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36 Jahre Konkret CD

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Heft 11 2008

Alex Feuerherdt

"Mrs. Clean"

Zum Redaktionsschluß der Printausgabe von KONKRET 11/08 schien die Wahl der Kadima-Vorsitzenden und israelischen Außenministerin Tzipi Livni zur neuen Ministerpräsidentin fast nur noch eine Formalität. Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen und der Ansetzung von Neuwahlen sieht alles schon wieder ganz anders aus. Eine wichtige Rolle in der israelischen Politik wird Frau Livni jedoch so oder so weiter spielen

Es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, die Tzipi Livni derzeit zu bewältigen hat. Nach dem Rücktritt des unter Korruptionsverdacht stehenden israelischen Premierministers Ehud Olmert am 21. September beauftragte Staatspräsident Schimon Peres sie mit der Bildung einer neuen Regierung. Dafür hat die Außenministerin und bisherige Vize-Premierministerin sechs Wochen Zeit, sonst drohen vorgezogene Neuwahlen. Die Suche nach Mehrheiten gestaltet sich in Israel allerdings traditionell schwierig, weil im Parlament, der Knesset, eine Vielzahl von kleinen Parteien vertreten ist, die bei Koalitionsverhandlungen oft das Zünglein an der Waage sind. Hinzu kommt, daß Livni auch in ihrer Partei Kadima nicht unumstritten ist: Fünf Tage vor seiner Demission als Regierungschef hatte Ehud Olmert bereits sein Amt als Parteivorsitzender niedergelegt, und Livni konnte sich in der Abstimmung um seine Nachfolge nur knapp gegen ihren Konkurrenten, den früheren Generalstabschef Schaul Mofas, durchsetzen. Sollte es der 50jährigen tatsächlich gelingen, eine Koalition zu bilden und zur neuen Premierministerin gewählt zu werden, wäre sie nach Golda Meir die zweite Frau, die das höchste Regierungsamt in Israel bekleidet. Es wäre zugleich der Höhepunkt ihrer bemerkenswerten Laufbahn.

Schon Tzipi Livnis Elternhaus hätte politischer nicht sein können: Sowohl ihre Mutter Sarah Rosenberg als auch ihr Vater Eitan Livni waren zunächst Mitglieder der von Zeev Jabotinsky gegründeten zionistischen Jugendbewegung Betar und danach führende Aktivisten der Untergrundorganisation Irgun, die sich vor allem dem bewaffneten Kampf gegen die britische Mandatsmacht in Palästina verschrieben hatte, bevor sie nach der israelischen Staatsgründung aufgelöst wurde. Ihre Mitglieder sammelten sich anschließend in der vom ehemaligen Irgun-Anführer Menachem Begin gegründeten Cherut-Partei, die das Herzstück des zu Beginn der siebziger Jahre ins Leben gerufenen Likud-Blocks bildete. Für diesen zog Eitan Livni dreimal in die Knesset ein. Die Verbindung der Familie zu Begin, dem ersten Premierminister, den der Likud stellte, war in politischer wie in privater Hinsicht sehr eng. Sie hat auch Tzipi Livni geprägt, die wie ihre Eltern als Jugendliche für die Betar-Bewegung aktiv war.

