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36 Jahre Konkret CD

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Heft 02 2011

Ute Weinmann

Krieg des weißen Mobs

In Rußland macht die rechtsradikale Szene gegen Immigranten aus den ehemaligen sowjetischen Republiken mobil.

Moskau ist Kriegsgebiet. Es gibt kein Zurück." Mit diesem Slogan luden russische Neonazis im Internet für den Nachmittag des 11. Dezember 2010 zur Jagd auf Menschen aus dem Kaukasus auf dem Manezhnaja-Platz direkt vor den Mauern des Kreml. Der Aufruf fand in den Tagen davor eine massenhafte Verbreitung, insbesondere in den Internetforen lokaler Fußballfans. Obwohl die Vorsitzenden der Moskauer Fanclubs ihren Mitgliedern von der Teilnahme an der ungenehmigten Kundgebung abgeraten hatten, ignorierten etliche Fans diese Vorgaben und stellten damit neben Neonazis und Nationalbolschewisten einen erheblichen Teil der über 5.000 Versammelten. Teils maskierte Männer heizten die aggressive Stimmung an. Mehrere junge Kaukasier kamen nur deshalb mit relativ leichten Verletzungen davon, weil einige der vergleichsweise wenigen Milizionäre die Angriffe gegen sie mit großer Mühe abwehrten. Es folgten tätliche Auseinandersetzungen zwischen Kundgebungsteilnehmern und der Miliz, die am Abend ihre Fortsetzung in über 40 rassistisch motivierten Übergriffen auf Menschen mit nichtslawischem Aussehen fanden.

Am Vormittag des gleichen Tages hatten sich, ohne daß es zu Ausschreitungen gekommen wäre, mehrere tausend Fußballanhänger zu einer Trauerkundgebung im Norden der Stadt versammelt. Dort war am 6. Dezember der FC-Spartak-Fan Jegor Swiridow bei einer Auseinandersetzung mit jungen Männern aus dem Nordkaukasus mit einer Gaspistole erschossen worden, was Anlaß für die rassistische Mobilisierung war. Der Schütze sitzt in Untersuchungshaft. Weil aber die Staatsanwaltschaft weitere an der Auseinandersetzung Beteiligte zunächst wieder freigelassen hatte, blockierten am Folgetag über tausend Fans und Neonazis eine der Moskauer Hauptstraßen - praktisch ohne von den Ordnungshütern daran gehindert zu werden. Deren Passivität dürfte den rechten Mob zu weiteren Ausschreitungen ermuntert haben.

Jegor Swiridow selbst hatte keine Beziehungen zur rechtsradikalen Szene, aber er war Russe, und durch die Umstände seines Todes eignet er sich hervorragend als Märtyrer für die "Kämpfer für die weiße Rasse". In einigen anderen russischen Großstädten wie St. Petersburg, Rostow am Don oder Samara kam es nach Swiridows Tod ebenfalls zu rassistischen Demonstrationen, in Perm warben Neonazis per Instant-Messenger ICQ erfolgreich; wer am angekündigten Ort erschien, wurde allerdings vorübergehend festgenommen. Zu derlei prophylaktischen Maßnahmen griff die Miliz im Großraum Moskau erst, als die antikaukasische Mobilisierung nach dem 11. Dezember neuen Aufschwung erhielt und Angehörige der Diaspora aus der Kaukasusregion mit eigenen Aufrufen konterten.

Auffallend viele Jugendliche fühlten sich von der rassistischen Hetze angesprochen. Fünf der mutmaßlichen Mörder des am 12. Dezember in Moskau umgebrachten Kirgisen Alischer Schamschijew wurden einige Tage später festgenommen; es waren darunter zwei Schüler der 8. und 11. Klasse. Gegen den 14jährigen Ilja Kubrakow wird außerdem wegen Anstiftung zu den Massenausschreitungen auf dem Manezhnaya-Platz ermittelt. Trotz der dortigen hohen Präsenz von Fußballfans wäre es allerdings falsch, zu schlußfolgern, daß Fangruppen die entscheidende organisatorische Instanz bei den jüngsten Ausschreitungen waren. Vielmehr ist der offen rassistische Anteil der Fans während der sich über zehn Tage hinziehenden Mobilisierungsphase in der nationalistischen Rechten aufgegangen und hat damit deren Durchsetzungspotential erhöht.

