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36 Jahre Konkret CD

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Heft 01 2009

Kay Sokoloswsky

Man spricht dutsch

Nachrichten aus einer braunen Sickergrube

Cem Özdemir, Parteichef der Grünen, schlug Ende November vor, mehr Türkischunterricht an deutschen Schulen anzubieten. Politik und Presse verweigerten jegliches Echo. So unvorsichtig zuzugeben, daß sie die Sprache der Türken für lehrunwürdig halten, wollten kein Koch (Hessen), kein Jörges ("Stern") und kein Gottlieb (Bayerischer Rundfunk) sein. Ist es doch opportuner, Migranten mangelhafte Sprachkenntnisse vorzuwerfen, statt darüber nachzudenken, wie sich das Defizit beheben läßt.

Das Totschweigen hat auch damit zu tun, daß die Meinungsbildner und -ausbeuter in solchen Fällen den Mob gar nicht mehr mobilisieren müssen. Schon das Gerücht, an einer deutschen Schule könnte eine deutsche Lehrerin einem deutschen Kind demnächst beibringen, Türkisch zu sprechen, erregte bei der Mehrheit, die leider nie schweigt, eine Wut, von der jeder islamische Haßprediger noch was lernen könnte. Vom Deutsch dieser Dungköpfe freilich nicht. So zu stammeln, wäre dem stursten Integrationsverweigerer peinlich: "Für mich bleibt der Eindruck das wir momentan dazu Gehirngewaschen werden sollen dem Muslim hier ein gemütliches Heim zu schaffen", radebrecht ein "Morcar", dessen Hirn eine Wäsche in der Tat dringend nötig hätte. Mit der Ironie, aus der die Faust schon herausschaut, kommentiert "Tante Frieda": "Und dann soillten wir auch Türkisch zur vierten Amtssprache endlich machen und die Türken nicht weiter diskriminieren." Was aber nicht sein kann, wie "FragIchMichAuch" weiß: "Es kann doch wohl nicht sein, das man Menschen die seit zig Generationen in diesem Land leben, auch noch nachhelfen soll, die Sprache ihre Vorfahren besser zu lernen wenn sie nicht mal die dutsche Sprache können." Der Idiot kennt sich aus: Bei ihm hat die Nachhilfe ja ebenfalls nichts gebracht.

Den Nazis, die sich hier äußern, bieten die Kommentarspalten von Webseiten wie "Politically incorrect" oder "Stop Islam" schon seit langer Zeit eine Heimstatt. Kein Staatsanwalt behelligt sie dort, eine öffentliche Empörung über diese Sickergruben braunen Unrats findet nicht statt. Diese Toleranz machen sich, es geht ja bloß gegen Türken, auch die Internetforen gesetzterer Medien zu eigen. Alles, was oben zitiert wird, stammt aus Gästebuchbeiträgen in der Onlineausgabe der "Süddeutschen Zeitung". Vor einiger Zeit verkündete zwar deren Redaktion, die "Qualität" des anonymen Geblöks stärker kontrollieren und gegebenenfalls rigide zensieren zu wollen. Was dabei durch- und herauskommt, kann man nun betrachten: Hetze gegen Türken verträgt sich problemlos mit der "Netiquette" einer deutschen Zeitung.

Denn auch deren Redakteure ahnen längst, was so ein Özdemir tatsächlich meint, wenn er - im selben "Bild"-Interview, in dem er für Türkischunterricht plädiert - sich wünscht, "daß es in Deutschland bald die erste Ministerin mit Migrationshintergrund gibt, bei der genau das keine Rolle spielt". Auf "SZ-Online" wurde am 24. November daraus: "Er äußerte zugleich die Hoffnung, daß möglichst bald ein Muslim oder eine Muslimin in Deutschland ein Ministeramt bekleidet." Bis zum Redaktionsschluß dieses Heftes ist die Fälschung nicht kassiert worden (www.sueddeutsche.de/ politik/175/448907/text). Von der Geschmeidigkeit der Integration, die dieses Land und seine Medien den Nazis und ihrer Propaganda gönnen, können Migranten und ihre Nachkommen nur träumen. Ganz gleich, in welcher Sprache.

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Literatur Konkret Nr. 36