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36 Jahre Konkret CD

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Heft 03 2008

Georg Fülberth

Neues Deutschland?

Was die Wahlerfolge der Linkspartei bewirken.

Die Wahlerfolge der Partei Die Linke Anfang 2008 sind in zahlreichen Kommentaren als zweifaches Großereignis dargestellt worden. Erstens: Während Roland Koch (CDU) 1999 in Hessen mit einer ausländerfeindlichen Kampagne an die Macht gelangt sei, habe die Wiederholung dieses Anschlags 2008 zu seinem Sturz geführt. Es handele sich um einen Sieg der Zivilgesellschaft. Zweitens: Die ehemalige PDS, jetzt Die Linke, sei im Parteiensystem des Westens angekommen. Damit sei die gesamte Gesellschaft nach links gerückt. Diese These wird inzwischen auch von Konservativen vorgetragen. Sehen wir zu, was es mit den beiden Behauptungen auf sich hat.

Man erinnert sich: Im Winter 1998/99 geriet die gerade ins Amt gekommene Bundesregierung Schröder/Fischer in eine Schwächephase. Sie war unter Beschuß der Kapitalpresse, die ihr zwar nichts vorzuwerfen hatte, aber ständig vor dem Finanzminister Lafontaine warnte und sie zu künftigen Taten (Senkung der Steuern, der Staatsausgaben und der "Lohnnebenkosten") anspornte. Da auch SPD-Mitglieder die "Bildzeitung" lasen, wurden sie an ihrer Partei irre. Nach der Bundestagswahl vom 27. September 1998, aber noch vor dem Amtsantritt von Schröder und Fischer, hatten der künftige Kanzler und sein Außenminister Bereitschaft zu einem militärischen Engagement gegen Jugoslawien erkennen lassen. Einigen Mitgliedern der Grünen wurde es langsam unheimlich. Die Bilanz der Regierung Eichel in Hessen war unbefriedigend: Grüne und SPD hatten Schulen und Universitäten ziemlich heruntergespart.

In dieser Situation startete der CDU-Prätendent Roland Koch anläßlich der hessischen Landtagswahl vom 7. Februar 1999 eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Damit mobilisierte er seine eigenen Anhänger, während viele bisherige Wähler der Koalition, verdrossen von deren unbefriedigender Leistung, zu Hause blieben. Besonders schwächelten die Grünen. Da und dort sollen allerdings auch ganze Ortsvereine der SPD vor den Tapeziertischen der CDU Schlange gestanden haben, um deren Appell gegen die Ausländer zu unterschreiben. Aber das war nur eine Art sekundärer Reflex. In erster Linie meinten sie, die eigene Partei habe auf den Feldern, auf denen sie sich früher als führend dargestellt hatte - Sozial- und Bildungspolitik -, nichts mehr zu bieten, und jetzt könnten ruhig mal die anderen ran. Roland Koch wurde Ministerpräsident.

Die nächste Wahl - 2003 - wurde für ihn zum Heimspiel. Die SPD-Grünen-Bundesregierung hatte einen weiteren Winter des Mißvergnügens hinter sich. Professor Baring rief die Bürger auf die Barrikaden, und Schröder tastete sich zur Agenda 2010 vor. Doch schon vorher gewann die CDU in Hessen die absolute Mehrheit. Koch nutzte sie zu strammen marktradikalen Reformen. Er führte Studiengebühren ein, privatisierte das Universitätsklinikum Mittelhessen, trat aus der Tarifgemeinschaft der Länder aus und verlängerte die Arbeitszeit der Landesbediensteten. Polizei- und Forstreviere wurden zwecks Einsparung geschlossen oder zusammengelegt. (An einer Protestdemonstration in Wiesbaden nahmen Förster und Waldarbeiter mit Kettensägen teil, außerdem sogar Polizisten.) Um nicht neue Lehrerinnen und Lehrer einstellen zu müssen, wurde eine sogenannte "Unterrichtsgarantie plus" gegeben: Laien, die man in einem "Pool" gesammelt hatte, sollten einspringen. Eine Bewerberin um eine solche Aushilfsstelle gab, als man sie nach ihrer Qualifikation fragte, an, sie habe den Freischwimmerausweis. Ihr hatte es der (Swimming-)Pool angetan. Die Schulsekretärinnen gerieten in Verzweiflung: Landesweit war ihnen eine neue Software aufgezwungen worden, die sie zunächst nicht beherrschen konnten, weshalb sie ständig unbezahlte Überstunden leisten mußten.

