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36 Jahre Konkret CD

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Heft 01 2007

Oliver Tolmein

Rassismus bleibt

Der sogenannte Bleiberechtsbeschluß der deutschen Innenminister verschlechtert die Situation einer großen Zahl hierzulande bislang geduldeter Ausländer/innen.

Die Adventszeit nahte, und so meldete sich das Bedürfnis, etwas Besinnliches zu tun. Die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) nutzte auf ihrer Sitzung am 17. November in Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage, die heute so gerne die Stadt des internationalen Rechts sein möchte, die Gelegenheit, sich eines seit Jahren kontrovers und hitzig diskutierten Themas anzunehmen: Es ging um das Bleiberecht von Flüchtlingen, die seit Jahren in Deutschland leben und hier ein, wenn auch zumeist nicht gerade sehr komfortables und heimeliges Zuhause gefunden haben, die aber nicht über einen gesicherten aufenthaltsrechtlichen Status verfügen. 156.593 geduldete Ausländerinnen und Ausländer leben derzeit im Bundesgebiet, mehr als ein Viertel von ihnen schon länger als elf Jahre, so gibt es die offizielle Statistik an.

Zweimal hat es in der Vergangenheit bereits Versuche gegeben, Regelungen zu treffen, vor allem mit Blick auf Asylsuchende, deren Asylanträge nicht bewilligt worden waren, die aber auch nicht abgeschoben werden konnten: Es waren die sogenannten Altfallregelungen vom 29. März 1996 und vom 19. November 1999. Beide Versuche führten dazu, daß nur wenige Flüchtlinge eine Perspektive erhielten, für die meisten änderte sich kaum etwas - und das politische Problem blieb ungelöst.

Der nun beschrittene Weg von der Altfallregelung zum Bleiberechtsbeschluß mag sprachlich ein Fortschritt sein, tatsächlich werden aber kaum mehr Menschen von der neuen Regelung profitieren können als von den früheren. Bemerkenswert ist bereits, daß der Bleiberechtsbeschluß keine eigene rechtliche Grundlage für einen Aufenthaltsanspruch von Ausländern in der Bundesrepublik schafft. Statt dessen verweist er auf Paragraph 23 des "Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet", der den obersten Landesbehörden die Kompetenz gibt, aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen bestimmten Ausländern und Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Der Bleiberechtsbeschluß ist also insofern nicht mehr als der Versuch, eine einheitliche Verwaltungsregelung der Länder in diesem Bereich durchzusetzen.

Die hat es allerdings in sich, wenn auch anders, als ihr Titel glauben macht. Bei Lektüre des sechsseitigen Beschlusses fällt rasch auf, daß die Innenministerkonferenz der Länder neben dem Ziel, den betroffenen Ausländern ein gesichertes Bleiberecht zu gewährleisten, gleichrangig festschreibt, daß es ihr mit diesem Vorhaben darum gehe, "die Zuwanderung in die Sozialsysteme" zu vermeiden. Der politische Wille, nur denjenigen in Deutschland zu dulden, der den Staat und "die Sozialsysteme" nichts kostet, durchzieht den gesamten Beschluß.

Nur diejenigen Ausländer sollen ein Bleiberecht erhalten, die in einem "dauerhaften Beschäftigungsverhältnis" stehen und den Lebensunterhalt ihrer Familie am Tag des IMK-Beschlusses durch "eigene legale Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen" gesichert haben und bei denen zudem angenommen werden kann, daß dies sich auch in Zukunft nicht ändert. Das ist nicht nur deshalb eine aparte Anforderung, weil gerade das Leben der Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland dadurch geprägt ist, daß sie oft jahrelang vergeblich um eine Arbeitserlaubnis gekämpft haben. Weil die Antragsteller nicht nur den eigenen Lebensunterhalt, sondern auch den ihrer Familie sichern können müssen, werden darüber hinaus oft Einkünfte von ihnen verlangt, die selbst Inhaber einer Green Card kaum erzielen könnten. Daß in Zeiten befristeter Arbeitsverträge, verringerten Kündigungsschutzes und allgemeinen Lohndumpings ausgerechnet Ausländer ohne gesicherten rechtlichen Status nachweisen sollen, daß sie auch zukünftig genug Geld verdienen werden, um sich und ihre Familie ohne Nutzung von Sozialleistungen durchzubringen, wird die Chancen von bleibewilligen Antragstellern zusätzlich mindern.

Selbst dort, wo sich die Innenminister und -senatoren im Geiste des Advents demonstrativ humanitär spreizen und beispielsweise bei erwerbsunfähigen Personen nicht voraussetzen, daß sie in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis stehen, erwarten sie doch wenigstens, daß "deren Lebensunterhalt einschließlich einer erforderlichen Betreuung und Pflege in sonstiger Weise ohne Leistungen der öffentlichen Hand dauerhaft gesichert ist". Auch Personen, die am Tag des IMK-Beschlusses das 65. Lebensjahr vollendet haben, müssen nicht in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis stehen, wenn sie ein Bleiberecht in Deutschland erhalten wollen, vorausgesetzt, sie haben in ihrem Herkunftsland keine Familie, dafür aber im Bundesgebiet Angehörige, die über einen dauerhaften Aufenthaltsstatus beziehungsweise die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen und die dadurch sicherstellen, daß für die Antragsteller keine Sozialleistungen in Anspruch genommen werden. Die 70jährige Irakerin, die es nach Deutschland geschafft, hierzulande aber keine Familie hat und die möglicherweise pflegebedürftig ist, wird also in den Irak zurückkehren müssen. Und der 66jährige nierenkranke Flüchtling, der trotz Ablehnung seines Asylantrages vor neun Jahren wegen des Bürgerkriegs in seinem Land nicht abgeschoben werden konnte, braucht neben seiner Tochter mit deutscher Staatsangehörigkeit noch das Geld, um seine Krankenversorgung bezahlen zu können - denn krankenversichert wird er in der Regel nicht sein.

