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36 Jahre Konkret CD

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Heft 06 2009

Svenna Triebler

Ruhe und Ordnung

Warum der Staat die Nazis neuerdings wieder als Problem erkennt.

Es ist schon deprimierend, wenn man als Sternstunde der Sozialdemokratie bezeichnen muß, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Denn überraschend ist es kaum zu nennen, was eine kürzlich von fünf SPD-Justizministern vorgestellte Studie auf knapp hundert Seiten belegt: Die NPD ist eine Nazipartei. Und: Man muß, um das herauszufinden, nicht ihre Kader als V-Leute subventionieren. Mit einer Beendigung dieser bizarren Praxis ist allerdings ebensowenig zu rechnen wie mit einem erneuten Versuch, die NPD zu verbieten.

Dennoch ist in staatstragenden Kreisen offenbar wieder zu Bewußtsein gekommen, was nach dem im Jahr 2000 ausgerufenen und bald wieder in Vergessenheit geratenen "Aufstand der Anständigen" jahrelang ignoriert wurde: daß Deutschlands rechtsextremes Milieu wächst und gedeiht. Als Neonazis im Anschluß an ihren Großaufmarsch in Dresden im Februar dieses Jahres einen Bus mit Gewerkschaftern angriffen, die sich auf der Abreise von einer Gegendemonstration befanden, und dabei mehrere Personen schwer verletzten, ging dieser Vorfall nicht, wie sonst üblich, irgendwo im hinteren Teil der Lokalmeldungen unter, sondern sorgte bundesweit für Schlagzeilen (allerdings wohl auch, weil es sich bei den Angegriffenen in diesem Fall nicht um Ausländer, Obdachlose oder unangepaßte Jugendliche handelte).

Im März wurde die faschistische Nachwuchsorganisation "Heimattreue deutsche Jugend" verboten, die zuvor jahrelang unbehelligt bereits Kindern im Grundschulalter Nazi-Ideologie eintrichtern durfte. Bei diversen Razzien gegen Neonazistrukturen in den letzten Monaten wurden wiederholt Waffen und Propagandamaterial beschlagnahmt. Und ein für den 1. Mai in Hannover geplanter Aufmarsch von Neonazis durfte nicht stattfinden, weil sich selbst das Bundesverfassungsgericht der ursprünglichen Verbotsbegründung eines "polizeilichen Notstands" anschloß.

Wer an die "wehrhafte Demokratie" und andere Floskeln der freiheitlich-demokratischen Grundordnung glaubt, könnte also finden, das Problem sei in guten und kompetenten Händen. Und an der Begründung des hannoverschen Demonstrationsverbots, in der es unter anderem heißt, daß auch in dem Fall, daß vom Naziaufmarsch selbst keine Straftaten ausgingen, mit solchen jedoch in jedem Fall von seiten linker Gegendemonstranten zu rechnen sei, könnten sich sogar autonome Antifas ob ihrer Wirkungsmacht freuen. Das allerdings wäre ein klassischer Fall von zu früh (beziehungsweise an falscher Stelle) gefreut, und das nicht nur, weil das Demonstrationsverbot zur Folge hatte, daß insbesondere die sogenannten "autonomen Nationalisten" sich statt dessen in verschiedenen Städten zusammenrotteten und gezielt Maikundgebungen des DGB angriffen - so unter anderem in Dortmund, in kleineren Gruppen aber auch in Rotenburg, Neumünster und an anderen Orten.

