegen und sie in die Wiener Straße bringen, die südlich am Park entlangführt. An den wartenden Bussen werden alle frontal und zweimal im Profil ohne Kopfbedeckung abgelichtet und dann in die Fahrzeuge verfrachtet. Drogen finden die Beamten keine. Ein Ungar hält einen Joint in der Hand, den er bereitwillig aushändigt und später vergeblich zurückfordert, nachdem er sich auf dem Bürgersteig wie die anderen bis auf die Unterwäsche auskleiden und seine Zehenzwischenräume untersuchen lassen mußte. Seine weiße ungarische Frau steht neben ihm und kann ihre Durchsuchung nach der Hälfte stoppen.

Nach ein, zwei Stunden sind die Busse voll: Schwarze Männer aus der Karibik, Südamerika, Westafrika und aus Europa betrachten gottergeben die weiter in den Park strömenden Menschen. In den Park "ohne Dreck und Drogen", wie ihn die Anwohnerinitiative sich erträumte. Als ein Zyniker auf einer Versammlung der Initiative 2009 "Penner vertreiben, Punks vertreiben, Park nachts schließen, per Video überwachen" forderte, hatte er vermutlich keine Ahnung, wie nah die Realisierung dieser Vorstellung schon war.

Schließlich kontrollieren Kripo und Polizeibeamte des Abschnitts 53 der Direktion 5 den Park nach eigenen Aussagen im Jahr über 300 Mal, also täglich. Das mag auch der Grund sein, weshalb andere Parkbesucher und Anwohner nur halbherzig einschreiten, sie haben sich daran gewöhnt. Und die Polizeiaktionen richten sich gegen erwachsene Dealer, sagen Anwohner und Ladenbesitzer in den angrenzenden Straßen, was die meisten angesichts der vielen Kinder im Kiez nur richtig finden.

Sie fühlen sich gestört und bedroht von den jungen Schwarzen, die so gar nicht in das Pop-Multikulti-Konzept des grünen Kreuzberg passen wollen. Die Dealer verkauften an Minderjährige, heißt es, wirklich glauben tut das keiner. Über den aggressiven Verkaufstil beklagt sich dagegen fast jeder: Beim Betreten des Parks würden sich gleich mehrere Dealer, unerfahren, auf die Besucher stürzen und von ihnen nicht ablassen, bis sie außer Reichweite sind. Es ist auch Unkenntnis über die Schwarze Community, die im Grunde keine ist, auf Seiten der Deutschen, die die Anwohner davon abhält, souverän mit dem Problem umzugehen. Die klassischen sozialpädagogischen Einrichtungen, die im Kiez um den Park eine eigene Mafia bilden und sich, staatlich gefördert, für die "Integration migrantischer Kinder und Erwachsener" einsetzen, sind völlig überfordert. Kriminelle sind nicht ihr Metier, Kriminalisierte auch nicht. Man differenziert eben nicht nach deutschen Schwarzen, schwarzen Europäerinnen und Europäern (Touristen) oder Schwarzen, die seit 30 Jahren in Deutschland überwintern, oder Männern und Frauen aus der Karibik oder aus den afrikanischen Ländern und Asylsuchenden, die aus Kriegsgebieten fliehen und mit deutschen Befindlichkeiten gar nichts anzufangen wissen.

Manche kennen, weil sie neu sind, weder ihre Rechte noch die konkreten polizeilichen Strukturen. Ohne Papiere bleibt ihnen nur die Flucht vor der anrückenden Polizei. Gelingt sie nicht, landen sie - da ohne Anwalt - entweder nach der LKA-Verwahrung im Abschiebeknast Köpenick, oder die Polizei nimmt ihnen, wenn sie Glück haben, lediglich Geld aus dem Verkauf und die Drogen ab und läßt sie (ohne Quittung über die Beschlagnahme) laufen. Geld bedeutet hier 300 bis 500 Euro in kleinen Scheinen.

Oft genug können Anwohnerinnen und Anwohner am Nachmittag oder Abend Schwarze über die Straße sprinten sehen; dort, wo sie Zuflucht finden, in migrantischen Cafés oder Restaurants, fällt die Polizei ein paar Tage später ein und räumt mit der falschen Hilfsbereitschaft gründlich auf. So auch einige Tage nach Neujahr 2010, gegen neun Uhr am Sonntagabend. In einer Seitenstraße am Görlitzer Park fahren Polizeiwagen vor, einer hält an, hinter ihm ein zweiter, ein dritter wendet und hält gegenüber. Die aussteigenden Polizeibeamten sind dick gepolstert, wie Michelinmännchen stapfen sie über die Straße durch den Schnee und entern den Dönerladen, der direkt am Ausgang des Görlitzer Parks liegt. Durch die eiskalte Luft hallen ein paar gedämpfte Befehle, Türen schlagen. Kurz dringt Dönergeruch durch die geöffnete Tür, Schnee knirscht, als sich zehn gepolsterte Polizisten vor dem Tresen zu arrangieren versuchen, dann ist der Letzte drin und die Tür schließt sich. Auf dem Bürgersteig treten die restlichen 20 Polizisten brummelnd auf der Stelle.

