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36 Jahre Konkret CD

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Heft 11 2011

Peter Kusenberg

LINKS & RIGHTS

Von identitätsstiftenden und diskriminierenden Apps.

Jugendliche sind, mehr als Erwachsene, darum bemüht, Grenzen des Ichs festzulegen und Wohlgefälliges einzugemeinden. Hilfreich sind dabei Listen mit berühmten Leuten, die ebenfalls unter einer Hasenscharte litten oder aus demselben Voreifel-Kaff stammen. Ich bastelte mir während der faden Teenagerjahre Listen mit Linkshändern und Leuten, die am 17. Juni Geburtstag haben – in Ermangelung interessanter identitätsstiftender Merkmale. In puncto Listen-Coolness haben die jüdischen und schwulen Mitmenschen mit Vertretern wie Larry David oder Stephen Fry deutlich bessere Karten.

Der französische Programmierer Johann Levy übertrug seine Jewish-Pride-Liste in eine Smartphone-App namens »Jew or Not Jew«. Sie solle der Erheiterung dienen und zeige, »daß es viele Juden geschafft haben, durch harte Arbeit Anerkennung zu erhalten«. Allerdings erscheint das vermutlich mit treuherzigen Absichten entwickelte Ding wie das Werkzeug von Antisemiten. In der Topliste stehen neben dem kruzigefixten Religionsgründer auch Typen à la Nicolas Sarkozy und Dominique Strauss-Kahn, der Betrüger Bernard Madoff und Italo-Amerikaner Sylvester Stallone. Rambo hatte laut verlinktem Wikipedia-Eintrag einen jüdischen Großvater, ist also laut Levy und gemäß den Nürnberger Rassengesetzen ein »Vierteljude«. Ein Interesse von Neonazis an der App ist allerdings nicht feststellbar. In der Kommentarspalte des deutschen App-Stores wundert sich nur ein Nutzer darüber, warum das angebliche Goebbels-Liebchen Magda Schneider als »jüdisch« klassifiziert wird.

In Frankreich verbannte Apple die App auf Betreiben der antirassistischen Organisation SOS Racisme. Das gleiche Schicksal ereilte die dämliche Android-App »Ist mein Sohn schwul?«, die nach queeren Protesten aus dem Angebot gekippt wurde. Dabei fällt auf, daß diskriminierende Apps im restriktiven Apple-System schneller verschwinden als beim offeneren Android. So killte Apple die homophobe »Gay-Cure«-App binnen weniger Tage, und wer auf seinem I-Phone nach NS-Apps sucht, der landet bei »Nazi Zombies« und dem »Sachsenhausen Memorial«. Identitätsstiftende jüdische Apps hingegen gibt’s en masse, etwa die herrlich depperte »Kabbalah Yoga Workout App« und die Sudoku-Variation »Hebrew-Ku«, die mit den vielversprechenden Worten angekündigt wird: »Oy Vey! Is this a mishuga game or what!« Meschugge oder nicht – solange Apple mit dem Besen der Political Correctness kehrt, bleibt zumindest das Apple-Internet frei vom derbsten Unflat und läßt das eher belanglose »Jew or not Jew« als dickes Ding erscheinen – während ein jeder unter der Webadresse jewornotjew.com seit Jahren nachgucken kann, wie jüdisch Darth Vader und Justin Bieber sind.

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Literatur Konkret Nr. 36