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36 Jahre Konkret CD

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Heft 12 2001

Hartwig Vens

"Pflicht zur Auslese"

Vom Repräsentanten des "Dritten Reichs" zum Repräsentanten des bundesdeutschen Musikbetriebs. Deutschland feiert den hundertsten Geburtstag des Komponisten Werner Egk

Wer in diesen Tagen zur Post geht, um sich Einszehner-Briefmarken zu besorgen, könnte auf das Konterfei eines dirigierenden älteren Herrn stoßen, versehen mit der Angabe "Werner Egk 1901-1983". "Diese Marke ist ebenso expressionistisch und ›schief‹ wie Werner Egks Musik empfunden wurde und wird", begründet das Bundesministerium für Finanzen seine Entscheidung für das Briefmarkenmotiv. Die Geschichte des Komponisten, Dirigenten und Funktionärs Werner Egk, der mit Sonderbriefmarke und anderen Feierlichkeiten zu seinem hundertsten Geburtstag geehrt wird, ist eine deutsche Erfolgsgeschichte. Sie ist auch ein Beispiel für die bis heute nicht aufgearbeitete faschistische Kontinuität des deutschen Musikbetriebs.

Werner Egk wird als Werner Joseph Mayer 1901 im schwäbischen Dörfchen Auchesheim, heute zur Gemeinde Donauwörth gehörig, als Sohn eines Dorflehrers geboren. Das Elternhaus ist patriarchalisch-streng, eher gegen seinen Willen erhält der junge Werner Klavierunterricht. Nach der Schule verweigert Egk die ihm zugedachte Berufslaufbahn des Postbeamten und geht nach München, wo er sich autodidaktisch die theoretischen und historischen Grundlagen der Musik erarbeitet. Egk wird Schüler von Karl Orff, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden wird. Nach einem längeren Aufenthalt in Italien kommt er 1927 nach Berlin. Dort findet er Einlaß in die Zirkel der künstlerischen und politischen Avantgarde, er macht unter anderem die Bekanntschaft von Brecht, Weill und Mühsam. Auf Empfehlung Weills kommt er zum Rundfunk, wo er sich mit Hörfolgen im Stil der Neuen Sachlichkeit erste Meriten als Komponist erwirbt.

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme beginnt für den ehrgeizigen Künstler eine Zeit des rasanten Aufstiegs. Ein Vertreter der musikalischen Modernität, der gleichzeitig die völkisch-rassistische Ideologie des Nationalsozialismus mitträgt, unterstützt und verbreitet, findet sich selten und hat erstklassige Karrierechancen, auch wenn eines seiner großen Vorbilder Strawinsky heißt. Eine starke Strömung kämpft, angeführt von Joseph Goebbels, für den Aufbruch in eine nationalsozialistische Moderne, die die geistig und "rassisch" erneuerte Nation mittels "stählerner Romantik" oder "heroischem Realismus" zu neuer kultureller Blüte treiben will. Die Rolle als Protagonist dieses deutschen Kunstaufbruchs übernimmt Egk mit Begeisterung.

Darüber hinaus aber verleiht er seiner Geisteshaltung als Redakteur des Ressorts Zeitgenössische Musik bei der im Juni 1933 gegründeten Zeitschrift "Völkische Kultur" ("VK") Ausdruck, Untertitel: "Monatsheft für die gesamte geistige Bewegung des neuen Deutschlands". Musikredakteur Werner Egk trägt in seinem Ressort das Seinige zur Förderung völkischer Kultur bei. So fordert er im Oktober 1933 unter dem Titel "Musik gestern und heute": "Wir brauchen den Fanatismus der unbedingten Leistung und den Glauben an das Erhabene" sowie eine "stählerne Diatonik" gegen die "Vorherrschaft der Chromatik und ihrer Überzüchtung ins Atonale", er postuliert einen musikalischen Aufbruch, der "durch seine Klarheit, seine Aggressivität, seine seelische Dynamik und seine aktivistische Kraft das Volk erfassen und begeistern kann". Trotz seines Rufs als Verteidiger einer völkisch gereinigten Neuen Musik zögert Werner Egk nicht, die Mythen- und Thingspielbewegung künstlerisch zu unterstützen. In seinem "VK"-Text "Volksschauspiel und Musik" entwirft er musikalische Leitlinien für das Volksschauspiel. Durch Großaufführungen soll "in riesigen Hallen oder auf Thingplätzen" ein "neue(s) heroisch-monumentale(s) Theater", "soll die große kultische Form erstehen, die im selben Maß von der Volksgemeinschaft getragen werden wird, in dem sie dieser aufbauende Kräfte zuzuführen imstande ist".

