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Matthias Gockel
Reinrassiger Journalismus
Wie die »Süddeutsche Zeitung« entdeckte, daß der Kanzlerkandidat Stoiber noch nie von der »durchraßten Gesellschaft« gesprochen hat
Die »Süddeutsche Zeitung« ist ein pluralistisches Blatt. Hier darf Heribert Prantl immer wieder (und zusehends tiefer in biblische Metaphern verstrickt) Nächstenliebe und Fremdenfreundlichkeit predigen. Hier ist aber, im Lokalteil, auch Platz für den ganz normalen Fremdenfreund, der die kriminellen Ausländer abschieben will und zwar plötzlich.
Am 7. Februar 2002 hatte die »Süddeutsche« an eine besonders fremdenfreundliche Äußerung des Kanzlerkadidaten Edmund Stoiber (CSU) aus einem früheren Wahlkampf erinnert: »Stoiber hatte 1988 als CSU-Generalsekretär gesagt, der SPD-Politiker Oskar Lafontaine wolle ›eine multinationale Gesellschaft, durchmischt und durchraßt‹. Den Ausdruck ›durchraßt‹ hatte Stoiber hinterher bedauert.« Einen Tag später widerrief das Blatt: »Stoiber hat nie gegen die ›durchraßte Gesellschaft‹ gehetzt.«
Stoiber habe 1988 als neuer Innenminister Bayerns »bayerische Journalisten zum Hintergrundgespräch« eingeladen, in dem es »sehr schnell« wieder um das Eine ging: »Stoiber warnte davor, dass die Deutschen dort, wo »Ausländer die Mehrheit der Wohnbevölkerung stellten«, zu den Republikanern überlaufen würden«. Gegen den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Lafontaine gewendet, der »übertriebene Deutschtümelei« in der Diskussion über Aussiedler kritisiert hatte, habe Stoiber gesagt: »Unsere Aufgabe ist es, in erster Linie Politik für Deutschland zu machen.«
Ein Gedanke, den der Minister dann eingehender erläutert habe: »Es folgte eine mehrminütige Suada, ein typischer Stoiberscher Wort-Steinbruch. Darin fand sich ein Satzfragment, daß Lafontaine eine ›multinationale Gesellschaft‹ wolle, die von den Republikanern als ›durchmischt und durchraßt‹ bezeichnet und von den Bürgern abgelehnt werde. So war das Wortgewitter zu verstehen, und keiner der Journalisten stand schreckensbleich auf, um die Stätte zu verlassen, an der angeblich im Nazi-Jargon gesprochen worden sein soll. Jedem war klar, dass da kein Haßerfüllter gesprochen hatte.« Als zwei Vertreter der Zunft, denen dies offenbar doch nicht ganz so klar war, »nachhakten«, habe Stoiber »eindeutig klar« gemacht, »daß er den Sprachgebrauch der Republikaner aufgenommen hat und (!) sich diese Begriffe nicht zu eigen macht«.
Diese Darstellung, behauptete die »SZ«, beruhe auf der Erinnerung von Friedrich Kurz (damals »Bild«, heute ZDF), der es »unfair« finde, daß Stoiber »ständig falsch zitiert wird. Die das tun, wissen es oder könnten sich erkundigen«. Auch der mittlerweile verstorbene »SZ«-Autor Egon Scotland habe Stoibers Aussage »keine große Bedeutung« beigemessen und sie »unspektakulär in eine Betrachtung über Stoiber eingebettet«.
Das ist schön geschrieben und zeigt, wenn man sich den Text von 1988 nochmals vornimmt, wie unterschiedlich man lesen kann. Überschrieben war der Hintergrundbericht mit »Sich selbst und die Asylanten nicht geschont. Der neue Innenminister will für eine scharfe rechte Kante der CSU sorgen«. Obwohl der Berichterstatter der »SZ« dem neuen Minister, der, »von Strauß gestählt, ... nicht locker läßt, vorausschaut, rasch handelt und ohne Zimpern zufaßt«, mit Sympathie begegnet, geht er die Äußerungen zum Thema Asylpolitik kritisch an. Stoiber »bestreitet nicht sehr überzeugend«, daß hinter seiner Warnung, »es drohten aus der weiten Welt 50 bis 60 Millionen Asylanten in die Bundesrepublik zu strömen, ein politisches Kalkül steckt: Die Sorge, nach dem Tod von Strauß und der Wahl des milderen Theo Waigel zum Parteichef könne die rechte Kante der CSU nicht mehr scharf genug blinken, könnten die konservativ und national gesinnten Wähler von der Bayern-Union dauerhaft enttäuscht sein«. Stoiber propagiere eine »Politik für die Deutschen«, damit die nicht »zu den Republikanern überlaufen«.
