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36 Jahre Konkret CD

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Heft 06 2003

Christoph Horst

Pech und Schwefel

Die rotgrüne Gsundheitspolitik hta ein Faible für Schamanismus

Die Ministerin für Gesundheit und Soziales, Ulla Schmidt, will es der Psycho-Szene recht machen: In ihren Entwurf für die Arzneimittel-Positivliste hat sie homöopathische, anthroposophische und phytotherapeutische Wirkstoffe aufgenommen, die von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden sollen. Die Schmidtsche Liste liest sich wie ein Reprint mittelalterlicher Alchimistenrezepturen, findet man in ihr doch so abartige arzeneyen wie "Zahn der Kuh (dens bovis), Hoden vom Kuhembryo (testes embryonales bovis), Marienkäfer (coccinella septempunctata), Marmor und Pech, Schwefel und Asche".

Einige Mediziner, die eine Gleichsetzung ihrer Arbeit mit Schamanismus befürchten, gründeten als Reaktion auf Schmidts Entwurf eine "Initiative Konsequente Positivliste". Die Mediziner kritisieren, daß bisher noch kein Wirksamkeitsnachweis für die in den Anhängen genannten esoterischen Stoffe erbracht werden konnte "und auch in Zukunft nicht zu erwarten ist". Schließlich werden anthroposophische und homöopathische Mittel nicht nach wissenschaftlichen, sondern irrationalen Kriterien entwickelt (Einwirkungen des Vollmondes etwa oder spirituelle Aufladung durch Schütteln gegen die Erddrehung).

In der Kommission, die den Entwurf erarbeitete, hatten Anthroposophen, Homöopathen und andere Sonderlinge eine Sperrminorität. Zudem müssen paramedizinische Substanzen zur Aufnahme in die Positivliste nicht nach nachprüfbaren Kriterien getestet werden, sondern nach von ihren Vertretern selbst gewählten Grundsätzen. Auf der Homepage des Ministeriums für Gesundheit und Soziales heißt es: "Die Aufnahme der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen als Anhang der Positivliste haben wegen ihres alternativen Heilansatzes eine andere Aufnahmeschwelle, d.h. es werden weniger Arzneimittel ausgeschlossen. Ihre Bewertung folgt den spezifischen Kriterien dieser Therapierichtungen."

Gegenaufklärerisches Denken wird also in einflußreichen staatlichen Gremien nicht nur geduldet, sondern hofiert. Ein Rückfall der Medizin in vorwissenschaftliche Zeiten ist zwar derzeit nicht vorstellbar, da zu viele Mediziner auf naturwissenschaftlicher Basis arbeiten. Aber auch bei diesen wächst die Popularität sogenannter sanfter (also zumeist wirkungsfreier, teilweise aber auch gefährlicher) Medizin zumindest als Ergänzung der sicherlich nicht fehlerfreien Schulmedizin.

Fragt sich noch, ob die rotgrüne Gesundheitspolitik vielleicht selbst ein Produkt alchimistischer Therapieversuche ist.

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Literatur Konkret Nr. 36