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36 Jahre Konkret CD

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Heft 08 2004

Georg Fülberth

Rette sich, wer kann

Zur Lage der Gewerkschaften

Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirkse, hat folgendes festgestellt: "Gemessen an seinen eigenen Ansprüchen ist Gerhard Schröder gescheitert." So stand es in der "Welt am Sonntag". In Wirklichkeit hat das nicht Bsirske zuerst gesagt, sondern Schröder. 1998 erklärte er, er wolle die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen senken und sich an diesem Vorhaben messen lassen. Das Ergebnis im Juli dieses Jahres: 4,23 Millionen, amtlich.

Wenn die Tatsachen so deutlich sprechen, hilft nur noch brüllen. Deshalb fauchte Schröder den Bsirske im "Spiegel" an, Leute, "die inhaltlich nichts anzubieten haben", sollten in den Gewerkschaften besser nichts zu melden haben. Vier Tage nach dem Anranzer Schröders äußerte sich Frank Bsirske im "Stern" recht moderat. Man solle jetzt, statt ständig auf der Agenda 2010 herumzuhacken, in die Zukunft schauen.

Hat er Angst? Falls ja, dann zu Recht.

Bsirske weiß, daß er in der Auseinandersetzung mit der entkräfteten SPD der noch Schwächere ist. Seine Verdi schrumpft schneller als diese Partei. Gewerkschaften gewinnen ihre Stärke aus der Fähigkeit, Arbeitskraft zu kartellieren. Bei langdauernder Massenerwerbslosigkeit geht das nicht.

Gewerkschaften haben nur eine einzige Basis: die Lohn- und Gehaltsabhängigen. Sind diese hilflos, geht die Organisation in die Knie. Die SPD aber ist eine Volkspartei. Das heißt: zwischendurch wird sie auch vom Kapital gebraucht. Sie muß helfen, daß die kleinen Leute stillhalten. Das tun die gegenwärtig sowieso. Deshalb könnte das laufende Regierungsmandat 2006 enden. An einer dauerhaften Ausschaltung der SPD haben die Unternehmer aber kein Interesse, an derjenigen der Gewerkschaften schon. Es sei denn, sie sind - wie die Sozialdemokratie - als Partner für das Co-Management zu gebrauchen. Vier Augen sehen mehr als zwei.

Das sozialdemokratische Personal weiß, auf welche Seite es sich zu stellen hat. Eine Vizepräsidentin des Bundestages, Susanne Kastner, hat Verdi verlassen und ist in die kapitalfromme Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie eingetreten.

Dem Kanzler gefiel die Rede, die der neue Bundespräsident nach seiner Vereidigung hielt. Der DGB-Vorsitzende bemängelte, die Gewerkschaften seien nicht erwähnt worden. Warum auch? Ebensogut hätte Köhler von der DKP sprechen können.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stand der SPD meist etwas weniger fern als vergleichbare Einrichtungen. Es hat den Vertrag seines Konjunkturexperten, Horn, nicht verlängert. Dieser tritt für eine Förderung der Nachfrage durch expansive Geld- und Fiskalpolitik ein, also für das Gegenteil dessen, was die Regierung veranstaltet. Der Chef des DIW, Zimmermann, hat eine andere Idee: die 50-Stundenwoche. Schröder und Eichel können damit leben, Bsirske und IGM-Peters nicht. Sie bringen weniger auf die Waage als manche Betriebsräte, deren innergewerkschaftliches Gewicht daraus resultiert, daß sie durch die Unternehmensleitung erpreßbar sind.

Rette sich, wer kann. Nicht alle können es.

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Literatur Konkret Nr. 36