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Jörg Kronauer
"Putin demontieren"
Wer ist "die russische Opposition" und was erwartet der Westen von ihr?
Die Krise, sagt Garri Kasparow, kommt am Jahresende. Der langjährige Schachweltmeister, Aushängeschild der russischen "demokratischen Opposition", prognostiziert im ZDF-Mittagsmagazin schwere Verwerfungen im Moskauer Machtgefüge. "Das Dach stürzt ein, das Fundament ist verrottet", orakelt er über die Herrschaft des Kreml und sagt ihren "zukünftigen Zusammenbruch" voraus. Im Dezember 2007 soll es soweit sein, wenn die Dumawahl gerade stattgefunden hat und die Präsidentenwahl kurz bevorsteht. Wladimir Putin scheidet dann aus dem Amt, sein Nachfolgekandidat steht noch nicht fest. Ein Machtvakuum zeichne sich ab, meint Kasparow: Eine "tiefe innenpolitische Krise" komme auf Rußland zu.
Das Medieninteresse, das Kasparow seit Anfang März im Westen genießt, übertrifft die Berichterstattung über die sonstige russische Opposition bei weitem. Weder der Jabloko-Block noch die Union der Rechten Kräfte und schon gar nicht die Kommunistische Partei erhalten auch nur annähernd soviel Aufmerksamkeit. Angefangen hat es mit dem "Marsch der Unzufriedenen" am 3. März in Sankt Petersburg. Zwischen 1.000 und 2.000 Demonstranten durchbrachen Polizeisperren und gerieten mit Polizeikräften aneinander. Zu der Veranstaltung aufgerufen hatten der als korrupt geltende frühere Ministerpräsident Michail Kasjanow und Kasparow. Beide haben ein klares Ziel. Mit einer Serie von Demonstrationen - die nächsten sind für Ende Mai und für Juni angekündigt - wollen sie jene Kreise der Bevölkerung mobilisieren, die mit der aktuellen Regierungspolitik nicht einverstanden sind.
Kasparow, den die westlichen Medien derzeit zum Hoffnungsträger stilisieren, arbeitet seit der letzten Dumawahl im Jahr 2003 systematisch auf einen Machtwechsel hin. Bereits im Januar 2004 startete er seinen ersten Organisationsversuch: Gemeinsam mit Boris Nemzow, einem ehemaligen Vorsitzenden der Union der Rechten Kräfte, gründete er das "Komitee 2008 ›Freie Wahl‹". Die beiden verkündeten, sie wollten verhindern, daß Putin ein weiteres Mal kandidiere. "Das Komitee traf sich mehrmals, gab einige scharfe oppositionelle Erklärungen heraus und verschwand schon Mitte 2004 wieder in der Versenkung", berichtet Jens Siegert, der Moskauer Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung. Nemzow hatte ein anderes Betätigungsfeld gefunden: Er unterstützte die Umsturzbewegung in Kiew und trat nach deren Erfolg als Wirtschaftsberater des neuen ukrainischen Staatspräsidenten Juschtschenko auf.
Kasparow setzte seine Bemühungen in Rußland fort. Bereits damals verfügte er über hervorragende internationale Kontakte. Zum ersten Mal waren sie 1991 erkennbar geworden. Die Sowjetunion existierte noch, da erhielt der damalige Schachweltmeister vom Washingtoner Center for Security Policy eine Auszeichnung für seinen Einsatz als "antikommunistischer Widerstandskämpfer". Die Beziehungen zu dem Think-tank, der eng mit dem republikanischen Establishment verwoben ist, blieben bestehen. Als Kasparow im Jahr 2005 seine Schachkarriere beendete und sich vollständig der Politik widmete, führte das Center for Security Policy ihn noch offiziell als Mitglied eines internen Beratergremiums, des National Security Advisory Council. Inzwischen hat es Kasparow aus der im Internet einsehbaren Beraterliste entfernt. Die Kontakte zu hochrangigem Personal lassen sich jedoch nicht einfach löschen. Co-Vorsitzender des Advisory Council etwa ist der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey. Er leitete von 2003 bis 2005 die Washingtoner Organisation "Freedom House", die damals unter anderem das ukrainische Umsturzpersonal trainierte.