Was aber soll eine Bleiberechtsregelung, die so hohe Anforderungen an das Bleiberecht stellt, daß nur die allerwenigsten Betroffenen sie erfüllen können? Ein Blick auf Punkt 2 des Innenministerbeschlusses gibt genauere Auskunft. Dort heißt es: "Der Aufenthalt von Ausländern, die nach dieser Regelung keine Aufenthaltserlaubnis erhalten können, muß konsequent beendet werden. Die Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländern soll durch geeignete Maßnahmen verbessert werden, und praktische Hindernisse der Abschiebung, insbesondere von Straftätern, sollen soweit möglich beseitigt werden." Auch hier fehlt, wie zu erwarten war, nicht der Verweis auf das Sozialleistungssystem, das geschützt werden müsse, wenn es heißt: "Die Innenminister und -senatoren sind sich darüber einig, daß den nicht unter die Bleiberechtsregelung fallenden, nicht integrierten Ausreisepflichtigen keinerlei Anreize für den weiteren Verbleib in Deutschland aus der Nutzung der Leistungssysteme gegeben werden dürfen."

Der Bundesgesetzgeber soll diesbezügliche Veränderungen im Leistungsrecht prüfen, und die Innenminister wollen die Umsetzung der entsprechenden Gesetze durch maßgebende Erlasse beeinflussen. Wenn der Bleiberechtsbeschluß also, wie von gutmeinenden Expertinnen und Experten geschätzt wird, für etwa 40.000 Menschen tatsächlich eine Verbesserung ihrer rechtlichen Situation in Deutschland bewirken kann, so wird er auf jeden Fall für die restlichen 120.000, um die es hier geht, spürbare Verschlechterungen zur Folge haben. Für sie wird die Ausweisung in Zukunft eher möglich und voraussichtlich auch leichter durchsetzbar sein. Solange aber diejenigen, die die Voraussetzungen des Bleiberechts nicht erfüllen, allen Bemühungen der deutschen Behörden und Beschützer der Sozialleistungssysteme zum Trotz nicht ausgewiesen werden können, werden viele von ihnen zum Ärger der Kassenwarte des deutschen Sozialleistungssystems weiterhin Unterkunft, Geld und Verpflegung erhalten müssen, damit ihr Existenzminimum gesichert bleibt - schließlich will Deutschland sein Image als sozialer Rechtsstaat erhalten. Die Leistungen für diejenigen, die nicht bleiben dürfen, die aber diesmal nicht (sofort) gezwungen werden können zu gehen, werden mit diesem neuesten Beschluss der Innenministerkonferenz im Rücken nach Kräften so weit reduziert werden, daß im Vergleich dazu die äußerst kärglichen Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz als großzügige Wohltat erscheinen dürften.

Der Protest gegen den Bleiberechtsbeschluß der Innenministerkonferenz hat sich bislang in Grenzen gehalten. Die üblichen Mahner aus den Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, den Kirchen und den versprengten Resten der weiland gefeierten Zivilgesellschaft haben ihre Kritik zutreffend formuliert und sind, im Protest gegen die routinierte und professionelle Unmenschlichkeit ermüdet, zur Tagesordnung übergegangen. Es wird ja auch tatsächlich nur Stück für Stück fortgeschrieben, was schon in der Endphase der sozialliberalen Koalition, also in grauer Vorzeit, begonnen und von der Gesellschaft gelassen hingenommen wurde.

Dabei eröffnet der Bleiberechtsbeschluß nicht nur keine Perspektive für nichtdeutsche Staatsbürger/innen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Er läßt sich auch als Blaupause der Ordnungspolitiker für den Umgang mit dem eigenen Staatsvolk lesen, dem angesichts des zunehmenden Unmuts über die hohen Kosten der Sozialleistungssysteme auf diesem Wege mitgeteilt wird, wie es sich zu verhalten habe. Warum soll man, was bleibewilligen ausländischen Staatsbürgern an Anstrengungen und Fähigkeiten abverlangt wird, nicht auch von der eigenen Bevölkerung fordern? Zwar lassen sich deutschstämmige Alte, deren Familien nicht ihre volle Pflege übernehmen, oder deutsche Behinderte, die Eingliederungshilfeleistungen aus der Sozialhilfe beziehen, deswegen nicht einfach abschieben, aber ... Davon wird dann in der übernächsten Runde der Debatte über die Neuausrichtung der Kranken- oder Rentenversicherung gesprochen werden.

Oliver Tolmein schrieb in KONKRET 10/06 über die "Antiterrormaßnahmen" der Bundesregierung

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36