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36 Jahre Konkret CD

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Heft 01 2010

Kay Sokolowsky

Love me Brender

Mit dem Zweiten lügt man besser: Der abgesägte ZDF-Chefredakteur war für die CDU und die neoliberale Staatsdoktrin etwa so gefährlich wie all jene Pressevertreter, die sich nun über den Ruin des Fernsehjournalismus empören.

Auf Menschen mit schlechtem Gedächtnis warten ständig Überraschungen. Sie erwachen, blicken aus dem Fenster und denken: "Hui, das Licht dort im Osten scheint aber hell! Sollte dies die Sonne sein?" Und so staunen sie über Dinge, die anderen vertraut sind bis zum Verdruß. Als der ZDF-Verwaltungsrat auf Betreiben des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch am 27. November 2009 beschloß, den Vertrag mit Chefredakteur Nikolaus Brender nicht zu verlängern, war Deutschland plötzlich voller Leute mit Gedächtnisstörungen. Ein Heulen und Zetern erscholl, als habe bis dahin noch niemand von den Rundfunkstaatsverträgen gehört, davon, wie sie seit bald sechs Jahrzehnten dafür sorgen, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten immer dort stehen, wo die jeweils herrschende Politik sie haben will, nämlich keinesfalls auf den eigenen Füßen.

Brenders Rauswurf sei ein "Anschlag auf den unabhängigen Fernsehjournalismus", krähte Renate Künast von den Grünen, und das wäre ein guter Witz gewesen, wenn die Frau welchen hätte. Ebenso ernst meinte es Burkhardt Müller-Sönksen, medienpolitischer Sprecher für die FDP im Bundestag, als er in der "Welt am Sonntag" rumpelte: "Roland Koch hat mit seiner parteipolitischen Testosteron-Attitüde dem Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland Schaden zugefügt." Bei einem Androiden wie Koch an Testosteron zu denken und nicht an Schmierfett, ist schon eine mentale Spitzenleistung. Eine größere jedoch zu glauben, das Ansehen der gebührenpflichtigen Sender werde durch den Abgang Brenders und nicht etwa durch das Programm beschädigt, für das der Chefredakteur seit dem Jahr 2000 mitverantwortlich gezeichnet hat. Was das ZDF versendet, wäre allerdings ein Grund, sich über die Qualifikation Brenders Gedanken zu machen.

Am Tag, als Deutschland - so Markus Brauck etwas hysterisch im "Spiegel" - zu "Berlusconi-Land" wurde (vorher zitterten die Mächtigen bekanntlich vor den beinharten Recherchen und bohrenden Fragen der Brender-Redakteure), am 27. November also fing das Programm des Zweiten mit dem "Morgenmagazin" und Cherno Jobatey an, und das war gewiß ein passender Auftakt zum Untergang des autonomen Fernsehjournalismus. Zur Mittagszeit setzte das öffentlich-rechtliche Elend sich fort mit der Dokusoap "Die Küchenschlacht - Alfons Schuhbeck sucht den Spitzenkoch". Gleich anschließend präsentierte das ZDF "Tierische Kumpel - Zoogeschichten zwischen Rhein und Donau", anschließend die Telenovela "Alisa - Folge deinem Herzen", und zwischen "SOKO Wien" um 18 Uhr und "Lanz kocht" um 23:05 Uhr war dann ganze 85 Minuten Zeit für zwei "Heute"-Sendungen, das enorm investigative "Polit-Barometer" sowie die Simulation von Kritik in "Aspekte". Leider zeigt kein Barometer an, ob die Deutschen sich eine weitere Verblödung des ZDF-Programms nach Brenders Rausschmiß überhaupt vorstellen können. Dazu gehört nämlich noch mehr Phantasie als zur Illusion, der Mainzer Lerchenberg sei unter Nikolaus Brender eine Bastion des freien Geistes gewesen. Wo es dort doch gerade mal für Dumpfdenker Sloterdijk und seine Philosophie als Quartettspiel reicht.

