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36 Jahre Konkret CD

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Heft 08 2004

Stefan Frank

Nach dem Putsch ist vor dem Putsch

Venezuelas Bevölkerung soll am 15. August in einem Referendum über die Zukunft des Landes entscheiden. Andere wollen auch ein Wort mitreden

Ein Kommunist war Jacobo Arbenz Guzmán nicht. Als Guatemalas damaliger Präsident 1952 eine Agrarreform beschloß, folgte er Ratschlägen des Internationalen Währungsfonds. Nur unbebautes Land wurde beschlagnahmt - gegen Entschädigung. Die nordamerikanische United Fruit Company (UFCO) hätte kaum Einbußen gehabt, der Großgrundbesitz wäre nicht abgeschafft worden. Trotzdem schien Präsident Arbenz eine Gefahr zu sein; war der Schritt auch klein, aus Sicht der CIA und des Bananenkapitals war er einer in die falsche Richtung. Man mußte behutsam nachhelfen, ihn zu korrigieren. Dazu rekrutierte die CIA 1954 eine Armee, bombardierte Ziele in Guatemala Stadt, leitete eine Propaganda-Offensive ein und stürzte schließlich den gewählten Präsidenten. Er wurde durch eine robuste Militärdemokratie ersetzt. Sie garantierte gute Beziehungen zu den USA und ein freundlicheres Investitionsklima (das nur durch den folgenden, jahrzehntelangen Bürgerkrieg ein wenig Schaden nahm).

Wenn in einem Land ein solcher Putsch nötig wird, ist aus Sicht Washingtons und der lokalen Bourgeoisie bereits etwas falsch gelaufen. Meist reichen ja friedliche Mittel wie Bestechung, Einschüchterung und Wahlbetrug völlig aus. In den Slums geht ohnehin niemand wählen, die dortigen Bewohner haben ja meist nicht einmal die erforderlichen Papiere. Schafft es aber doch einmal ein Feind des freien Marktes in eine Regierung, dann ist noch lange nichts verloren; ist er erst einmal Präsident, legt er meist seine radikalen Ansichten ab und ersetzt sie durch ein realistisches Wirtschaftsprogramm (Privatisierung, Lohnsenkung). Schon oft waren in Lateinamerika solche Reifungsprozesse und Metamorphosen zu beobachten, jüngste Beispiele dafür sind Ecuadors derzeitiger Präsident Gutierrez oder Boliviens Staatschef Mesa, der im vergangenen Jahr durch einen Aufstand der Bevölkerung an die Macht kam und nun die Politik seines Vorgängers fortsetzt.

Bleibt aber ein Präsident stur und widersetzt sich den von Experten andernorts für ihn ausgearbeiteten Programmen, dann läuft er Gefahr, wie Salvador Allende in eine Schießerei verwickelt zu werden, aus der nur schwer wieder herauszukommen ist. Aus diesem Grund sind solche Fälle eher selten. Als die ehemaligen Guerilleros Ortega (Nicaragua) und Handal (El Salvador) kürzlich für die Präsidentschaftswahlen in ihrem jeweiligen Land kandidierten, beteuerten sie ohne Unterlaß, sich arg gewandelt zu haben (was ihnen allerdings bei den Wahlen nichts nützte).

Venezuela und sein Präsident Hugo Chávez aber tanzen aus der Reihe. Statt daß der staatliche Ölkonzern PdVSA privatisiert wird, wurde sogar das Verbot der Privatisierung in der neuen Verfassung festgeschrieben; die Gewinne aus dem Erdölgeschäft fließen nicht mehr in die Beutel der Manager und ausländischer Unternehmen, sondern werden für Entwicklungsprojekte verwendet. Offen spricht Chávez sogar von einer Revolution, der bolivarischen. Es wurden Programme eingeführt, die den Lebensstandard der in Armut lebenden Bevölkerungsmehrheit verbessern sollen, darunter eine Alphabetisierungskampagne und kostenlose medizinische Versorgung durch kubanische Ärzte. Im Rahmen des Barrio-Adentro-Gesundheitsprogramms wurden nach Regierungsangaben seit Jahresbeginn 45 Millionen Fälle behandelt, jede Woche seien im Schnitt 280 Leben gerettet worden. Es werden Schulen und Universitäten gebaut, die jeder besuchen darf; Land, das dem Staat gehört oder dauerhaft brachliegt, soll an Bauern vergeben werden, die es bebauen (Enteignungen gibt es nur gegen eine Entschädigung, die sich an Marktpreisen orientiert und auch erst, nachdem der Eigentümer nach einer Mahnung zwei Jahre lang untätig geblieben ist); die Bauern erhalten außerdem günstige Kredite. Die von der Regierung in vielen Armutsvierteln eingerichteten "Mercal"-Lebensmittelmärkte werden von schätzungsweise 5,5 Millionen Menschen besucht.

