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36 Jahre Konkret CD

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Heft 11 2008

Interview

"Man drückt sich nicht"

Will sie die Stasi zurückhaben und die Mauer wieder aufbauen?

Gespräch mit Christel Wegner, DKP-Mitglied und Abgeordnete im niedersächsichen Landtag, die wegen dieses Vorwurfs Anfang des Jahres die Fraktion der Linkspartei verlassen mußte

KONKRET: Frau Wegner, im Januar 2008 wurden Sie plötzlich zu einer bundesweit bekannten öffentlichen Figur. Da hatten Sie aber schon ein paar Jahrzehnte politisches und berufliches Leben hinter sich - als Krankenschwester und Pflegedienstleiterin am Krankenhaus Buchholz, als gewerkschaftliche Vertrauensfrau und Personalratsvorsitzende, als Parteipolitikerin der DKP. Wann sind Sie dort eingetreten?

Wegner: Ich komme aus einem kommunistischen Elternhaus, habe miterlebt, wie 1956 nach dem KPD-Verbot die politische Polizei das Haus auf den Kopf gestellt hat bei der Suche nach irgendwelchen verbotenen Schriften. Als die DKP sich 1968 gründete, habe ich mich da organisiert.

KONKRET: Hatten Sie zur Verbotszeit Kontakte zur illegalen KPD?

Wegner: Ja.

KONKRET: Organisierte?

Wegner: Ja.

KONKRET: Und jetzt sind Sie auf die Landesliste der Partei Die Linke in Niedersachsen gekommen. Wie ist denn das passiert?

Wegner: Das Wahlprogramm der Linkspartei entsprach unseren tagespolitischen Anforderungen. Und ich wurde gefragt, ob ich mir eine Kandidatur vorstellen könnte ...

KONKRET: Von wem?

Wegner: Von meinem Bezirksvorsitzenden.

KONKRET: Nehmen wir uns die Situation vor dem 27. Januar mal vor. Die Umfragen weisen für die Partei Die Linke in Niedersachsen so zwischen vier und fünf Prozent aus. Da mußte die Führung der Partei daran interessiert sein, jede Konkurrenzkandidatur in ihrem Umfeld zu verhindern. Daß 7,1 Prozent rauskommen würden, hat kein Mensch vorhergesehen. Es ging einfach darum, einem scheinbar hoffnungslosen Unternehmen ein bißchen mehr Chancen zu geben - auch indem man die 0,1 Prozent, die die DKP zu erwarten hätte, für Die Linke gewann. Für den Verzicht auf ihre Kandidatur sollte die DKP als Trostpreis einen zwar sichtbaren, aber doch aussichtslosen Platz auf der Landesliste bekommen. War es so?

Wegner: Das müssen Sie Die Linke fragen. Ich bin nicht in dieser Partei und kenne deren Überlegungen nicht.

KONKRET: War das Ganze nicht doch ein Fehler?

Wegner: Was soll daran falsch sein? Eine so kleine Partei wie die DKP muß jede Möglichkeit nutzen, ihre Position in die Öffentlichkeit zu bringen. Das konnten wir im Wahlkampf tun.

KONKRET: Dann sind Sie gewählt worden, sind sogar auf einer Pressekonferenz vom Landesvorsitzenden Diether Dehm präsentiert worden: Seht her, wir haben eine Kommunistin auf der Liste und in der Fraktion. Und dann passierte es.

Wegner: Ich bekam einen Anruf vom NDR. Eine Frau Antoni sagte mir: Frau Wegner, jetzt feiert die DKP bald ihr 40jähriges Bestehen, und weil Sie ja quasi Gründungsmitglied sind, möchten wir mal von Ihnen wissen, welche Erfahrungen Sie in Ihrem persönlichen und beruflichen Leben mit Ihrer DKP-Mitgliedschaft gemacht haben. Als wir uns trafen, gestaltete sich das alles ganz anders. Auf die Bitte meines Mannes, der mich begleitet hatte, das Interview vorab sehen oder hören zu können, sagte Frau Antoni: Aber Herr Wegner, in diesem Lande haben wir Pressefreiheit.

KONKRET: Hat sich das, was dann gesendet wurde, von dem unterschieden, was Sie da gesagt haben?

