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36 Jahre Konkret CD

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Heft 01 2004

Magnus Klaue

Legoland

Politiker und Studenten sind sich über die Ziele der Unireform längst einig: Die Universität hat fit zu machen für den kapitalistischen Überlebenskampf

Der "Spree AG" gehört die Zukunft. Ihre Initiatoren beweisen, daß ein geisteswissenschaftliches Studium marktkompatible Verblödung nicht ausschließt: "Spree AG ist der Name einer Literaturgruppe, die im Wintersemester 2002/03 an der Freien Universität Berlin entstanden ist und sich seitdem ganz unbefangen der Literatur nähert." Erstes Produkt ihrer Unbefangenheit ist die Anthologie Dazwischen liegen Welten, und tatsächlich liegen Welten zwischen diesen poetischen Versuchen, die so überflüssig sind wie Judith Hermanns Prosa, und der Tradition jener Fakultät, an der die career promoter der Berliner Republik heute ihre Bildungsgutscheine einlösen. Für eine "Freie (d. h. freie) Universität" hieß eine 1973 posthum erschienene Aufsatzsammlung von Peter Szondi. Daß philologische Bildung den politischen Blick zu schärfen vermag, demonstrierte er, indem er das große F der FU als Verschleierung universitärer Unfreiheit erkannte. Freiheit - darin war Szondi, der Adorno so gut verstanden hatte, daß er ihn nicht in jedem zweiten Satz zitieren mußte, sich mit seinen Studenten einig - sollte in Berlin nicht nur proklamiert, sondern praktiziert werden.

Geblieben ist von den Reformversuchen wenig. Die freie Studienwahl verwirklicht sich darin, daß die Studierenden nach Belieben in die Kurse schlendern und wieder gehen, wenn die Entertainment-Qualitäten des Dozenten zu wünschen übriglassen. Die in den Siebzigern erprobten "autonomen Seminare" leben fort als "Projekttutorien", in denen über die Struktur des Kieferknochens oder über Frauentanz in Ruanda debattiert wird. Politisches Engagement artikuliert sich vorwiegend im Ressentiment gegen Israel sowie im Protest gegen Studiengebühren. Letzterer birgt, da es nur um Gebühren geht und nicht um die Gesellschaft, die sie verhängt, besondere Möglichkeiten für "kritische Kreativität". So jüngst in Göttingen, wo gegen die Universitätsreform mit der Parole demonstriert wurde, die heimische Uni dürfe nicht in die "zweite Liga" absteigen.

Mögen sie sich auch für Gegner halten, in der Sprache sind sich Politiker und Studenten längst einig: Die Universität hat uns fit zu machen für den kapitalistischen Überlebenskampf und muß dabei selber fit bleiben - derlei Unsinn denunzieren darf sie nicht. Disziplinen, die nicht marktwirtschaftlich verwertbar sind, müssen sich, sofern sie fortbestehen wollen, einen Jargon angewöhnen, dem man die Selbstabdankung des Geistes schon von weitem anhört. Im Vorlesungsverzeichnis ihres Instituts können Berliner Studenten der Theaterwissenschaft lesen: "Die Lehrveranstaltung diskutiert die theatrale Dimension (Konstruktion) historisch signifikanter gesellschaftlicher Vorgänge. Ausgangs- und ein Schwerpunkt der Untersuchungen sind Aspekte und Typen von theatralen Realitätskonstruktionen im Zuge der technologischen/audiovisuellen sozialen Kommunikationsrevolution." Derlei Logorrhöe wird mit einem Sonderforschungsbereich belohnt.

Doch die hohle Rhetorik der Interdisziplinarität ist harmlos im Vergleich mit der Diktion jener Bildungsdesigner, die den geisteswissenschaftlichen Fächern nun ein neues Outfit verpassen sollen. Das Zauberwort dafür lautet "Modularisierung". Am Ende sollen Bachelor- und Masterstudiengänge stehen, die nur Alibi sind für die Selbstabschaffung einer ganzen Fächergruppe. Schon jetzt ist klar, daß die anvisierten Ziele (internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse, Erhöhung der Qualitätsstandards) sich nicht erreichen lassen. Großbritannien will das deutsche Bachelor-System nicht anerkennen, und die dortige Unterrichtssituation mit einer Handvoll Studenten pro Tutor läßt sich mit dem hiesigen Massenbetrieb, der dank Stellenstreichungspolitik demnächst unerträglich werden dürfte, kaum vergleichen. Dennoch sind die anstehenden Veränderungen einschneidend: Sie bedeuten die Verwandlung der auf breite wissenschaftliche Bildung ausgerichteten staatlichen Hochschulen in Einrichtungen vom Typus der berufsausbildenden Fachhochschule - mit dem Unterschied, daß an geisteswissenschaftlichen Fakultäten niemand weiß, für welche Berufe man die Studierenden ausbilden soll. Philosophen, Philologen und Byzantinisten sind marktwirtschaftlich nutzlos; wer glaubt, Call-Center und PR-Agenturen bevorzugten einen solchen Menschenschlag, ist nicht bei Trost.

