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36 Jahre Konkret CD

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Heft 11 2004

Hartwig Vens

Noie Werte

Der Kampf um eine Radioquote für deutsche Musik und gegen den "amerikanischen Kulturimperialismus" geht in die nächste Runde

In der Oktober-Ausgabe des NPD-Organs "Deutsche Stimme" erschien unter dem Titel "Populärkultur wird deutsch, frei und unverkrampft" ein großer Artikel zum aktuellen "Kulturkampf" um die deutsche Popmusik. Anlaß war die Kontroverse um das Stück "Wir sind wir", eine Koproduktion von Wolfsheim-Sänger Peter Heppner und dem Kirmestechno-Guru Paul van Dyk. Ein Foto der beiden untertitelte die "Deutsche Stimme" mit der Zeile "Musik fürs deutsche Selbstbewußtsein" und traf damit ins Schwarze. Das offenbar ewig fortwesende Bedürfnis nach deutscher Selbstvergewisserung befriedigt Heppner mit melancholisch-dräuender Stimme und einem Refrain für ein Volk ohne Schuld und Reue: "Wir sind wir / Wir stehn hier / Aufgeteilt, besiegt und doch / Schließlich leben wir ja noch". Und es gibt weitere Perlen deutscher Reimkunst: "So schnell kriegt man uns nicht klein / Keine Zeit zum Bitter-Sein", oder: "Das war doch nur ein schlechter Lauf / So schnell geben wir doch jetzt nicht auf". Das Video illustriert Heppners Larmoyanzpathos mit Schicksalsbildern aus der jüngeren Geschichte der Nation: Trümmerwüste nach der "Niederlage" (WK II), "Wunder von Bern", Mauerfall und Wiedervereinigung.

Ebenso erfreute wie kompetente Interpretatoren finden Song und Video bei den Nazis von der "Deutschen Stimme". Van Dyk und Heppner, heißt es dort, "legen ein von oktroyierten oder selbstauferlegten Verkrampfungen befreites Verhältnis zur eigenen Nation an den Tag ... Es ist somit zu begrüßen, wenn auch in Deutschland wieder Stück für Stück die Normalität Einzug hält ... Das Volk ist auf dem Weg zu einer neuen Selbstfindung, zu einem neuen Selbstbewußtsein."

Damit noch mehr Lieder produziert werden, die der deutschen Volksseele Ausdruck verleihen, kämpfen Musikanten und Politiker hierzulande seit bald zehn Jahren darum, die deutsche Musik per Radioquote zu fördern. Nötig sei die Quote, "damit deutsche und europäische Kultur sich gegen die Allmacht des amerikanischen Kulturimperialismus durchsetzen kann", sagt nicht etwa der Schriftleiter der "Deutschen Stimme", sondern der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse.

In der Sache sind sich rotgrüne Spitzenpolitiker und Rechtsradikale einig: amerikanische Massenkultur zurückdrängen, nationale Produktion stärken, "kulturelle Identität" bewahren. Eine der ersten Aktionen der NPD nach ihrem Einzug in den sächsischen Landtag war die Ankündigung einer Initiative namens "Es geht auch deutsch" für eine Quotierung "deutschsprachiger Unterhaltungsmusik" beim öffentlich-rechtlichen MDR. Der neue NPD-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag, Holger Apfel, weiß längst, "daß volkstreue Musik ein entscheidendes Element zur Wahrung nationaler Identität ist". Da sie zudem "im Medienzeitalter für die Vermittlung politischer Botschaften immer wichtiger wird", hatte seine Partei im sächsischen Wahlkampf 25.000 CDs "mit Liedern bekannter nationaler Interpreten und Rockgruppen" verteilt. Die Interpreten hören auf so klangvolle Namen wie Lunikoff, Sänger der verbotenen Band Landser, Spreegeschwader, Noie Werte, Faustrecht und Schlachthaus.

Der Kampf um die Hegemonie auf dem in Zeiten intellektueller Verflachung zunehmend in den Blickpunkt rückenden popkulturellen Terrain gewinnt auch bei den Kontrahenten um die politische Mitte an Bedeutung. Auf der Popkomm hielten es die Parteisekretäre von CDU und SPD, Laurenz Meyer und Klaus-Uwe Benneter, für nötig, mit Geistesgrößen wie Paul van Dyk und dem Berliner Mundartreggae-Kasper PR Kantate ("Görli Görli") über Hartz-Reformen, Re-Politisierung des Pop und Pop-Methoden in der Politik zu diskutieren. Und wieder steht eine Quote für deutsche Musik im Radio auf der Agenda.