Es war Koch also gelungen, den öffentlichen Dienst gegen sich aufzubringen. Er versuchte zu kontern, indem er schärferes Vorgehen gegen jugendliche Straftäter mit sogenanntem Migrationshintergrund forderte. Damit geriet er in Konflikt mit den Richtern. Er hatte nämlich auch dort gespart und mußte sich vorrechnen lassen, daß in Hessen die Mühlen der Justiz besonders langsam mahlen.

Das Sein bestimmt das Bewußtsein: Angesichts dieser harten Fakten wirkte die Ideologieattacke kontraproduktiv. Marktradikale Reformen kommen immer wieder einmal an einen Punkt, an dem es heißt: Operation gelungen, Chirurg muß ausgewechselt werden. Damit wenden wir uns dem nächsten Thema zu.

Die Linke ist nunmehr also auch in den Landtagen von zwei westdeutschen Flächenstaaten vertreten. (Stadtstaat kann jeder.) Damit zeigt sich, daß die von Schröder angerichtete Spaltung des SPD-Potentials sich verfestigt hat und auch nicht durch ein Blendwerk, das Beck, Nahles und Ypsilanti veranstalteten, beseitigt werden kann. Auf ihrem Hamburger Parteitag 2007 hatte die SPD links geblinkt: mit einem neuen Parteiprogramm, in dem der "Demokratische Sozialismus" vorkommt, mit einer Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld II für Ältere und einer Gestikulation für einen gesetzlichen Mindestlohn. All dies diente dem Zweck, Die Linke aus den westdeutschen Landtagen fernzuhalten. Andrea Ypsilanti tönte, dafür wolle sie wie eine Löwin kämpfen. Jetzt sitzt sie im Käfig. Warum?

Wieder geht es um Sein und Bewußtsein. Becks Analysten werden ihm zu einer Marketingoffensive geraten haben, aber die Agenda 2010, Hartz IV und die Rente mit 67 blieben. Davon kann er nicht weg. Sonst bekäme er Ärger mit dem rechten Flügel seiner Partei (also mit sich selbst), mit den Unternehmern und auch mit den von Schröder geschaffenen vollendeten Tatsachen. Diese haben sich inzwischen so etabliert, daß eine einfache Rückkehr zu den von den Genossen Bismarck und Adenauer eingeführten beziehungsweise ausgebauten öffentlich-rechtlichen Systemen sozialer Sicherung nur unter schweren Kämpfen möglich sein wird. Solange die SPD diese scheut, bleibt links von ihr genügend Platz für eine andere sozialdemokratische Partei. Weil das so ist, kann keine Rede davon sein, daß eine neue Kraft in die westlichen Landtage eingezogen sei. Sie war immer schon da: als sozialdemokratische Linke - einst innerhalb der SPD, jetzt eben für einige Zeit außerhalb.

Diesem Befund scheint zu widersprechen, daß nur wenige westdeutsche Repräsentanten der Linkspartei aus der SPD kommen, die meisten aber aus anderen Vereinen: ChristInnen für den Sozialismus, Deutsche Friedens-Union, Deutsche Kommunistische Partei, Gruppe Internationaler Marxisten, Linksruck, Sozialistische Initiative Voran. Und wieder ist das nichts Neues. Auch in der Vergangenheit haben sich sozialdemokratische Parteien mit Hilfe von zugewandertem Personal erneuert. 1964 zum Beispiel, nach dem Tod Erich Ollenhauers, wurde die SPD von einer Troika geführt, deren Mitglieder 1933 allesamt keine Beiträge für sie gezahlt hatten: Willy Brandt (Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands), Herbert Wehner (KPD), Fritz Erler (Gruppe Neu Beginnen, wegen Linksabweichung aus der SPD ausgeschlossen).

Immerhin: Wir haben es jetzt nicht mehr mit einer einzigen sozialdemokratischen Partei zu tun, sondern mit zweien. In Skandinavien gibt es das schon lange. Dieses Nebeneinander muß nicht steril sein. Gewiß wird in den nächsten Monaten viel über rot-rot-grüne Regierungen oder Tolerierungen geredet werden. Wozu relevante Führungsgruppen in der Partei Die Linke neigen, ist seit Mecklenburg-Vorpommern und Berlin bekannt. Aber: Solange Schröders Errungenschaften zwischen der SPD und wenn nicht ihnen selbst, so doch vielen ihrer Wählerinnen und Wähler stehen, sind nicht ihrer Anpassungsbereitschaft, wohl aber -fähigkeit Grenzen gesetzt. Insofern ist im neuen Fünfparteiensystem vorerst für Unterhaltung gesorgt.

Von Georg Fülberth erscheint im April im Papyrossa-Verlag das Buch "Doch wenn sich die Dinge ändern". Die Linke.

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Literatur Konkret Nr. 36