Bevor sie als Politikerin in die Öffentlichkeit trat, diente Tzipi Livni zunächst als Leutnant in der israelischen Armee und war von 1980 bis 1984 für den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad tätig. Details über diese Zeit will sie nicht preisgeben; dem israelischen Militärrundfunk sagte sie in einem Interview Ende Juli dieses Jahres lediglich, sie habe nach ihrer Heirat den Dienst quittiert, weil sie "nicht mehr dieses Leben führen wollte". Livni brachte nach der Zeit beim Mossad ihr 1979 begonnenes Studium der Rechtswissenschaften an der Bar-Ilan-Universität zu Ende und arbeitete anschließend mehrere Jahre lang als Anwältin mit den Schwerpunkten Öffentliches Recht und Handelsrecht. 1996 kandidierte sie erstmals für die Knesset, doch der Sprung ins Parlament gelang ihr erst beim zweiten Versuch drei Jahre später. Fahrt nahm ihre politische Karriere 2001 mit der Wahl Ariel Sharons zum Premierminister auf. Sharon, den Livni seit ihren Jugendtagen kennt und der eine Art politischer Ziehvater für sie wurde, machte die akribische und verläßliche Juristin zu einer seiner engsten Vertrauten. Sie wirkte an seinem Entwurf für den Gaza-Abzugsplan mit und wurde unter ihm in kurzen Abständen nacheinander Ministerin für Regionales, Ministerin ohne Geschäftsbereich, Landwirtschaftsministerin, Ministerin für Immigration und Integration und Wohnungsbauministerin. Als Sharon sie im Dezember 2004 schließlich zur Justizministerin ernannte, glaubte sie bereits, ihren "Traumjob" gefunden zu haben.

Im Januar 2006 aber wurde sie sogar Außenministerin. Da war Tzipi Livni schon nicht mehr Mitglied des Likud, sondern der 2005 maßgeblich von Ariel Sharon initiierten Kadima-Partei, die ins Leben gerufen worden war, weil der Likud in großen Teilen nicht bereit war, das Vorhaben eines einseitigen Rückzugs Israels aus dem Gazastreifen mitzutragen. Livni hatte das Programm der Kadima ausformuliert und war an ihrer Gründung beteiligt. Als Sharon zu Beginn des Jahres 2006 nach einem Schlaganfall ins Koma fiel, wurden ihr gute Chancen eingeräumt, seine Nachfolge im Parteivorsitz anzutreten. Doch sie verzichtete - vorerst - auf den absehbaren Machtkampf und ließ Ehud Olmert den Vortritt, jenem Mann, der bereits Sharons Amtsgeschäfte als Premierminister kommissarisch führte.

Livnis Verhältnis zu Olmert war während seiner Regierungszeit von einer Mischung aus Konkurrenz und Loyalität geprägt: Zum einen war Olmert ihr innerparteilicher Rivale, zum anderen war sie als Außenministerin seiner Politik verpflichtet. Dieses Zweckbündnis erwies sich als fragil. Das wurde erstmals deutlich, als die Winograd-Kommission im Mai 2007 ihren Abschlußbericht vorlegte. Dieser von der Regierung eingesetzte Ausschuß sollte das politische und militärische Vorgehen Israels während des Libanonkrieges im Sommer 2006 untersuchen. Die Ergebnisse waren für Olmert wenig schmeichelhaft: Die Kommission warf ihm "schwerwiegendes Versagen" vor, da er die Armee nicht ausreichend vorbereitet und den Krieg strategisch miserabel geführt habe. In der israelischen Öffentlichkeit wurde der wenig populäre Premierminister daraufhin nicht nur von der Opposition zum Rücktritt aufgefordert, auch Tzipi Livni - die in dem Bericht lediglich am Rande erwähnt wurde - stellte sich demonstrativ auf die Seite der Kritiker. Es schien nur eine Frage von Tagen zu sein, wann sie ihn ablösen würde.

Doch Olmert blieb im Amt und Livni in seinem Kabinett, wofür sie in den israelischen Medien heftig gescholten wurde. Ihrem Ruf hat das gleichwohl nicht nachhaltig geschadet, denn ihr Auftreten als Außenministerin wurde und wird in Israel sehr geschätzt. Auf diplomatischem Terrain fühlt sich Livni überaus wohl; sie ist eloquent und verfügt über taktisches Geschick, ohne dabei deutliche Worte zu scheuen. Als beispielsweise die Hamas zu Beginn des Jahres 2006 die palästinensischen Wahlen gewann, empfing Livni eine ganze Reihe von Staatsgästen, die ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat bekundeten. Den libanesischen Ministerpräsidenten Fuad Siniora, der während des Libanonkrieges bei einem Treffen mit arabischen Außenministern in Tränen ausgebrochen war, kritisierte sie für seinen "pathetischen Versuch, Propaganda zu betreiben". Und in bezug auf die nuklearen Pläne des iranischen Mullah-Regimes hat sie angekündigt, "keine Zweifel hinsichtlich des Preises" aufkommen zu lassen, den die Bedrohung Israels und "das Ignorieren der Forderungen der internationalen Gemeinschaft mit sich bringt".