Anlaß der Ausführungen ist Egks Kooperation mit dem völkisch-nationalen Schriftsteller Kurt Eggers, später Abteilungsleiter im Rasse- und Siedlungsamt der SS, dessen Stück "Job der Deutsche" Egk vertonte. Der während des Rußlandfeldzugs als Obersturmbannführer der Waffen-SS gestorbene Eggers wird noch heute in Neonazi-Kreisen als nationaler Dichter und Kriegsheld verehrt.

Fest im völkisch-rassistischen Jargon verwurzelt, streitet Egk in seinen Aufsätzen immer wieder gegen den allgemeinen Rückbezug auf frühere musikalische Perioden, vor allem die Romantik des 19. Jahrhunderts. Gegen den Subjektivismus der Spätromantik fordert Egk das Zurücktreten und Aufgehen des Einzelwillens in der Volksgemeinschaft. Er bedauert die Entstehung des "Salonbolschewismus, der die Schuld daran trägt, wenn die ›Neue Musik‹ in vielen Köpfen als eine Art Kinderschreck existiert". Der wohl deutlichste Beleg für die nationalsozialistische Gesinnung, die dem Kulturschaffenden Egk zu eigen war, ist seine Rezension von Richard Eichenauers Buch "Musik und Rasse", die unter demselben Titel im Juni 1935 in "Völkische Kultur" erschien. Eichenauers Buch ist eine rassenkundliche Herleitung der Überlegenheit deutschen Musikwesens. Den "zersetzenden" Einfluß des Judentums auf die Musik sieht Eichenauer gar als empirisch erwiesen. "Sie gehorchen einem Gesetz ihrer Rasse, indem sie die harmonische Mehrstimmigkeit, die ihnen urfremd ist, folgerichtig zu zerstören suchen."

Dieses entsetzliche Schriftstück findet in Werner Egk einen freundlichen Rezensenten. In einer Reihe ihm vorliegender "zum Teil wirklich wertvoller Musikbücher" ist ihm Eichenauers das wichtigste. Egk vollzieht den Eichenauerschen Gedankengang nach und stimmt ein Loblied auf die Rassenlehre an: "Die Anwendung des rassischen Prinzips schließt jene, dem Zwischenreich eigentümliche Beurteilung nach ›Richtungen‹, seien es ›moderne‹ oder ›reaktionäre‹, vollkommen aus, sie verhindert, daß minderwertige oder gar fremdrassische Werke hochgelobt werden, nur weil sie durch ›nationale‹ Stoffwahl künstlich getarnt sind, sie macht es ferner unmöglich, daß zukunftsweisende Musik abgelehnt wird, weil ahnungslose Spezialisten auf die Kenntnis der rassischen Merkmale überhaupt keinen Wert legen." Das größte Verdienst von "Musik und Rasse" sei, daß es "auch im Kampf um die ›Bestimmung der Fronten‹ innerhalb der Musik der Zeit viel dazu beitragen können" wird, "daß kleinliche Gesichtspunkte der Einsicht in ganz große Zusammenhänge weichen müssen".

Egks letzter Aufsatz in der "Völkischen Kultur" aus dem Januar 1936 befaßt sich noch einmal mit der "gegenwartsfremden Programmgestaltung" des deutschen Musikbetriebs. Der Titel artikuliert sein Postulat im gewohnten NS-Stil: "Pflicht zur Auslese".

