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36 Jahre Konkret CD

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Heft 05 2009

Iris Dankemeyer

Mit Kalkül zum Gefühl

Mit dem Sachbuchschmöker "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?" wurde Richard David Precht zum Lieblingsphilosophen der Nation. Nun hat er ein Thema gefunden, das sich noch besser verkaufen könnte als der Sinn des Lebens: die Liebe!

"Es ist was es ist / sagt die Liebe" (Erich Fried)

Von der Liebe wissen wir im allgemeinen, daß sie im besonderen alles und jeden betrifft. Der Kölner Bestsellerautor Richard David Precht hat nun ein Buch geschrieben, das anders als die übliche Ratgeberliteratur nicht nur Frauen und Männer, sondern auch noch die Natur- mit den Geisteswissenschaften verkuppeln will. Entsprechend erfährt der Leser zunächst nichts von Herzklopfen und Begierden, sondern etwas über Oxytocinausschüttungen und das mesolimbische System. Denn wie in der Prechtschen Philosophiefibel das Denken ist im neuen Buch die Liebe erst einmal nichts weiter als ein Tatbestand der Hirnchemie und eine Frage der evolutionären Psychologie. Letztere unterzieht der Autor nach ausuferndem Referat einer Kritik, deren Ergebnisse wohl nur das Zielpublikum des Goldmann-Verlags überraschen können: Die menschliche Sexualität steht heute nicht mehr nur im Dienste unseres biologischen Auftrags zur Fortpflanzung, und Männer und Frauen sind gar nicht so unterschiedlich, wie gern behauptet.

Um zu diesen bahnbrechenden Erkenntnissen zu gelangen, greift der Profiphilosoph allerdings selbst auf sein Lieblingshobby, die Zoologie, zurück - gibt es doch allerhand possierliche Tierchen, deren Verhalten dem vulgärdarwinistischen "survival of the fittest" widerspricht. Wenn Schnecken Zwitter sind, können Männer eben auch schwul sein, und wer das Brutverhalten von Schmetterlingsbuntbarschen kennt, muß nicht mehr zwingend davon ausgehen, daß Frauen stets nur nach den breitestschultrigen Versorgern Ausschau halten. Die Natur - so Prechts ambitionierte These - ist überraschenderweise gar nicht auf Optimierung aus, es setzt sich einfach alles durch, was das Überleben nicht direkt behindert. Demnach gibt es sogenannte "spandrels", die in der Evolution zwar nicht vorgesehen waren, als Nebenprodukte aber unvermeidlich sind. Ein solches ist auch die Liebe - keine in der natürlichen Ordnung unmittelbar sinnvolle Funktion, sondern eben das "unordentliche Gefühl", als das der Autor sie im Untertitel bezeichnet. Theorien, die den Menschen biologisch festschreiben, sind also vor allem BIOLOGISCH unzulänglich - und Prechts Argumentation gegen den Biologismus damit selbst biologistisch.

Immerhin hat der Homo sapiens beispielsweise den Gladiatorfröschen dann doch etwas voraus: Zur Zoologie vom Menschen gehört für Forscher Precht auch die "kulturelle Evolution". Aber ausgerechnet die Kultur ist es, die uns in Liebesdingen das Leben schwermacht, denn sie konnte sich bis heute nicht vom anachronistischen Liebesideal der Romantik befreien. Der "Terror des Ideals" aber ist dem Sachbuchautor "die schlimmste Bedrohung einer Liebe" und "DIE biopsychologische Generalüberforderung der Moderne". Zugegeben: Von Schatzi und Bärchen zu verlangen, daß sie ihre leidenschaftliche Liebe als enthusiastischen Gegenentwurf zur Vernunftehe der Philister begreifen, scheint wenig alltagstauglich. Der "Code des Herzens" (Christian Schuldt) läßt sich wohl eher mit konsequent unromantischen Strategien wie "Bodenhaftung bewahren" und "mit Kalkül zum Gefühl" entschlüsseln. Tatsächlich hatten die Romantiker bereits um 1800 zu begreifen begonnen, was Precht bis heute nicht durchschaut: gesellschaftliche Rationalisierung. Daß die bis in die intimsten Neigungen hineinreichen kann, hält der deutsche Meisterdenker, der Gesellschaft nur als Umwelt oder Gemeinschaft denken kann, für einen Aberglauben irreführender "Beschädigungstheorien". "Beschädigungstheoretiker" sind Leute, die gesellschaftliche Verhältnisse mit der persönlichen Unfreiheit einzelner zusammendenken - eine Idee, die Precht schlicht absurd findet, denn: "Wer von uns empfindet sich heute schon als entfremdet?" Auf solche schrägen Ideen kommen nur "konservative Ideologiekritiker in der Tradition Adornos". Nicht die gesellschaftliche Entfremdung stehe der Liebe im Weg, sondern die individuelle Freiheit.

An diesem Punkt ist man bei Prechts Kulturdiagnose angelangt. Während Opa in seinem Leben keine Wahl hatte ("Ob er nach Polen wollte, wurde er nie gefragt.") und die 68er-Elterngeneration an ihrer allzu freien Wahl scheiterte, stürzt uns die Individualisierung heute in die Orientierungslosigkeit. Die "kulturelle Neotenie", eine verlangsamte Ausreifung aufgrund von Wohlstand und Freizeit, macht uns zu entscheidungsarmen Dauerhalbstarken, die nie wissen, was sie wollen.

Ein bißchen Familie kann da nicht schaden: "Wer weniger Freizeit hat, steht nicht vor dem Problem, zwischen zu vielen konkurrierenden Freizeitangeboten auswählen zu müssen. Die freiwillige Selbstbeschränkung durch Kinder hat also durchaus auch Vorteile." Wer sich also zwischen Freeclimbing und Modelleisenbahnbau nicht zu entscheiden weiß, hätte mit Nachwuchs erst mal was zu tun. Gegenüber der traditionellen bürgerlichen Familie hat die zeitgemäße Patchworksippe dabei evolutionsbiologische Vorteile: Sie garantiert genetisch und sozial vielfältigere "Herkunftsherden".

Für den Neurophilosophen, der Menschen wie Primaten behandelt, bleibt die Liebe als "Zentralheizung des Universums" bestimmend für unser soziales Handeln. "Beschädigungstheoretisch" gesehen ist das schlichte Ideologie. Ausgerechnet das "unordentliche Gefühl" soll belegen, daß die Welt in bester Ordnung ist. Der kommerzielle Erfolg dieses wie seines letzten Buches erklärt sich aus Prechts vielgelobter Bodenständigkeit. Mit prätentiösem Expertengestus bei zugleich flotter Schreibe wird den Lesern bestätigt, was sie längst aus ihrer Alltagserfahrung wissen: Sie sollen vom Leben bloß nicht zuviel erwarten und niemals mehr wünschen, als sie haben. "Wahre Liebe" gibt es nur im Fernsehen. Schließlich muß die Liebe vor allem eins: erst mal funktionieren. Wie jede Zentralheizung.

Richard David Precht: "Liebe. Ein unordentliches Gefühl". Goldmann, München 2009, 320 Seiten, 19,95 Euro

Iris Dankemeyer schrieb in KONKRET 4/09 über den Kinofilm "Die Herzogin"

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Literatur Konkret Nr. 36