Wegner: Mein Anwalt hat vom NDR mehrfach verlangt, uns Einsicht in die aufgenommenen Bänder zu geben. Aber "Panorama" gibt diese Bänder nicht raus - mit den aberwitzigsten Begründungen. Schließlich hat der Intendant des NDR, Lutz Marmor, geschrieben: "Sie fordern erneut die Herausgabe einer Kopie der Bänder mit dem mit Ihrer Mandantin geführten Interview in voller Länge. Damit berühren Sie die sensible Frage, ob seitens einer Rundfunkanstalt ungesendetes Material herausgegeben werden kann. Unabhängig davon, ob im konkreten Fall das jeweilige Material noch verfügbar ist, haben wir uns dazu entschieden, nicht gesendetes Material grundsätzlich nicht herauszugeben."

KONKRET: Es gibt in diesem "Panorama"-Interview zweimal Christel Wegner im Originalton. Die erste Aussage bezog sich auf eine Frage, von der die Zuschauerinnen und Zuschauer annehmen mußten, sie sei eine Frage nach dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR gewesen. Die zweite Frage bezog sich auf das Parteiprogramm der DKP, in dem steht, daß die DDR zum humanistischen Erbe der Arbeiterbewegung gehört.

Wegner: Mir war so unwohl bei diesem ganzen Interview. Ich wäre am liebsten zwischendurch aufgestanden und gegangen. Aber dann, das ist ja so, man drückt sich nicht, man bekennt Farbe. Ich weiß es nicht, nein, ich möchte nicht beschwören, was gefragt wurde und was ich geantwortet habe.

KONKRET: Sie können sich nicht erinnern, direkt nach der sogenannten Stasi gefragt worden zu sein. Was immer es war, geantwortet haben Sie: "Ich denke nur, wenn man eine andere Gesellschaftsform errichtet, daß man da so ein Organ wieder braucht, weil man sich auch davor schützen muß, daß andere Kräfte, reaktionäre Kräfte die Gelegenheit nutzen und so einen Staat von innen aufweichen." Das war die Formulierung. Ist das Ihre grundsätzliche Auffassung über die Notwendigkeit von Geheimdiensten?

Wegner: Nur noch einmal zur Klarstellung: Ich bin nicht für die Wiedereinführung der Stasi. Und was dieses neue Deutschland betrifft: Wir haben in diesem Land drei Geheimdienste. Darüber regt sich kein Mensch auf. Natürlich stellen wir uns eine sozialistische Gesellschaft nicht mit Mauern und Stacheldraht vor. Das habe ich auch relativ schnell in einer Erklärung an die Fraktion so formuliert, aber es hat nicht mehr geholfen.

KONKRET: Und dann haben Sie gesagt, daß die Mauer Einwirkung, Angriff und Schädigung der DDR von außen abwehren sollte. Ist es tatsächlich Ihre Meinung, daß das die einzige oder hauptsächliche Funktion der Mauer gewesen ist?

Wegner: Natürlich nicht. Die Mauer war ein Produkt des Kalten Krieges, und verantwortlich dafür sind alle daran Beteiligten. Wir von der DKP sagen: Leute, zieht euch nicht immer an dieser Mauer hoch, die ja nun seit zwanzig Jahren nicht mehr existiert, sondern kümmert euch um die Mauern, die es anderswo auf der Welt gibt - die Mauern, die Europa um sich zieht, um niemand anderen an unserem Wohlstand teilhaben zu lassen.

KONKRET: Wie hat sich denn die Partei Die Linke nach dem Interview verhalten?

Wegner: Also ich war ziemlich verdattert, als bereits am Vormittag des Sendetags DPA die Schlagzeile brachte: Landtagsabgeordnete wünscht Stasi und Mauer zurück. Sofort wurde ich aufgefordert, mein Mandat zurückzugeben.

KONKRET: Von wem?

Wegner: Von Mitgliedern der Fraktion, aber auch vom Bundesvorstand.

KONKRET: Von wem genau?

Wegner: Von Uli Maurer.

KONKRET: Was hat er gesagt?