Am Beispiel des 1. Mai läßt sich die neuerwachte Staatsantifa recht gut charakterisieren. Augenfällig ist dabei insbesondere, daß faschistische Umtriebe nicht in erster Linie als ideologisches, sondern als ordnungspolitisches Problem behandelt werden. Daher verwundert es nicht, daß die Neonaziszene vor allem seit dem Aufkommen der "autonomen Nationalisten" wieder verstärkt ins Blickfeld der Staatsschutzorgane geraten ist. So lange sich der faschistische Mob darauf beschränkte, in seinen "national befreiten Zonen" auf Ausländer, Linke und sonstige nicht ins rechte Weltbild passende Menschen loszugehen, konnte er dies relativ ungehindert tun. Seit der braune Nachwuchs aber nicht nur linke Dresscodes kopiert, sondern auch offen staatsfeindlich auftritt, sieht der Staat sein Gewaltmonopol in Frage gestellt und geht mit Maßnahmen gegen die Szene vor, mit denen bisher vor allem Linke bedacht wurden, etwa mit teils absurden Auflagen für oder Totalverboten von Demonstrationen.

Ein Grund zum Feiern ist das nicht. Denn es geht ja nicht in erster Linie darum, faschistischem Gedankengut die Grundlage zu entziehen (vielmehr haben viele von Staatsgeldern mitfinanzierte Projekte gegen Rechts mit Mittelkürzungen zu kämpfen), sondern darum, im Einsatz gegen Nazis jene Politik von Ruhe und Ordnung zu legitimieren, deren eigentlicher Feind die anderen, die linken "Extremisten" sind. Die praktischen Konsequenzen dieser Politik erleben insbesondere diejenigen, die ihr antifaschistisches Engagement nicht auf Sonntagsreden beschränken. So mußte sich der hannoversche DGB-Vorsitzende Sebastian Wertmüller vorwerfen lassen, "Gewalt" zu schüren, weil er im Vorfeld des 1. Mai zu Blockaden aufgerufen hatte, sollten die Nazis marschieren dürfen. Und während es die Polizei zwar nicht schaffte, den Angriff der 300 Rechtsextremen auf die Dortmunder Maidemonstration zu verhindern, hatte sie doch ausreichend Kräfte im Einsatz, um bundesweit gegen antifaschistische Aktivisten vorzugehen. Nur zwei Beispiele von vielen.

Nun könnte man ja immerhin die Hoffnung hegen, die Antifa aus Polizei und Justiz, wenn sie nicht mal wieder das Interesse verliert, könnte die Neonazis wenigstens zurückdrängen. Aber man muß nicht einmal der These anhängen, im Kapitalismus werde die faschistische Option bewußt als Reserve für harte Zeiten vorgehalten, um zu sehen, daß die staatliche Eindämmungsstrategie nichts nutzen wird. Selbst wenn der größte Teil der etablierten Politik Demokratie und Grundgesetz ernst nähme oder wegen des schlechten Eindrucks aufs Ausland ein ernsthaftes Interesse an der Bekämpfung faschistischer Umtriebe hätte, fänden Nazis in der immer weiter nach rechts rückenden Mehrheitsgesellschaft genug Anknüpfungspunkte, um sich nicht ins Abseits gestellt zu fühlen.

Ein Staat, der tagtäglich unerwünschte Ausländer in die Armutszonen der Welt abschieben läßt und die übrigen mißtrauisch ob ihrer Deutschlandkompatibilität beäugt, macht sich mit noch so vielen "Bunt statt braun"- und "Friedliches Miteinander"-Appellen nicht glaubwürdiger im Kampf gegen Rassismus. Die Sicherung deutscher Arbeitsplätze steht ganz oben auf der politischen Agenda, und die Bundeswehr ist bei ihrer Sicherung deutscher Interessen bereits in Weltgegenden vorgedrungen, von denen die Wehrmacht nur träumen konnte. Und natürlich wird sich kein Politiker, dem an seiner Karriere gelegen ist, mangelnde Vaterlandsliebe vorhalten lassen wollen. Solange der Antifaschismus also dem Staat überlassen bleibt, wird er so wirkungsvoll sein wie das Verbot von Killerspielen zur Verhinderung von Amokläufen.

Svenna Triebler ergründete in KONKRET 5/09 das subversive Potential der FDP

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36