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36 Jahre Konkret CD

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Heft 04 2009

Elke Wittich

Links & Rights

Wie hoch ist der Informationsgehalt von Twitter?

Der Amoklauf im schwäbischen Winnenden war kaum so richtig losgegangen, da begann der Nachrichtensender NTV auch schon mit der Sondersenderei. Was sein Job ist, klar, aber dieses Mal war alles ein bißchen anders als sonst, wenn das rote Laufband erscheint und der Schriftzug "Breaking News" Bilder in Endlosschleife, aufgeregte Reporter und endlose Interviews mit Experten für dieses und jenes verheißt. In der Zwischenzeit war nämlich Twitter erfunden worden. Falsch: In der Zwischenzeit war Twitter in Deutschland zum News-Medium allererster Güte ernannt worden, nachdem die Notwasserung eines Flugzeugs im Hudson River zuerst per Twitter gemeldet worden war.

Und deswegen mußte der Messenger natürlich auch in die Berichterstattung über den Amoklauf eingebunden werden. Konkret sah das so aus: Im Studio in Berlin schaltete man in regelmäßigen Abständen einen Reporter zu, der ganz aufgeregt erzählte, wie der Amoklauf in der Twitter-Community bewertet wurde. Was zwar null Nachrichtenwert hatte, denn die Schüler der Winnendener Realschule hatten wie alle weiteren Augenzeugen gerade andere Sorgen, als ihre Eindrücke im Internet bekanntzugeben, aber immerhin, so konnte NTV verkünden, waren Trauer und Entsetzen bei den Fans des Mikro-Bloggingdienstes ziemlich groß.

Twitter gehört zu den ganz großen kommunikativen Mißverständnissen des noch so jungen Jahrhunderts. Warum der Kurzmessagedienst als so ungeheuer hip gilt, läßt sich vielleicht noch am ehesten damit erklären, daß er vor der Hudson-Notlandung hauptsächlich als das Tech-Dingens bekannt wurde, das Barack Obama während des Wahlkampfs so gern benutzte. Wobei Twitter wirklich ausgesprochen Glück hatte, daß sein Dienst vom leidlich jungen, internetaffinen demokratischen Präsidentschaftskandidaten genutzt worden war und nicht von der schnarchnasigen republikanischen Konkurrenz, denn, seien wir ehrlich, niemand, wirklich niemand mit Selbstachtung hätte sich irgendwo erwischen lassen wollen, wo beispielsweise die Alaska-Schnalle aktiv ist.

So hat mittlerweile jeder, der etwas auf sich hält, einen Twitter-Account und verbreitet die typischen, aufgrund der Zeichenbeschränkung immer etwas atemlos wirkenden Kommentare, die den Eindruck erwecken, sie seien die einzigen Möglichkeiten für die gestreßte Managerelite, mit dem Freundeskreis in Kontakt zu bleiben. Sind sie natürlich nicht, denn E-Mails, Messenger, SMS, MMS und Blogs sind schon lange erfunden, weswegen es eigentlich kein Twitter braucht - aber in Wirklichkeit wird Twitter sowieso fast ausschließlich von Leuten mit zu viel Zeit (etwa von Chefredakteuren) genutzt, die alle Viertelstunde in die Welt hinausblasen möchten, was sie gerade gegessen, getrunken, getan, und hin und wieder sogar: gedacht haben.

Aber hej, damit kann man sogar ins Fernsehen kommen, wenn man Glück und NTV grad nix zu senden hat.

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Literatur Konkret Nr. 36