"Wir wollen Protestpotential bündeln", erklärte Kasparow wenige Monate nach dem Kiewer Umsturz gegenüber dem "Stern": "Das Ziel muß sein, (Putins) Regime zu demontieren." Zu diesem von der Ukraine abgeschauten Zweck gründete er seine nächste Organisation, die "Vereinigte Bürgerfront". Mit ihr organisierte er am 30. Oktober 2005 den ersten "Marsch der Unzufriedenen" in Moskau, zu dem freilich nur einige hundert Teilnehmer erschienen. Es hatte Ärger gegeben, denn Kasparow war ein umstrittenes Demonstrationsbündnis mit der Nationalbolschewistischen Partei eingegangen, die nicht nur rechtsextreme Positionen vertrat, sondern im Sommer 2005 offiziell als verfassungsfeindlich eingestuft und verboten worden war. "Unser Ziel besteht darin, das kleinste gemeinsame Programm zu entwickeln, das Aktivisten von rechts wie von links unter einer Flagge versammelt, um eine vereinte Front gegen das Putin-Regime zu schaffen", rechtfertigte sich Kasparow Anfang 2006 in der französischen Zeitschrift "Politique Internationale". Die inhaltliche "Leere" des Umsturzbündnisses stößt allerdings auch im Westen auf Kritik. "Ein politisches Programm fehlt", vermerkt die Heinrich-Böll-Stiftung trocken.
Schlimm ist das nicht, solange man über die entscheidenden Kontakte verfügt. Im Sommer 2006 trat Kasparow erneut als Organisationsgründer auf: "Drugaja Rossija", "Das andere Rußland", heißt das Bündnis, das er am 12. Juli gemeinsam mit Kasjanow und den Nationalbolschewisten ins Leben rief. Unterstützung erhielt er vom Washingtoner National Endowment for Democracy, das eineinhalb Jahre zuvor den Umsturz in der Ukraine engagiert gefördert hatte. Sein Präsident Carl Gershman war auf der Gästeliste des Gründungskongresses verzeichnet, daneben weitere einflußreiche US-Persönlichkeiten, etwa der Leiter der Europa-Abteilung des State Department. Ganz wie in Kiew im Herbst 2004 war auch Deutschland bei der Ausrufung des neuen Zusammenschlusses prominent vertreten. Bündnis 90/Die Grünen hatten ihren Chef Reinhard Bütikofer entsandt und waren mit Delegierten der Heinrich-Böll-Stiftung präsent. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ihren Rußland-Beauftragten Andreas Schockenhoff nach Moskau geschickt.
Ein deutscher Regierungsbeauftragter applaudiert der Gründung eines Umsturzbündnisses unter Einschluß der rechtsextremen Nationalbolschewistischen Partei? Selbst die deutschen Medien gerieten etwas ins Schlingern. Da verbündeten sich Menschen miteinander, "die noch nie zusammen an einem Tisch saßen und die eigentlich auch nicht miteinander können", wunderte sich eine Tagesschau-Korrespondentin: "Der ehemalige Gulaghäftling Sergej Kowaljow und der Altstalinist Viktor Ampilow etwa. Oder Alla Gerber von der Holocaust-Stiftung und Eduard Limonow, der sich National-Bolschewist nennt." Was soll man auch sagen, wenn man einen Pakt mit Rechtsextremen nicht kritisieren will oder darf. "Ein starkes Rußland braucht eine starke Zivilgesellschaft", rechtfertigte Schockenhoff seine Teilnahme am Gründungskongreß des "anderen Rußland": "Und ich glaube, wir müssen Kräfte, die diese Zivilgesellschaft gründen, auch öffentlich unterstützen." Dankbar nahm die zuständige ARD-Reporterin die Vorlage auf: "Nach mehreren Jahren Putin eint diese Menschen nun der Wille, ein Rußland aufzubauen, in dem politische Meinungen miteinander konkurrieren können, auch ihre Meinungen."