Was die Forderungen und Argumente betrifft, hat sich seit 1996 nicht viel geändert. Damals rief Heinz Rudolf Kunze unter dem Stichwort "Austritt aus der Nato" zum ersten Mal nach der Quote. Im Jahr 2004 bringt uns Tim Renner, gescheiterter Musikindustriemanager (Universal Music), jetzt Musikindustrievisionär (Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm! Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie heißt sein gerade bei Campus erschienenes Buch) auf den Stand. Wie Renner weiß, rühren die Vorbehalte vieler Popmusiker gegen nationale Bekenntnisse daher, daß die meisten sich für Linke halten. "Linken Patriotismus ... kann und sollte es" aber laut Renner durchaus geben. Nationale Identität kann der Mann, der Rammstein unter Vertrag nahm und Mia verehrt, heute natürlich kaum noch bei Bap oder den Scorpions finden. Es ist die neue deutsche Popmusik, die sich in Charts wie Clubs mit nie dagewesener Stilvielfalt und "Glaubwürdigkeit" breitmacht, die Renner begeistert und die mit ihrer Forderung nach der Quote vor dem Deutschen Bundestag landete, der für Rundfunkbelange gar nicht zuständig ist.

Die Initiative "Musiker in eigener Sache", betrieben vom Ex-Nena-Manager und Fotografen Jim Rakete und dem Ex-Rattles-Gitarristen und "Lied-der-Schlümpfe"-Texter Frank Dostahl, hat es innerhalb eines halben Jahres geschafft, über 600 mehr oder weniger prominente Musiker zur Unterschrift zu bewegen, zwar nicht die Radioprogramm-Macher, aber doch die maßgeblichen Kulturpolitiker hinter sich zu bringen und - pünktlich zur Popkomm - eine Anhörung vor dem Bundestagskulturausschuß zu erreichen. In der Liste der Unterzeichner finden sich ewige Deutschrocker wie Maffay, Lindenberg, Maahn und Niedecken. Auffällig ist jedoch die starke Präsenz junger erfolgreicher Popmusiker mit HipHop- und Clubmusikhintergrund: 2raumwohnung, Mousse T., Smudo, Max Herre, Moses Pelham und sogar der ehemals als antideutsch geltende, inzwischen wohl von dem ebenfalls gelisteten Religionsaugust Xavier Naidoo missionierte Jan Delay von den Absoluten Beginnern. Daß nationale Fackelträger wie Rammstein, Joachim Witt und Mia-Sängerin Mieze auf der Liste stehen, versteht sich von selbst.

Anlaß zum Alarm bestehe, sagen die Quotisten, weil "die deutsche Musikszene in den Medien kaum noch vorkommt". Als Beleg dafür geben sie die niedrige Quote von einem Prozent deutscher Neuvorstellungen "bei einigen Radiosendern" an. "In einer Mediengesellschaft" werde "nur wahrgenommen, was gesendet wird." Dazu ein paar Fakten: In der Woche, in der die Bundestagsanhörung der "Musiker in eigner Sache" stattfand, kamen acht der zehn bestplazierten Alben in den deutschen Longplay-Charts von deutschen Interpreten. Im Jahrbuch 2004 der phonographischen Wirtschaft heißt es für das Geschäftsjahr 2003: "Noch nie waren deutsche Künstler so erfolgreich, der Anteil deutscher Produktionen an den Charts so hoch wie in diesem Jahr." Auf einem Markt, der seit Jahren immer tiefer in die Krise rutscht - die deutsche Musikwirtschaft hat seit 1997 40 Prozent ihres Umsatzes eingebüßt und noch 2003 einen Rekordverlust von 19,8 Prozent eingefahren - überstieg der Anteil "nationaler Künstler" an den Single-Charts erstmals in der Geschichte der Charts die 50-Prozent-Marke. Bei den Longplay-Charts gab es für deutsche Künstler mit 29,5 Prozent ebenfalls ein Allzeithoch. Kein schlechtes Ergebnis für eine Klientel, deren Titel nicht gesendet und deshalb nicht wahrgenommen werden. In der vor der Bundestagsanhörung abgehaltenen Pressekonferenz der "Musiker in eigener Sache" nannte der zu diesem Zeitpunkt Platz eins der deutschen Longplay-Charts belegende Künstler, der Stuttgarter Rapper Max Herre, "Perspektivlosigkeit" als Grund für sein Quotenengagement - die Lage für deutsche Musik werde immer schwieriger.

Das hatte zuvor schon der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, konstatiert und vor dem Ende der mittelständisch geprägten Musikindustrie in Deutschland gewarnt: "Der Umsatz ist in den vergangenen Jahren dramatisch eingebrochen. Das hat Tausende Arbeitsplätze gekostet. Ohne Quote kann die deutsche Musikindustrie nicht überleben." Wenn es Handel und Erzeugern schlecht geht, weil die Konjunktur zickt oder der Weltmarkt sich wandelt, wird der Ruf nach nationaler Protektion laut. Mit gleicher Begründung hätte die deutsche Pommesbudenvereinigung den Schutz vor Döner und McDonalds verlangen können.