Ziemlich wenig weiß man über Kochs Motiv, den Mann mit dem Groucho-Marx-Bart loszuwerden. Der brutalstmögliche Potentat selbst behauptet, die Quoten für die verbliebene "Informationssparte" des ZDF seien ihm zu schlecht. Andere munkeln, die Kanzlerin habe Koch ausgesandt, Brender abzustrafen. Die dämlichste Erklärung lieferte Hans Leyendecker in der "Süddeutschen Zeitung": Im Frühjahr 2009 habe Chefred. Brender Miniprä. Koch einen Handschlag verwehrt, nachdem dieser im Verwaltungsrat verkündet hatte, einer Vertragsverlängerung mit dem "Journalisten aus Leidenschaft" (Leyendecker) nicht zustimmen zu wollen. "War es diese Geste, der verweigerte Händedruck, die so auffällig demonstrierte Unbotmäßigkeit? Liegt es daran, daß alles jetzt so läuft, wie es läuft?" So kann nur einer fragen, der sich nicht schämt, auch solchen Quatsch zu schreiben: Brender "liebt seine Arbeit, wie man ein lebendes Wesen liebt", einen Goldhamster etwa. Wenn es Roland Koch tatsächlich jucken sollte, daß ihn einer nicht riechen kann, müßte sich demnächst halb Deutschland nach einem neuen Job umgucken.

Vermutlich weiß Koch schon lange nicht mehr, warum er tut, was er tut, außer um wenigstens hin und wieder was zu tun. Immer wenn es nicht darum geht, am Stuhl zu kleben oder der Migrantenbagage heimzuleuchten, ist Koch von stupender Planlosigkeit. Diese Absenz von Gestaltungsfähigkeit und -willen hat er mit seinen großen Vorbildern Helmut Kohl und Alfred Dregger gemein. Wie wenig "der Westentaschen-Berlusconi aus Hessen" (Markus Brauck) zu melden hat, merkt er jeden Tag, zuletzt besonders einprägsam bei den Abwicklungsverhandlungen in Sachen Opel. Um zumindest eine Ahnung der Macht zu haschen, die er nicht besitzt, markiert er den dicken Max, wo ihm allenfalls Figuren widersprechen könnten, die noch erbärmlicher sind als er, Kurt Beck beispielsweise. Womöglich hatte Koch gar nichts anderes im Sinn, als via Brender den Kollegen aus Rheinland-Pfalz zu demütigen. Wie gut ihm das gelang, haben Becks Statements nach der Niederlage im Verwaltungsrat gezeigt. Nun sei es höchste Zeit, den Staatsvertrag fürs ZDF zu ändern, stammelte er in der "Süddeutschen", er glaube, "daß nach den öffentlichen Reaktionen und nach den Darlegungen von Staatsrechtspositionen ein Nachdenken bei der Union eingetreten ist. Darauf setze und baue ich." Zweifellos denkt Roland Koch schon jetzt darüber nach, wie er diesen Jammerlappen das nächste Mal vorführen wird.

Brender, der keine Probleme darin sah, wenn Moderatoren schleichwerben, sich an die Industrie als Conférenciers verkaufen oder gleich mit den Konzernherren ins Bett gehen, dieser Ausbund an Gedankentiefe und -schärfe ("Der Zuschauer hat ein Recht darauf, Sport als Spaß zu erleben") war für die CDU und die neoliberale Staatsdoktrin etwa so gefährlich wie sein Nachfolger, der kurioserweise von den Medien gerne als "linksliberal" titulierte Linksparteihasser Peter Frey, oder all jene Pressevertreter, die sich nun über den Ruin des Fernsehjournalismus empören. Dieselben Freiheitskämpfer, die den Mund nicht aufkriegten, als ihre Verleger zum Wohl des eigenen Geschäfts untersagen ließen, daß öffentlich-rechtliche Reportagen zeitlich unbegrenzt aus dem Internet abrufbar sind, dieselben Polemiker, die sich jedesmal verdrücken, wenn eine neue Maßnahme ausgeheckt wird, um redaktionellen und Anzeigenteil noch verwechselbarer zu machen, dieselben Esel, die Roland Koch mit Vergnügen halfen, Andrea "Lügilanti" abzuservieren, nehmen einen ganz normalen Fall im Staatsfernsehen zum Anlaß, nach dem Verfassungsgericht zu schreien: Die Peinlichkeit des Vorgangs entspricht seiner Verlogenheit.

Zu diesen bigotten Maulhelden paßt es freilich gut, daß sie für einen Berufsgenossen in die Bresche springen, dessen couragierteste Tat es gewesen sein dürfte, bei der "Elefantenrunde" im Jahr 2005 den abgewählten Kanzler Schröder nicht länger mit Amtstitel anzusprechen. Obgleich es wünschenswert ist, ein besseres Gedächtnis als solche Moraltrompeter zu haben - das Geblöke in Sachen Brender kann man getrost vergessen.

Kay Sokolowsky hat vor kurzem das Buch "Feindbild Moslem" (Rotbuch) veröffentlicht

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36