Das ist noch kein Sozialismus, aber wie seinerzeit in Guatemala oder Chile geht das alles manchen schon viel zu weit. Hinzu kommt, daß sich viele Arbeiter in bolivarischen Zirkeln organisieren und im neuen sozialistischen Gewerkschaftsdachverband UNT. Vielleicht ist diese Tatsache Hauptgrund dafür, daß Venezuelas Bourgeoisie nicht mehr so ruhig schläft. Etwas weiter westlich, in Kolumbien, gehört es zur politischen Kultur, aufsässige Landarbeiter oder Gewerkschafter mit der Motorsäge zu zerstückeln (ob Schröder dem Bsirske ähnliches angedroht hat? Nein. Dessen Opportunismus hat eine andere Ursache). Darum gilt Kolumbien als stabile Demokratie. So ist es nur folgerichtig, daß Venezuela in Washington und anderswo als zutiefst undemokratisch angesehen wird.

In deutschen und US-amerikanischen Presseberichten wird Chávez in immer gleichlautenden Formulierungen als "der ehemalige Fallschirmjäger" bezeichnet, der "wegen seines autoritären Regierungsstils" "in die Kritik geraten" und für die angeblich "schlechte wirtschaftliche Lage" verantwortlich sei. Die Konrad-Adenauer-Stiftung stellt in regelmäßig erscheinenden Dossiers "Verstöße gegen die Pressefreiheit" fest. Zwar sind fast sämtliche Medien Venezuelas in den Händen der rechten Opposition, aber ihre der Regierung gegenüber feindliche Haltung sei nur dadurch zu erklären, daß sie "Angst um ihre Unabhängigkeit" hätten, mutmaßt der Auslandsgeheimdienst der CDU, der die Chávez-Gegner auch finanziell unterstützt. Im Februar initiierte die CDU eine Bundestagsdebatte. "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Venezuela zu unterstützen", sei ein Anliegen der CDU/CSU-Fraktion, hieß es.

Auch den USA liegt das am Herzen: "Jetzt, da ich aus dem Amt ausgeschieden bin, kann ich Ihnen sagen, daß wir Chávez entmachtet haben möchten, und ich glaube nicht, daß das ein Geheimnis ist", vertraute Bushs ehemaliger "Beauftragter für die westliche Hemisphäre" Journalisten an. Er heißt Otto Reich, war früher Botschafter in Caracas, wird von Bacardi bezahlt und hat gute Kontakte zu den in Florida lebenden Kubanern, die seit 40 Jahren darum kämpfen, ihre Leibeigenen zurückzubekommen. Eine Woche nach dem gescheiterten Putschversuch gegen Chávez im April 2002 berichtete die englische Tageszeitung "Observer", Reich habe sich vor dem versuchten Staatsstreich über Monate hinweg mit den angehenden Putschisten getroffen. Unter ihnen war auch Carmona, der Arbeitgeberpräsident, der sich zum Präsidenten des Landes ernannte und das Parlament und die anderen Verfassungsorgane auflösen lassen wollte. Bis ins Detail soll der Putsch in Anwesenheit von Bushs Südamerika-Mann besprochen worden sein, "bis hin zum Timing und den Erfolgschancen, die als exzellent angesehen wurden". "Chávez ist kein Demokrat und hat dem Volk Venezuelas enormen Schaden zugefügt", sagt Reich, der, wie der "Observer" weiter berichtet, in den achtziger Jahren jenen Kreisen nahestand, die den "Iran-Contra-Deal" einfädelten, der dazu diente, Todesschwadronen in Mittelamerika zu finanzieren.

Nachdem Carmona sich zum Präsidenten gemacht und die Verfassung außer Kraft gesetzt hatte, versammelte Reich Botschafter um sich, denen er erklärte, Chávez sei "zurückgetreten" und "selbst für sein Schicksal verantwortlich", Carmona sei der legitime Präsident. Doch dessen Legislaturperiode dauerte nur zwei Tage, dann brachte ein von der Bevölkerung und Teilen der Armee getragener Aufstand Chávez zurück, zum Ärger der Regierung in Washington (Politiker in Berlin und Brüssel hatten sich bei der Nachricht von Chávez' Sturz etwas leiser gefreut und sich damit wieder einmal als die geschickteren Imperialisten erwiesen).

Die USA möchten den Ölkonzern PdVSA privatisiert sehen, zumindest aber nicht in den Händen von Leuten, die ihnen nicht gehorchen - schließlich ist Venezuela ihr größter Öllieferant. Nach dem Putsch erklärte Carmona den Austritt aus der Opec und den Stopp der Öllieferungen an Kuba. Das war es, was man im Weißen Haus erwartete. Neben der Isolierung Kubas wünscht man sich dort eine Schwächung des Erdölkartells und eine höhere Ölproduktion. Auch deshalb war das Scheitern des Putsches für die USA ausgesprochen peinlich. Daß man ihn hatte ermorden wollen (ein Plan, der in letzter Minute vereitelt wurde), sah Chávez nämlich gar nicht gern, und da er etwas nachtragend ist, wird er im Oktober nach Peking reisen, wo es einiges zu besprechen gibt. Chávez hat den USA angedroht, ihnen im Falle weiterer Putschversuche das Öl abzudrehen, und China ist sehr daran interessiert, die Amerikaner als größten Kunden Venezuelas abzulösen.