Von ihrer früheren Position, keine Verhandlungen mit den Palästinensern und arabischen Staaten zu führen, ist Livni schon vor einiger Zeit abgerückt. "Ich glaube an unser Recht auf das ganze Land", sagte sie im Sommer des vergangenen Jahres, "aber irgendwann fühlte ich, daß es wichtiger ist, einen Kompromiß zu schließen". Einen solchen Kompromiß kann sie sich mit dem Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas und seiner Fatah sowie - unter gewissen Voraussetzungen - auch mit Syrien vorstellen. Gespräche mit der Hamas, der Hisbollah und dem Iran jedoch lehnt sie strikt ab. Tzipi Livni befürwortet prinzipiell den Abzug Israels aus dem Westjordanland und die Schaffung eines palästinensischen Staates, präzisierte aber unlängst gegenüber dem Sender France 24: "Das kann natürlich nicht bedeuten, daß es anschließend auf der einen Seite ein binationales Israel gibt und auf der anderen einen Palästinenserstaat, in dem keine Juden leben dürfen." Israel habe mehrfach seine Bereitschaft gezeigt, "mit seinen Nachbarn in Frieden zu leben". Nun sei es an diesen Nachbarn, die Bedingungen dafür zu schaffen.

In Israel ist man uneins über die Frage, ob Tzipi Livni die komplizierte Regierungsbildung gelingen wird und ob sie eine durchsetzungsfähige Premierministerin wäre. In der Bevölkerung erfreut sie sich großer Beliebtheit, auch deshalb, weil man ihr - anders als ihrem Vorgänger Olmert - nachsagt, unbestechlich zu sein. Als "Mrs. Clean" wird sie häufig in den israelischen Medien bezeichnet - mal respektvoll, mal despektierlich; sie steht in dem Ruf, sich nicht einmal einen Kaffee bezahlen zu lassen. Livnis Popularität und ihr Selbstbewußtsein passen jedoch nicht allen. Verteidigungsminister Ehud Barak etwa nannte sie kürzlich geringschätzig bei ihrem selten gehörten vollen Vornamen Tzipora - was übersetzt "Vogel" bedeutet -, während Olmert sie bald nur noch abfällig als "diese Frau" bezeichnete. Auch aus dem Likud kamen wenig freundliche Töne. So erteilte der frühere Premierminister Benjamin Netanjahu Livnis Einladung zur Koalitionsbildung eine kategorische Absage und forderte Neuwahlen. Daß er Livni für zu unerfahren hält und ihr die Fähigkeit abspricht, die Geschicke des Landes zu lenken, ist kein Geheimnis.

Ob Netanjahu recht hat oder nicht, kann letztlich nur die Praxis zeigen - wenn es denn dazu kommt. Yossi Verter, der die israelische Politik seit Jahren analysiert, hält es jedenfalls für möglich, daß Tzipi Livni ihre Erfolgsgeschichte fortschreibt. "Sie könnte tatsächlich in den Job hineinwachsen", schrieb er Ende September in der israelischen Tageszeitung "Haaretz". "Livni hat einen Lauf, und wenn dein Stern erst leuchtet, geht alles wie von selbst." So, wie 2001 inmitten der Intifada nur Ariel Sharon Premierminister habe werden können, "wollen die Leute nun eine Politikerin, die für etwas anderes steht, sozusagen eine nicht-politische Politikerin, die Integrität ausstrahlt, einen aufrechten Charakter hat und glaubwürdig ist - das Gegenteil von Ehud Olmert also".

Alex Feuerherdt schrieb in KONKRET 9/08 über die Terroristenpflege im Libanon

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36