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Elke Wittich
LINKS & RIGHTS
Wie man ein Online-Eigentor erzielt
Na gut, mit der Erfindung des Internets hatte er nicht rechnen können, und deswegen ist Karl Kraus' Erkenntnis, "alles Unglück der Welt" rühre daher, "daß die Leute nicht zu Hause bleiben können", heute nicht mehr ganz richtig. Ein Teil des Unglücks und damit auch des aktuellen Medienelends kommt nämlich daher, daß die Leute, egal, ob sie nun zu Hause sind oder nicht, ums Verrecken nicht ordentlich googeln können. Oder Suchfunktionen benutzen, was aufs selbe hinausläuft.
Nun ist es eine Sache, wenn man im Log der eigenen Webseite staunend feststellt, daß jemand auf der Suche nach einem Online-Radrenngame mit den Keywords "wirtuel farhrad fahren" operiert hat. Kann passieren, wenn Promillewert und Spielfreude gleichermaßen ausgeprägt sind. Eine ganz andere Sache ist es aber, wenn einem beim Hantieren mit unzureichenden Informationen die halbe Republik zuschaut, wie es unlängst Willi Winkler passiert ist. Der hatte in der Printausgabe der "Süddeutschen" einen länglichen Artikel darüber verfaßt, daß der "Spiegel" via Kooperation mit dem Buchgrossisten Libri im eigenen Onlineshop seinen Lesern ausgewiesene Naziliteratur verkauft und geschrieben: "Die Glaubwürdigkeit des ›Spiegel‹ wird unter diesem Link ins rechte Lager nicht leiden, es ist bloß peinlich."
Das hatte gesessen. Aber nicht lange, denn einen Tag später stellte "Spiegel online" "in eigener Sache" fest, daß man dieselben Bücher von Naziautoren auch im "SZ"-Onlineshop erhalten könne. Irgendwie sei das alles nicht schön, waren sich beide Medien einig, und dann, tja, was dann?
Das Buch des SS-Offiziers Léon Degrelle "Denn der Haß stirbt ... Erinnerungen eines europäischen Kriegsfreiwilligen", das Winkler zu Recht "altnazistische Rechtfertigungsliteratur" nannte, ist im "Spiegel"- wie im "SZ"-Shop immer noch erhältlich. Ebenso kann man dort unter anderem "Mein Kriegstagebuch" von Hans Ulrich Rudel bestellen, über den es in der Inhaltsbeschreibung heißt: "Rudel stellte sich auch nach 1945 patriotisch in den Dienst für Deutschland" - was eine aparte Umschreibung dafür ist, daß der Nazioffizier nach dem Krieg unter anderem mit dem "Kameradenwerk" eine Hilfseinrichtung für NS-Kriegsverbrecher gründete.
Ach ja, die Notwendigkeit, "ordentlich" zu googeln, besteht natürlich weiter. Und funktioniert so: Man verläßt sich nicht darauf, daß das Zitat ganz am Anfang dieses Textes auch wirklich, wie von Reinhard Mohr 2007 im "Spiegel" behauptet, von Karl Kraus stammt. Sondern bemüht die Suchmaschine erneut. Ooops: "... habe ich häufig gesagt, daß das ganze Unglück der Menschen aus einem einzigen Umstand herrühre, nämlich, daß sie nicht ruhig in einem Zimmer sitzen bleiben können" - stammt aus: Blaise Pascals "Gedanken".
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KONKRET Text 56
KONKRET Text 55
Literatur Konkret Nr. 36
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