Wegner: "Sag mal, was hast du da denn gemacht? Hier tobt alles, der Oskar tobt und der Diether schäumt. Du mußt dein Mandat zurückgeben." Ich habe gesagt, darüber muß ich nachdenken, und habe dann Kontakt aufgenommen zu meinem Parteivorsitzenden Heinz Stehr. Da hörte ich dann die beruhigenden Worte: Es besteht kein Grund, das Mandat zurückzugeben. Nach einer halben Stunde rief Uli Maurer wieder an: "Hast du dir das überlegt?" - "Ja, ich gebe das Mandat nicht zurück." - "Dann bist du ab sofort krank, tauchst ab, keine öffentlichen Äußerungen mehr, keine Kontakte zur Fraktion." Und das alles, ohne auch nur den "Panorama"-Beitrag abzuwarten und dann vielleicht zu sagen: Da hast du Scheiße gebaut, oder: Da ist was falsch rübergekommen, und wir müssen uns zusammensetzen.

KONKRET: Um wieviel Uhr kam die DPA-Meldung ungefähr?

Wegner: Vormittags.

KONKRET: Und wann hat Maurer angerufen?

Wegner: Fünf nach zwölf.

KONKRET: Abends kam die Sendung. Was haben Sie sich denn gedacht, als Sie sie gesehen haben?

Wegner: Ich hätte mich ohrfeigen können, daß ich mich auf dieses Interview überhaupt eingelassen habe.

KONKRET: Wer jahrzehntelang in der kommunistischen Bewegung ist und auch einiges weiß über die ideologischen Apparate des Klassenfeinds, was sagt so ein Mensch, der doch in diesem Moment die Wachsamkeit hat vermissen lassen?

Wegner: Er sagt, das war Mist, du hast dich benutzen lassen.

KONKRET: Also um zwölf Uhr kam die DPA-Meldung. Kurz nach zwölf rief Uli Maurer an. Innerhalb einer halben Stunde nach dem ersten Gespräch verlangt er die Niederlegung des Mandats. Der Tag ist noch lange nicht rum. Wie ging es dann weiter?

Wegner: Einzelne Fraktionsmitglieder riefen an und unterstützten die Forderung von Maurer.

KONKRET: Die Fraktion hatte außer Ihnen noch zehn Mitglieder. Wie viele von diesen haben angerufen?

Wegner: Vier. Zwei haben gesagt, gib dein Mandat zurück, zwei haben gesagt, behalte es bloß.

KONKRET: Die Partei selbst hat sich schon vor der Sendung fünfmal geäußert, vier Abgeordnete, ein Westbeauftragter. Ansonsten Funkstille?

Wegner: Die Presse hat uns seit dem frühen Nachmittag belagert. Anrufe, Klingeln an der Tür. Wir bewohnen so ein Mittelreihenhaus in einer Stichstraße. Es rauschten Kamerateams auf, vor dem Haus, hinterm Haus, auf der Straße. Ein Reporter aus Lüneburg kriegte von einem Nachbarn eins auf die Mütze, weil der sich belästigt fühlte. Die klingelten bei den Nachbarn, die Presse ging ins Krankenhaus, in dem ich so viele Jahre gearbeitet habe, befragte Mitarbeiter und alles, was sich bewegte. Die "Bildzeitung" rief bei Nachbarn an, bot ihnen Geld, wenn sie ein bißchen plaudern über die Familie Wegner. Die Polizei rief bei anderen Nachbarn an, bat sie, auf die Wache zu kommen, um sich da ein bißchen über Familie Wegner zu unterhalten. Beide Nachbarn haben die Angebote abgelehnt. Eine Woche lang war die Hölle los.

KONKRET: Frau Antoni hatte es Ihnen doch schon angekündigt: "In diesem Lande haben wir Pressefreiheit." Öffentlich hat sich die Partei Die Linke bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geäußert.

Wegner: Ich habe vermittelt bekommen, daß der Landesvorstand der Linkspartei vor der Fraktionssitzung am 18., an der ich ja nicht mehr teilnehmen durfte ...

KONKRET: Warum? Das wissen wir noch nicht.

Wegner: Weil Uli Maurer mir gesagt hatte: "Kein Kontakt mehr zur Fraktion." Am Samstag habe ich mich mit Heinz Stehr getroffen. Es wurden Erklärungen vorbereitet, die auch dazu dienen sollten, die Fraktion irgendwie zu beschwichtigen. Aber das reichte nicht aus.

KONKRET: Ist die Erklärung verlangt worden oder haben Sie die angeboten?