Es dauert vielleicht zwanzig Minuten, zahlreiche Kreuzbergerinnen und Kreuzberger schlängeln sich mal vor, mal hinter der Ansammlung in Grün vorbei, telefonieren, diskutieren oder tippen auf ihr Handy ein, ohne den Uniformierten weiter Beachtung zu schenken. Eine Hausbewohnerin mit Kind schiebt ihren Kinderwagen durch den Kessel, einer der Beamten sammelt hilfsbereit einen heruntergefallenen Kinderhandschuh ein und sagt beim Überreichen sowas wie "Dutschidutschi".

Hinter ihnen tritt ein junger Schwarzer aus dem Lokal, gefolgt von zwei Polizisten, die ihn rechts und links an den Oberarmen gepackt über die Straße führen. Sie schieben ihn in den parkenden Bus, der hellerleuchtet und für alle einsehbar in der zweiten Reihe parkt. Sie tasten ihn ab, kurz darauf beginnt er sich auszuziehen. Zwischendurch unterbricht ihn einer der beiden Polizisten, tastet erneut, durchsucht abgelegte Kleidungsstücke, augenscheinlich ohne Erfolg, fordert dann zum Weitermachen auf. Nackt und nur verdeckt von dem im Innern angebrachten Tisch dreht der junge Mann dem Kreuzberger Publikum irgendwann den Rücken zu. Nach zwanzig Minuten, der Fahrer des Busses ist eingenickt, gibt der durchsuchende Polizist mit einem kurzen Winken zu verstehen, daß die Durchsuchung beendet ist. Wieder am Oberarm wird der junge Mann zurückgeführt, er bleibt kurz auf der Straße stehen, löst seinen Arm aus dem Griff und sagt ruhig aber bestimmt etwas wie: "Ist wirklich nicht notwendig" und, als die Beamten "Halt die Backen" antworten, nachgreifen und weiterschieben, lauter: "Was soll das?" Sie schubsen ihn in den Kessel, ein weiterer Schwarzer wird aus dem Dönerladen geführt, in den vor der Tür parkenden Bus geschoben und ebenfalls eine halbe Stunde lang durchsucht. Den dritten, auf den die beiden vorigen durchgefroren auf dem Bürgersteig warten müssen, nehmen die Beamten schließlich nach eineinhalb Stunden mit. Vorwurf: Unerlaubte (da er noch nicht 18 ist) Betätigung eines Spielautomaten.

Lamin, der als erster durchsucht wurde, ein 20jähriger Gambianer, bestellt sich mit eineinhalbstündiger Verspätung seinen Döner. Während er wartet, sortiert er den von den Beamten durcheinandergebrachten Inhalt seines Portemonnaies. Es ist das vierte Mal in dieser Woche, daß er kontrolliert wurde, vor zwei Tagen wurde er wegen Handels mit BTM (Betäubungsmitteln) verurteilt. Er ist entschlossen, gegen das Urteil vorzugehen: Er habe nicht verkauft; die einzigen Beweismittel sind die Aussagen zweier Polizeibeamter, die nach eigener Aussage wegen der Dunkelheit nicht sicher sind, ob er oder ein zweiter Angeklagter dealte. Als Lamin 2008 das erste Mal im Görlitzer Park kontrolliert, verhaftet und mit zehn weiteren Gambianern, Senegalesen und einem Schweden in das LKA-Gebäude in Berlin-Tempelhof gebracht wurde, hatte er noch einen Aufenthaltsstatus, der diplomatische Immunität garantiert: Sein Vater ist Mitarbeiter der gambischen Botschaft. Als die Polizei realisiert, wen sie da inhaftiert hat, setzen sie Lamin schnell vor die Tür und schreiben der Botschaft einen blumenreichen Entschuldigungsbrief. Der Vater beschwert sich und kritisiert die Praxis der Polizei scharf: Lamins Großvater hat, wie zahlreiche Männer der Familie aus dem Senegal, im Dienst der französischen Armee gegen den Nationalsozialismus gekämpft, es scheine ihm, daß sich die Situation in Deutschland nicht grundsätzlich verändert habe. Die Beschwerde, versteht sich, verpufft.

Ann Löwin berichtete bereits in KONKRET 1/07 über Polizeieinsätze in Kreuzberg

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36