Auch als Komponist ist Egk nicht mehr aufzuhalten. Zum durchschlagenden Erfolg wird seine 1934 in Frankfurt uraufgeführte Oper "Die Zaubergeige" nach einem Puppenspiel des bayrischen Grafen Pocci. Der Stoff, in dem ein einfacher Bauerngeselle durch eine magische Geige zu grenzenlosem Reichtum gelangt, Vermögen und adlige Traumfrau jedoch einem einfachen Landleben mit seiner Jugendliebe opfert, entspricht so recht der nationalsozialistischen Weltanschauung - zumal der Gelackmeierte ein unverkennbar als Jude zu dechiffrierender Intrigant und Schacherer namens Guldensack ist.

Aus Anlaß der olympischen Spiele schreibt Egk 1936 die Musik für das Festspiel "Olympische Jugend". Die Abschnitte heißen "Aufzug der Jünglinge", "Fahnenmarsch", "Waffentanz", "Totenklage" und "Hymne". Dank des abgekarteten Spiels zwischen den faschistischen Bruderländern Deutschland und Italien erhält Egk die Goldmedaille in der Disziplin Musik.

1937 komponiert Egk die Hymne "Mein Vaterland" zum 200jährigen Jubiläum der Stadt Göttingen. Im selben Jahr erhält er einen Vertrag als Kapellmeister der Berliner Staatsoper. Die im November 1938 in Berlin uraufgeführte Oper "Peer Gynt" nach dem Stoff von Ibsen wird für Egk zum großen Wurf, beschert ihm aber auch ein paar kitzlige Momente. Die auf die "Systemzeit"-Dekadenz gemünzten atonalen und jazzartigen Passagen werden in ihrer abwertenden Intention von Göring und anderen gewichtigen Teilen der Partei nicht begriffen. Nach Egks eigenen Angaben soll es über sein Werk zum Eklat zwischen Hitler und Göring gekommen sein. Als auf einer Pressekonferenz ein Journalist nach der Darstellung der degenerierten Trollwelt, ein Schauplatz des Stückes, fragt, will Egk ihm geantwortet haben: "Stecken Sie einen fetten Kerl in Generalshosen, ziehen sie ihm ein Netzhemd über, und dekorieren Sie das mit einer Menge Orden und Ehrenzeichen, dann haben Sie ein perfektes Kostüm." Eine Anspielung auf Göring, deren Wahrheitsgehalt jedoch angezweifelt wird. Zum Ausdruck kommt hier Egks Strategie, sich von den Vorwürfen der Mittäterschaft durch den Verweis, sein Werk habe "subversiv" gewirkt, reinzuwaschen. Entscheidend für Egks Karriere als "führende Persönlichkeit des deutschen Musikestablishments" ist das Urteil des Führers: Hitler bittet den Komponisten in seine Loge, um ihm zu "Peer Gynt" zu gratulieren.

Nachdem Egk 1939 die Musik zum NS-Propagandafilm "Jungens", unter anderem den "Marsch der Deutschen Jugend", komponiert hat, wird er 1941 Leiter der Fachschaft Komponisten bei der Reichsmusikkammer und repräsentiert damit das "Dritte Reich" auf internationaler Ebene. Bereits zur Uraufführung der "Zaubergeige" hatte der Leiter der Hauptstelle Musik des Amtes Rosenberg, der fanatische Antisemit und spätere Herausgeber des berüchtigten "Lexikons der Juden in der Musik", Hermann Gerigk, sich lobend über Egks weltanschauliche Zuverlässigkeit geäußert. Auch der RMK-Vorsitzende Goebbels befand Egk als "Mann seines Vertrauens", für höhere Aufgaben geeignet.

Nach Ende des Tausendjährigen Reiches muß sich der kulturpolitische Funktionär und NS-Repräsentant einem Entnazifizierungsverfahren stellen. Mit Hilfe eines Gebäudes aus Lügen, Spurentilgung, präparierten Zeugen, die zu beschaffen ihm aufgrund seiner weitläufigen Verbindungen im Kulturbetrieb leichtfällt und nicht zuletzt infolge der Unfähigkeit von Staatsanwaltschaft und Gericht wird Egk freigesprochen. Während des Verfahrens schreckt der Künstler nicht davor zurück, sich wiederholt als aktives Mitglied einer deutschen Widerstandsbewegung auszugeben.