Wegner: Die ist verlangt worden. Der niedersächsische Parteivorsitzende Diether Dehm hat gesagt: "Hör zu, es wäre gut, du würdest denen da irgendeine Erklärung geben." Meine Erklärung hieß "Zur Klarstellung" und ging so: "Ich will nicht, wie es ›Panorama‹ behauptet, die Stasi und die Mauer zurück. Und ich will auch nicht die Niedersachsen enteignen."

KONKRET: Sehr schade.

Wegner: Es ist doch klar, daß es mir nicht darum geht, die Stasi wiederzubeleben, die Mauer neu zu bauen oder in Niedersachsen die Eigenheime zu enteignen. Dennoch hat der Landesvorstand unter Führung von Diether Dehm am Wochenende der Fraktion empfohlen, mir auf der Fraktionssitzung am 18. Februar den Gaststatus zu entziehen. Das hat dann die Fraktion getan.

KONKRET: Einstimmig?

Wegner: Einstimmig.

KONKRET: Einschließlich der beiden, die Sie zuvor aufgefordert hatten, Ihr Mandat zu behalten. Hat Sie das Verhalten der Fraktion überrascht?

Wegner: Da nicht mehr.

KONKRET: Die Spitze der niedersächsischen Partei Die Linke, der Landesvorsitzende Dehm und der Fraktionsvorsitzende Dr. Sohn, werden zum linken Flügel der Partei gerechnet. Wie erklären Sie sich ihr Verhalten?

Wegner: Ich denke, daß der Druck einfach zu groß war.

KONKRET: Wessen Druck?

Wegner: Das weiß ich nicht.

KONKRET: Könnte es sein, daß jemand erschrocken ist, als Sie in den Landtag gekommen sind?

Wegner: Ja.

KONKRET: Wer?

Wegner: Ich.

KONKRET: Sie allein?

Wegner: Sonst hat niemand mir gegenüber geäußert, daß er erschrocken war.

KONKRET: Niemand hatte damit gerechnet, daß Sie in den Landtag kommen, Sie auch nicht. Wenn man sich die Landeslisten der Partei Die Linke ansieht, hat man mit Ausnahme von Hamburg eigentlich die Kommunisten immer so plaziert, daß sie keine Chancen hatten.

Wegner: Der Eindruck könnte sich aufdrängen.

KONKRET: Aber bei Ihnen ist es schiefgegangen. Sie sind wider Erwarten in den Landtag gekommen. Diether Dehm fand das gut, er hat Sie öffentlich präsentiert. Also war er offensichtlich nicht erschrocken.

Wegner: Das scheint so.

KONKRET: Aber er steht unter Druck von Menschen, die erschrocken sind.

Wegner: Durchaus möglich.

KONKRET: Zweitens stand die Bürgerschaftswahl in Hamburg kurz bevor. Sowohl die Bundespartei als auch die niedersächsische Partei mußte fürchten, daß die öffentliche Reaktion auf Ihr Interview die Chancen in Hamburg beeinträchtigte.

Wegner: Das konnten sie befürchten, ja.

KONKRET: Ist die Reaktion der Partei Die Linke, Sie aus der Fraktion zu werfen, dann nicht nachvollziehbar? Da ist eine Person im Landtag, die wir nicht haben wollen. Jetzt verschlechtert sie sogar unsere Chancen in Hamburg. Wenn man was von Parlamentarismus hält und Wahlerfolge liebt, ist das doch eigentlich rational. Und andersrum: Könnte es sein, daß Sie durch Ihr ›Panorama‹-Interview der Bundespartei der Linken einen großen Gefallen getan haben? Man konnte öffentlich Die Linke von der DKP exorzieren.

Wegner: Man könnte das so sehen.

KONKRET: Weshalb haben Sie das Mandat behalten?

Wegner: Letzten Endes war dafür ein Interview mit Gregor Gysi vor der Hamburg-Wahl entscheidend, wo er zum Schluß sagte: "Das mit der Frau Wegner, das sieht mir nach Verfassungsschutz aus." Da war für mich die Grenze der Zumutbarkeit erreicht. Nach Rücksprache mit Heinz Stehr habe ich gesagt: Nach einem solchen unverschämten Anwurf werde ich das Mandat nicht zurückgeben.

KONKRET: Vor der Wahl haben die Kandidatinnen und Kandidaten der Partei Die Linke, darunter auch Sie, sich verpflichtet, zehn Prozent ihrer Diäten an die Fraktion abzuführen. Machen Sie das?