Dann folgte das Zitat, das heute keines mehr sein soll: Lafontaine »wolle ja eine ›multinationale Gesellschaft auf deutschem Boden, durchmischt und durchraßt‹, formuliert er jäh«. Das von Kurz erinnerte Nachhaken und Stoibers anschließende Distanzierung hinterlassen in dem Bericht keine Spuren. Stoiber wollte, so der Bericht von 1988 weiter, »eine ›Politik für die nationale Identität‹ machen, um eine ›latente Diskussion‹ aufzugreifen, die zu einem Sprengsatz der Ausländerfeindlichkeit wird, wenn sich die Politik nicht ihrer annimmt«.
In der darauffolgenden Wochenendausgabe berichtet derselbe »SZ«-Autor, daß Stoiber »die Äußerung revidierte, der SPD-Politiker Lafontaine wolle eine Gesellschaft, die ›durchraßt‹ sei. Um nicht mit der SPD über Worte streiten zu müssen, sondern in der Sache streiten zu können, sei er ›gerne bereit, auf diesen Begriff zu verzichten‹«. In derselben Ausgabe der »SZ« erschien ein Kommentar mit der Überschrift »Stoiber wird tätlich«: »Man möchte es am liebsten nicht glauben, den Satz als Zeitungsente abtun. Doch ... Edmund Stoiber hat die furchtbaren Worte gleich vor zwei Dutzend Journalisten ausgesprochen, denen es buchstäblich den Atem verschlug ... Wenn wir es jetzt nicht besser wüßten – die Stoibersche Wortschöpfung ›durchraßt‹ hätten wir glatt dem Wörterbuch des Unmenschen zugeordnet.«
Verschlug es den Journalisten den Atem, weil doch »im Nazi-Jargon gesprochen« wurde? Oder war dieser Empörte das erste Opfer einer »Zeitungsente«, noch vor dem Redakteur Herbert Riehl-Heyse, der am 9. November 1988 Stoiber das »Wortungetüm von der ›Durchrassung‹« zuschrieb?
1988 wußte die »Süddeutsche« noch, daß bestimmte Begriffe »gezielt eingesetzt werden, um die extrem rechten Wähler bei der Stange zu halten« und dass »auch jede Empörung über Stoiber Teil seines zynischen Kalküls sein dürfte«. 14 Jahre später nimmt das Blatt Stoiber in Schutz gegen »Zitierer« und »Wiederaufbereiter«. Daß Stoiber rechtsextreme Wähler umwarb, bis der Waffen-SS-Mann Schönhuber sich rühmen konnte, die CSU »wie eine Hammelherde vor uns herzutreiben«, ist nicht mehr wahr, und auch Schönhuber nur noch ein »früherer Top-Journalist« , der »mit seinem bulligem bayerischen Charme und seinen politischen Verführer-Qualitäten nicht nur der CSU schlaflose Nächte« bereitete.
Übrigens hatte auch Schönhuber schon 1988 erklärt, »das Wort ›Rasse‹ mit Absicht noch nie gebraucht, sondern stets nur von der ›Bewahrung der nationalen Identität‹ geredet zu haben«, was zur abschließenden Frage führt, von wem Stoiber den Begriff der »durchraßten« Gesellschaft eigentlich aufgenommen (aber sich nicht zu eigen gemacht!) haben will.
Matthias Gockel ist Sozialist und lebt in der Nähe von New York City
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KONKRET Text 56
KONKRET Text 55
Literatur Konkret Nr. 36
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