Das Hauptziel der Reform jedoch, die Ausmerzung des freien Denkens, verspricht erreicht zu werden. Das Bachelor-System fußt nämlich auf "Modulen", die kompatibel sein müssen und aus denen sich der Student im Stil des Legokastens seinen Lehrplan zusammenbauen muß, um auf die notwenige Zahl an "Leistungspunkten" zu kommen. Zwangsläufig geht damit eine Standardisierung und Verschulung des Studiums einher. Sicherte das System der Magister- und Staatsexamens-Studiengänge die Freiheit von Forschung und Lehre zumindest insofern, als die Dozenten "ihre" Forschungsthemen anbieten und einen Austausch von Forschung und Lehre ermöglichen konnten, muß künftig jeder Lehrende sein Angebot vom zuständigen "Modulbeauftragten" auf "Modulkompatibilität" prüfen lassen. Weil der nach drei Jahren zu absolvierende Bachelor nur mit den "Basics" des jeweiligen Fachs vertraut macht und der Mittelbau, also alle noch nicht Habilitierten oder Promovierten, bevorzugt Bachelor-Studenten betreut, ist das Ergebnis absehbar. Gerade die Inhaber sogenannter Qualifikationsstellen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, werden um die Möglichkeit gebracht, Forschung und Lehre zu verbinden, und gezwungen, den Kanon zu bedienen.

Die Lehrfreiheit wird faktisch abgeschafft, statt dessen entsteht eine Zwei-Klassen-Universität mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs als Abladestelle für den studentischen Pöbel, der nach drei Jahren dem Markt zur Verfügung gestellt wird, und einigen zu Professuren für den "Exzellenzabschluß" zurechtgelogenen Master, der zwar eine geringere Qualifikation als Magister oder Staatsexamen bietet, aber durch Einführung des Bachelor symbolisch aufgewertet wird. Die durch das Modulsystem nötige Kooperation der Lehrenden eliminiert überdies den in den Geisteswissenschaften wichtigen subjektiven Faktor: Um die Kompatibilität der Lehrangebote zu gewährleisten, wird man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen und auf jenes verdinglichte Handbuchwissen zurückgreifen müssen, in dessen Kritik der Sinn von Geisteswissenschaft seit je bestanden hat.

Während die Lehrenden die geistige Arbeit, für die sie angestellt sind, künftig nur noch mit schlechtem Gewissen verrichten werden (müßten sie sich nicht dem Universitätsmanagement widmen?), werden die Studenten infantilisiert. Standardisierte, hierarchische Lehrformen wie Vorlesungen, Klausuren und Hausaufgaben, die in den Siebzigern als entmündigend abgelehnt worden sind, treten wieder in den Mittelpunkt. Zum Repertoire von Germanistikstudenten werden künftig "Informationsmanagement", Rhetorik und Selbstdarstellung zählen, damit die der Schule Entronnenen frühzeitig lernen, wie man sich marktgerecht prostituiert. Auch soll sichergestellt werden, daß die Studierenden sich so lange wie möglich in den Räumen der Uni aufhalten und im Schnitt acht Stunden täglich studieren. Wenn solche abstrusen Zwangsmaßnahmen auf keinen nennenswerten Widerstand stoßen (auch die jüngsten Streiks richteten sich primär gegen die Sparpolitik), so nicht nur wegen des Informationsdefizits, sondern schlicht deshalb, weil es immer weniger Studenten gibt, für die ein geisteswissenschaftliches Studium mehr ist als Beschäftigungstherapie. Jede Umfrage zeigt, daß die Mehrheit der Studenten Sehnsucht nach ebenjener "Orientierung" und "Übersicht", sprich: Autorität hat, die man ihnen wieder bieten möchte. Ein geisteswissenschaftliches Studium diene nicht nur der Vermittlung von Faktenwissen und pragmatischen Fähigkeiten, sondern der Ausbildung autonomer geistiger Erfahrung, lehrte einst Adorno. Aber der wird sowieso nicht mehr gelesen. Die Leute von der "Spree AG" sind viel zeitgemäßer.

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Literatur Konkret Nr. 36