Bei der Anhörung vor dem Kulturausschuß des Deutschen Bundestages am 29. Oktober dominierte ein Block aus Musikern, Kulturpolitikern, Musikindustriellen und -pädagogen. Gegner waren die öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanstalten, die einfach nicht verstehen wollten, worum es geht. Es wiederholten sich die Appelle, Vorbehalte gegen das Nationale abzulegen. Jim Rakete gab sich fassungslos ob der "Autoaggression", die manche dazu treibe, angesichts der Quotendiskussion von Deutschtümelei zu sprechen. "Hunderte Musikschaffende in diesem Land aber sehen in einem festgeschriebenen Anteil hiesiger Musik die einzig mögliche Sicherung ihrer kulturellen Identität." Heinz Rudolf Kunze kennt eine Vielzahl noch ängstlich stillhaltender Kollegen, die aus Angst vor Chauvinismus-Vorwürfen vor dem Engagement für die "eigene Kultur und Sprache" zurückschrecken. Inga Humpe hält "die Forderung, sich in der eigenen Sprache auszudrücken ... auch kulturell gesehen für etwas sehr Heilsames".

Der ARD-Vertreter konterte, der Anteil deutscher Stücke betrage bei den von ihm vertretenen Sendern nicht ein, sondern zehn bis 20 Prozent, und beließ es auch sonst bei Hinweisen auf Zahlen und Regelwerk. Der als Gast geladene ehemalige französische Kulturminister Jacques Toubon, der für die Radiosender seines Landes 1994 eine 40-Prozent-Quote für heimatsprachliche Musik eingeführt hatte, sprach von "der Identität unserer Völker, der Identität Europas", den Bemühungen, die man unternehmen müsse, "wenn man unsere Nationen erhalten will", und erntete dafür Ovationen des Publikums. Toubon war es vorbehalten, die Quotenbestrebungen in den rechten Kontext zu setzen: Die französische Quote sei Teil umfangreicher Maßnahmen zum Schutz und der Förderung der französischen Sprache gewesen. Udo Dahmen, Professor der Mannheimer Popakademie, bestätigte, es gehe darum, "die nationale Identität auch in der Sprache zu fördern".

Der einzige Teilnehmer, der rational argumentierte, der Rechtsdozent Jörg Gundel von der Berliner FU, machte klar: Eine Quote für Musik aus Deutschland oder für von Deutschen produzierte Musik sei europarechtlich unzulässig, da sie allein auf die Herkunft abzielt. Zulässig sei eine Quote allein im Kontext der Sprachpflege, wobei hier der nationale Rahmen überschritten und - im Falle des Deutschen - auch Österreich und die Schweiz einbezogen werden müßten. In Deutschland produzierte, englisch gesungene Titel könnten von der Quote nicht geschützt werden. Eine nationale Radioquote könne also rein rechtlich schon nichts anderes sein als ein Instrument des Sprachenschutzes.

Eine Interessengruppe, die sich auf dem Gebiet der Popmusik schon seit einiger Zeit besonders engagiert, ist der Verein Deutsche Sprache (VDS). Schon im Dezember 2003 forderte das VDS-Organ "Sprachnachrichten" die Quote und kredenzte deutsch-völkischen Wortwitz vom Feinsten: "Ob Ungarn, Tschechien, Polen oder die kleinen baltischen Staaten: Überall klingt etwa die Hälfte einheimische Musik. Nur auf deutsche Ohren trommeln nahezu amerikanische Lieder-Lichkeiten (sic!). Es reicht nun allemal." Eine Nachricht neueren Datums vermeldet auch aus den Ostprovinzen erfreuliche Fortschritte beim Männchenmachen: "Auf der Pressekonferenz zeichnete der VDS erstmals ausländische Musikgruppen aus, die in deutscher Sprache singen. Der im Juli ausgeschriebene ›Internationale Musikpreis‹ geht 2004 an die rumänischen Deutschrocker von Ricochée. Die sechs Musiker aus Hermannstadt singen Lieder aus Rock, Pop und Volksmusik. ›Die deutsche Sprache ist fester Bestandteil der Kultur in Rumänien - in Deutschland offenbar nicht‹, erklärte die Band."

Eines der Aushängeschilder des VDS und natürlich vehementer Quotenstreiter ist Reinhard Mey, gleichzeitig Schirmherr von "German Sounds", dem Exportbüro der deutschen Musikwirtschaft. "German Sounds"? Mit einem solchen Exzeß an Überfremdung konnte man vielleicht noch einen deutschen Liedermacher übertölpeln, nicht aber den Wirtschaftsminister: "Solange nicht mal das Exportbüro der deutschen Musikbranche einen deutschsprachigen Namen führt", schnarrte Clement auf seinem Rundgang über die Popkomm, "wird sich auch der deutsche Gesetzgeber gewiß nicht für eine Quotierung deutschsprachiger Musik engagieren." Wer weiß, wie lang das Glück dauert. Sprachakrobat Mey, so hört man, habe schon die Arbeit am neuen Institutsnamen aufgenommen. Zwischenergebnis: "Deutsche Klänge".

Hartwig Vens schrieb in KONKRET 1/04 über die Erben der Scherben

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Literatur Konkret Nr. 36