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36 Jahre Konkret CD

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Heft 06 2008

Svenna Triebler

LINKS & RIGHTS

Fundstücke aus dem Tibet-Sympathisantensumpf

"Der Großteil unseres Leidens rührt daher, daß wir zu viele Gedanken hegen." Dieses Dalai-Lama-Zitat (Quelle: www.fengshui-center.ch/Dalailama/37.htm) sollte man beherzigen, wenn man sich im Internet unter die Freunde des tibetischen Volkes begibt und die Sache schmerzfrei überstehen will.

Den Hinweis auf die Aktion "Stricken für Tibet" (www.tibet.at) - mit freundlicher Unterstützung der Firma Steinbach-Wolle - kann man noch unter "bestätigte Vorurteile" verbuchen; dann aber sollte man sich in meditativem Denkverzicht üben, etwa um angesichts der Ankündigung eines "Kerzenmarschs" zur Münchner Feldherrnhalle (www.tibet-munich.de) nicht auf merkwürdige Ideen zu kommen, zumal die Tibet-Initiative Deutschland (TID) zeitnah dazu Vollbeflaggung anordnet. Stolz wird vermeldet, daß in diesem Jahr 922 deutsche Städte und Gemeinden dem Aufruf gefolgt seien, ihr Rathaus mit der "Schneelöwen-Flagge" zu zieren (www.tibet-initiative.de). Bei besagten Tierchen handelt es sich übrigens nicht um eine zum buddhistischen Vegetarismus bekehrte und durch chinesische Großwildjäger bedrohte Art. Vielmehr erfährt man unter http://mount-kailash.com/flagge.htm: "Die beiden mythischen Schneelöwen stellen die Macht der geistlichen und weltlichen Herrschaft dar. Sie symbolisieren in ihrer Aufrichtigkeit die siegreiche Vereinigung von spirituellem und sicherem - also geschütztem - Leben", oder weniger blumig: das alte klerikal-feudale Herrschaftssystem, das laut TID als jahrhundertealte "einzigartige Kultur ... als kulturelles Erbe der Menschheit erhalten werden muß". Zum Leidwesen der restlichen Welt hat jedoch das Eingreifen Chinas dazu geführt, daß der Dalai Lama nicht mehr in einem abgeschiedenen Bergkloster seinen Job als gottgleicher Alleinherrscher ausübt, sondern sein Dasein fristen muß, indem er - "Besuche einmal im Jahr einen Ort, den Du noch nicht kennst" - rund um den Globus tingelt und Kalendersprüche absondert.

Auf Youtube tobt unterdessen die Propagandaschlacht. Die chinesische Seite bringt sich dabei selbst um die Chance, durch schiere Masse die Oberhoheit zu erringen, denn das milliardenköpfige Staatsvolk ist aus Zensurgründen von der Teilnahme ausgeschlossen; dafür wird in einem staatsoffiziell anmutenden Video die Vision eines idyllischen multiethnischen Zusammenlebens präsentiert. Der Gegenseite wiederum kann es offenbar gar nicht blutig genug zugehen; ihr geistliches Oberhaupt muß es ja wissen: "Leid adelt den Menschen." Außerdem ist, um auch mal einen Gemeinplatz anzubringen, des einen Leid des anderen Freud'. Wäre den Wiener Tibetfans (www.tibet-cafe.net/eu/content/ view/1889) doch sonst ein "wunderbarer Gebetsnachmittag" für jene, "die ihr Leben der tibetanischen Sache opferten", samt anschließendem vegetarischen Essen entgangen. So gibt man dem Tod einen Sinn.

- Svenna Triebler -

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Literatur Konkret Nr. 36