Wundern kann man sich über das deutsche Lob für derlei Bündnisse mit Rechtsextremen längst nicht mehr. Vergleichbares gab es unter anderem Ende 2004 in der Ukraine. Beobachter von der British Helsinki Human Rights Group waren pikiert, als sie unter den Protagonisten der dortigen "demokratischen Opposition" auf bekennende Antisemiten stießen. Die umstürzlerischen Industriemagnaten um Piotr Poroschenko und Julia Timoschenko, in Kiew unter dem Label "Orange Revolution" vermarktet, hatten sich für ihren Kampf gegen die Regierung traditionell an Deutschland orientierte Milieus ins Boot geholt. Der Kongreß Ukrainischer Nationalisten (KUN) gehörte ihrem Wahlbündnis an; er gilt als Nachfolgeorganisation des Bandera-Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten, dessen Angehörige im Juni 1941 mit der Wehrmacht in Lemberg einmarschierten und sich am Massenmord an den dort lebenden Juden beteiligten. Das "orange" Wahlbündnis, das sich mit Hilfe Washingtons und Berlins schließlich in Kiew an die Macht bringen konnte, unterstützte zudem eine Führungsfigur der rechtsextrem-antisemitischen Partei UNA-UNSO. Der Pakt erklärt sich geostrategisch: Die UNA-UNSO hat erst kürzlich in der NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" ihr Plädoyer für eine Annäherung der Ukraine an die EU bekräftigt.
In den westlichen Hauptstädten ist offenbar in den ersten Monaten dieses Jahres entschieden worden, die Kasparowsche Umsturzkampagne nach dem Modell der Kiewer "Orangen Revolution" stärker als bisher zu unterstützen. Im Dezember war der ehemalige Schachweltmeister noch auf Druck des Kreml bei "Christiansen" ausgeladen worden, ein "Marsch der Unzufriedenen" zum Jahresende blieb ohne nennenswertes Medienecho. Das änderte sich mit der Neuauflage der Demonstration am 3. März. Kasparow eröffnete das übliche Gambit: Kontrollierte Regelverstöße gegen die Auflagen provozierten harsche Reaktionen der Sicherheitskräfte, lieferten aber Pressebilder vom prügelnden Polizeistaat, die in Deutschland mit großer Empörung abgedruckt wurden (vgl. KONKRET 4/07). Natürlich ist das Ganze nur Show - es ist noch keine zwei Jahre her, daß die deutschen Medien Massaker der befreundeten äthiopischen Polizei galant übersahen. Die Medienshow aber -das zeigen die Erfahrungen aus der Ukraine und Georgien - gehört zum Umsturzgeschäft.
Auf politischer Ebene offenbarte sich die Entscheidung des Westens, Moskau stärker unter Druck zu setzen, in den ersten Märztagen in Washington. Die ukrainische Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko besuchte die US-Hauptstadt, konferierte im Center for Strategic and International Studies und besprach sich mit Vizepräsident Dick Cheney und Außenministerin Condoleezza Rice. Das Ergebnis veröffentlichte sie anschließend in der offiziösen Zeitschrift "Foreign Affairs". "Containing Russia" lautete der programmatische Titel, Timoschenko verlangte eine "starke Antwort" auf die staatliche Konsolidierung des Putinschen Rußland. Wenig später begann sie in Kiew mit ihrer Kampagne für vorgezogene Neuwahlen. Das Ziel: ein erneuter Sturz des an Rußland orientierten Ministerpräsidenten Wiktor Janukowitsch.
Bleibt die Frage, wie ernst es dem Westen mit der Umsturzoffensive gegen den Kreml ist. Garri Kasparow sei zwar "die einzige charismatische Figur der liberalen Opposition", urteilt der Moskauer Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung: Mit seiner "Revolutionsrhetorik" kaschiere er aber "das weitgehende Fehlen einer organisierten und organisierbaren sozialen Basis". Kaum jemand rechnet ernsthaft mit wirklichen Massenprotesten. "Nach den instabilen neunziger Jahren wollen die Russen nun endlich ein bißchen Wohlstand genießen", meint der Moskauer Journalist Ulrich Heyden; Putin gelte ihnen als "Garant von Stabilität und einer leicht verbesserten sozialen Situation". Zudem hat der Kreml aus den Ereignissen in der Ukraine gelernt. Das neue NGO-Gesetz etwa unterwirft die Finanzierung sogenannter Nichtregierungsorganisationen scharfer Kontrolle und erschwert den Transfer ausländischer Umsturzgelder erheblich.
Womöglich ist Kasparow im gegenwärtigen Machtkampf nur ein harmloser Bauer, der den gegnerischen König ein wenig bedrängen soll. Auch als solcher aber nützt er Washington, das mit seinen Raketenabwehrplänen stetig den Druck auf Moskau erhöht.
Jörg Kronauer schrieb in KONKRET 5/07 über die deutsche Haltung zur Stationierung von US-Raketen in Osteuropa
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KONKRET Text 56
KONKRET Text 55
Literatur Konkret Nr. 36
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