Nachdem im Winter 2002/2003 auch der "Generalstreik" mißlang (der im wesentlichen aus Aussperrungen und Sabotageaktionen bestand, was für die PdVSA-Manager die Entlassung zur Folge hatte und die Opposition somit empfindlich schwächte), setzen Chávez' Gegner nun ihre Hoffnung auf den 15. August. Dann soll das Referendum über die Abberufung des Präsidenten stattfinden, das die Opposition durchgesetzt hat. In der bolivarischen Verfassung gibt es einen Artikel, der vorsieht, ein Referendum über das Mandat eines Abgeordneten oder des Präsidenten anzusetzen, wenn 20 Prozent der Wahlberechtigten dies verlangen. Diese Bedingung hat die Opposition mit den 2,4 Millionen von ihr gesammelten Unterschriften erfüllt. Sie selbst hatte behauptet, über drei Millionen Wahlberechtigte hätten unterschrieben, doch der Wahlrat hatte einen großen Teil wegen offensichtlicher Fälschung für ungültig erklärt. 1,2 Millionen Unterschriften mußten in einem sogenannten "Reparatur"-Prozeß bestätigt werden. Wie motiviert die Anhänger der Opposition sind, ist daran abzulesen, daß auch viele bereits verstorbene Personen nicht nur unterzeichneten, sondern sogar erschienen, um ihre Unterschrift zu reparieren.

Chávez wäre seines Amtes enthoben, wenn bei dem Referendum die Mehrheit für seine Abwahl stimmt und wenn dies mehr sind als die 3,75 Millionen Stimmen, die er bei seiner Wahl erhalten hat. Das ist unwahrscheinlich, doch darauf spekuliert die Opposition auch nicht. Das Referendum ist für die internationale Öffentlichkeit gedacht, gearbeitet wird weiterhin am gewaltsamen Umsturz. Unter Floridas Sonne und den wohlwollenden Blicken der dortigen Behörden trainieren die Gegner von Fidel Castro und Hugo Chávez gemeinsam mit Maschinengewehren und Sprengstoff; auch zu den kolumbianischen Todesschwadronen gibt es gute Kontakte. Auf einer Internetseite der Paramilitärs prangt sogar das "Si"-Emblem, mit dem die von der Konrad-Adenauer-Stiftung geförderte Partei "Primero Justicia" für Chávez' Abwahl wirbt. Im Mai wurden kolumbianische Paramilitärs festgenommen, die bis nach Caracas vorgedrungen waren.

Mit terroristischen Mitteln allein läßt sich ein Umsturz nicht durchführen; darum setzt Venezuelas Bourgeoisie weiterhin auf die USA. Verliert die rechte Opposition das Referendum, wird sie von Wahlbetrug sprechen. Gleichzeitig könnte sie versuchen, durch Angriffe von kolumbianischem Territorium aus einen Krieg zwischen beiden Ländern anzuzetteln, der den USA den Vorwand zum Eingreifen bescherte. Die haben auf der kolumbianischen Seite der Grenze vorsorglich schätzungsweise 20.000 Soldaten postiert. Von Spanien soll Kolumbien - zufällig im August - über 40 Panzer geliefert bekommen, die ebenfalls an der Grenze stationiert werden sollen.

Im Juli präsentierten die Oppositionsparteien ein gemeinsames Programm. Vieles kennt man schon aus den Putsch-Tagen im April 2002: "Rückkehr zu einer Politik der freien Marktwirtschaft", Öffnung der Ölindustrie für ausländisches Kapital. Von einer Privatisierung der PdVSA spricht man vor dem Referendum lieber nicht. Auch behauptet die Opposition, die - sehr populären - Programme der Regierung wie Barrio Adentro (gegen das sie damals vor Gericht gezogen war) fortführen zu wollen - garantieren will sie das aber lieber nicht. Die von ausländischen Konzernen an den Staat zu entrichtenden Abgaben sollen gesenkt werden. In der Opec soll auf eine Ausweitung der Produktion gedrängt werden. Außerdem seien Privatisierungen nötig "wegen des großen Bedarfs an Investitionen", sagt Oppositionsführer Urbaneja, der die Erstellung des Programms koordiniert hat. Soldaten sollen nicht mehr wählen dürfen, das Recht auf Widerstand gegen Diktatoren, das die Bolivarische Verfassung vorsieht und mit dem die Opposition in der Vergangenheit ihre zum Teil terroristischen Aktionen gerechtfertigt hat, soll abgeschafft werden. Auch soll nach einem Erfolg des Referendums die Möglichkeit entfallen, Politiker per Referendum abzusetzen. "Das bringt zuviel Instabilität", erklärt Ramos Allup, der Generalsekretär der größten Oppositionspartei "Acción Democratica".

Literatur:

Sehr empfehlenswert ist das von Sahra Wagenknecht herausgegebene Buch Aló Presidente. Es enthält einen Reisebericht und Aufsätze verschiedener Autoren zur politischen und wirtschaftlichen Situation Venezuelas (Edition Ost, 12,90 Euro).

Stefan Frank schrieb in KONKRET 7/04 über die rotgrüne Industriepolitik

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36