Wegner: Ich habe es versucht. Ich habe das Geld überwiesen, aber es kam zurück mit der Bemerkung: Kontonummer und Bankleitzahl falsch.

KONKRET: Haben Sie es noch einmal versucht?

Wegner: Es ist ja nicht so, daß es keine persönlichen Kontakte gibt. Ich habe mit jemandem gesprochen, der für die Gelder verantwortlich ist, und der hat gesagt, er kann das nicht nehmen.

KONKRET: Warum?

Wegner: Weil sie mir den Gaststatus entzogen haben, haben sie sich geniert, trotzdem mein Geld zu nehmen.

KONKRET: Die nehmen doch sonst gern Spenden.

Wegner: Ja, aber nicht von mir. Ich mache das jetzt anders. Ich unterstütze ein soziales Projekt, und die DKP kriegt Geld für die nächsten Wahlkämpfe.

KONKRET: Sie sind, von Gregor Gysi quasi dazu gedrängt, im Landtag geblieben. Wie sehen Ihre Arbeitsbedingungen als fraktionslose Abgeordnete jetzt aus?

Wegner: Ambivalent. Einerseits kann ich aufgrund der Geschäftsordnung viele Dinge gar nicht machen, andererseits kann ich mit Hilfe meiner Partei Kleine Anfragen formulieren und mich mit Hilfe meines Mitarbeiters inhaltlich gut auf die Landtagssitzungen vorbereiten. Bei Anträgen der Linkspartei, die deren Landtagswahlprogramm entsprechen, stimme ich als Kommunistin zu.

KONKRET: Und bei anderen Anträgen dagegen?

Wegner: Ja. Ich bin keinem Fraktionszwang unterworfen.

KONKRET: Sie arbeiten im Ausschuß für Arbeit und Soziales.

Wegner: Aber ohne Stimmrecht.

KONKRET: Und Sie haben Rederecht im Plenum?

Wegner: Ja, eine Minute pro Tagungsabschnitt, also eine Minute in drei Tagen.

KONKRET: Haben Sie das schon wahrgenommen?

Wegner: Ich habe eine Zusatzfrage gestellt zu einer dringlichen Anfrage der Linkspartei betreffend die Situation im niedersächsischen Automobilbau, und da speziell beim Karosseriebauer Karmann.

KONKRET: Und wie wollen Sie jetzt in den nächsten fast fünf Jahren mit Ihrer Eine-Minute-Redezeit umgehen?

Wegner: Wie würden Sie mit Ihrer Eine-Minute-Redezeit umgehen? Ich will den Landtagspräsidenten bitten, eine Möglichkeit zu finden, das auszuweiten. Und dann gibt es ja viele Möglichkeiten, sich außerparlamentarisch bemerkbar zu machen.

KONKRET: In einer Minute kann man sich gerade mal ausführlich räuspern, aber keinen Gedanken formulieren. Vielleicht sollten Sie mal beim Verfassungsgericht vorsprechen.

Wegner: Wenn mir der Landtagspräsident nicht hilft.

KONKRET: Mit einem Helfersyndrom wird man vielleicht nicht Landtagspräsident.

Wegner: Nein, da wird man Krankenschwester.

KONKRET: Sie sind die einzige deutsche Landtagsabgeordnete, die Mitglied der DKP ist, und Sie werden wohl auch die letzte bleiben. Die DKP ist eine sehr kleine und überalterte Partei. Bei praktischer Politik dürfte eine Mitgliedschaft dort eher hinderlich als hilfreich sein. Wäre es nicht besser, die DKP-Mitglieder würden sich organisatorisch neu orientieren, die Partei auflösen und der Kommunistischen Plattform bei der Linken beitreten?

Wegner: Das kann ich nur für mich beantworten: nein. Ich bin auch nicht die letzte kommunistische Abgeordnete, sondern seit 1959 die erste. Warum sollen wir uns neu orientieren? Sollen wir uns in Parteien organisieren, die uns

dann parlamentskompatibel machen? Wir wollen eine andere Gesellschaftsordnung. Das will Die Linke nicht, und das wollten die Grünen nie.

- Das Gespräch führte Georg Fülberth -

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Literatur Konkret Nr. 36