Anschließend faßt Egk schnell wieder im deutschen Musikbetrieb Fuß. Er arbeitet vor allem für den Südwestfunk, mit dessen Intendant Heinrich Strobel er seit langem befreundet war. Schnell nimmt Egk auch seine verlorenen Funktionärspositionen in den bundesrepublikanischen Entsprechungen der NS-Organisationen wieder ein: Bereits 1949 tritt das ehemalige Beiratsmitglied der Stagma (NS-Vorläuferin der Gema) in den Beirat der Gema ein, bei der er später als langjähriger Aufsichtsrat fungiert.

Von 1950 bis 1953 arbeitet Egk als Direktor der Hochschule für Musik in Berlin. 1954 wird er Präsident des von ihm mitgegründeten Deutschen Komponistenverbandes. Zudem ist er 1969 bis 1971 Präsident des Deutschen Musikrates und 1976 bis 1978 Präsident des Welt-Urheberrechtsverbandes Cisac. Der Repräsentant des "Dritten Reiches" wird zum Repräsentanten der Bundesrepublik und zu einem der mächtigsten Männer im deutschen Musikbetrieb. Kritische Stimmen, die im Zuge der Diskussion um die faschistische Kontinuität in der Bundesrepublik in den sechziger Jahren aufkommen, können der Egkschen Karriere nichts anhaben.

Sein musikalisches Schaffen widmet Egk in der Nachkriegszeit neben der Oper vor allem dem Ballett. Egk feiert nationale und internationale Erfolge. Für seine Verdienste erhält er die höchste Auszeichnung des deutschen Staates, das Große Verdienstkreuz des Bundesverdienstordens, sowie den Bayrischen Verdienstorden, Ehrenbürgerschaften und Goldmedaillen der Stadt München und des Bayrischen Rundfunks. Hochgeachtet stirbt Werner Egk am 10. Juli 1983 im bayrischen Inning.

Seinem hundersten Geburtstag zu Ehren fand nun in seiner Heimatstadt Donauwörth das zweite Werner-Egk-Symposium statt. Musikhäuser in vielen deutschen, vor allem bayrischen Städten bringen Egks Werke zur Aufführung. Neben der erwähnten Briefmarke wird der Jubilar mit einer Gedenkmedaille sowie der Wiederauflage seiner Autobiographie "Die Zeit wartet nicht" geehrt. Dieses Buch ist ein infames Bravourstück an Geschichtsfälschung und Selbstentschuldung. Der launig geschriebene Lebensabriß unterschlägt alle wichtigen Dienste, die Egk dem NS-Regime geleistet hat oder verwandelt sie in Akte der Opposition. Der Vorwurf der Mittäterschaft erfüllt ihn mit einer Empörung, die typisch ist für die kulturellen Kollaborateure und sich ganz ähnlich bei Leni Riefenstahl findet. Vieles spricht dafür, daß Kulturtäter vom Schlage Egks selbst von ihrer Unschuld überzeugt waren, daß sie ihre zurechtgebogene Biographie verinnerlichten. Gegenüber dem alliierten Gericht hatte Egk dreist gefordert, man solle ihm den Zusammenhang zwischen seiner beruflichen Tätigkeit und der Judenvernichtung nachweisen.

Der Musikhistoriker Michael Kater hat Werner Egk als "enigmatischen Opportunisten" bezeichnet. Diese Einschätzung muß nicht nur angesichts der oben erwähnten "VK"-Artikel als zu konziliant bewertet werden. Von seiner emphatischen künstlerischen, administrativen und ideologischen Mitwirkung am Auf- und Ausbau des "Dritten Reiches" hat er sich bis zuletzt nicht distanziert. Seiner Karriere hat das nicht geschadet. Sie erreicht in den diesjährigen Feierlichkeiten einen weiteren Höhepunkt.

Hartwig Vens schrieb in KONKRET 10/01 über den antirassistischen Protest von Rappern

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36