Dabei ist es ohne Bedeutung, daß die Agitationsversuche bekannter Vertreter der russischen Rechten im Moskauer Stadtzentrum vom versammelten Mob mit Lachern und zynischen Zwischenrufen quittiert wurden. Wladimir Tor alias Wladlen Kralin von der "Bewegung gegen illegale Immigration" (DPNI) oder Dmitrij Djomuschkin, der seit dem Verbot seines nationalsozialistischen "Slawischen Bundes" im April 2010 als Chef der "Slawischen Kraft" firmiert, gelang es auch ohne offenen Beifall, aus den Massenausschreitungen Kapital zu schlagen. Die Agenda der Rechtsradikalen durchdringt die politische Debatte in Rußland und bildet einen festen Punkt auf der Tagesordnung - der Moskauer Polizeichef reagierte auf die Ereignisse mit der Überlegung, eine Sondereinheit zur Ermittlung gegen "ethnische Kriminalität" einzurichten.

Djomuschkin wurde zwar einerseits im Rahmen der laufenden Ermittlungen zum Verhör geladen, gleichzeitig wenden sich die russischen Medien gern an ihn als "Experten" und tragen damit nicht nur zu seiner Legitimation bei, sondern bieten ihm bereitwillig eine Plattform zur Verbreitung nationalistischer Propaganda. Gleiches gilt für den vor einem Jahr aus der Haft entlassenen Dmitrij Bobrow in St. Petersburg. Der wegen Extremismus zu einer Gefängnisstrafe von sechs Jahren verurteilte ehemalige Anführer der Neonaziorganisation "Schultz-88" hat sich mit seiner neuen "Nationalsozialistischen Initiative" einen Namen durch die Kampagne "Russen, hört auf zu saufen! Zeit zu kämpfen!" gemacht. Als Koorganisator einer antikaukasischen Demonstration am 11. Dezember durch die St. Petersburger Innenstadt, bei der es zu rassistischen Übergriffen kam, erhielt Bobrow in den lokalen Medien unverhohlenen Zuspruch.

Mitte Dezember führte das Meinungsforschungsinstitut VCIOM eine landesweite Umfrage zu den Ereignissen auf dem Manezhnaya-Platz durch, mit dem Ergebnis, daß elf Prozent der Befragten eine Beteiligung an ähnlichen Aktionen nicht ausschließen. Damit liegt der Zuspruch für pogromartige Gewaltausbrüche in der Bevölkerung höher als für die von der nationalistischen Rechten seit dem Jahr 2005 getragenen "Russischen Märsche" am 4. November, dem "Tag der Volkseinheit". In Moskau erreichen sie in der Regel eine Teilnehmerzahl von bis zu 5.000 und stellen damit die zahlenmäßig größte öffentliche Manifestation der organisierten russischen Rechten dar, doch verbannten die Behörden die Märsche an den Stadtrand und sorgten damit für eine gewisse Marginalisierung im öffentlichen Bewußtsein. Im übrigen sind diese legalen Märsche für die sich als Untergrundkämpfer verstehenden und seit über zwei Jahren verstärkten Polizeiermittlungen ausgesetzten militanten Neonazis kaum mehr ein Anziehungspunkt.

Nach einer Reihe gescheiterter organisationsübergreifender Projekte hat die russische Rechte im vergangenen Herbst versucht, wieder an Boden zu gewinnen und durch die Vermehrung ihrer Bündnispartner andere Akzente zu setzen. Am 21. November fand in Moskau die Gründungskonferenz der "Russischen Bürgerunion" statt, die als "national-demokratische" Bewegung ein neues Kapitel in der jüngeren Geschichte eröffnen soll. Denn als eines der Ziele deklarierten die Organisatoren den "Beginn einer breit angelegten Zusammenarbeit russischer Nationalisten und der demokratischen Opposition". Das Organisationskomitee bestand aus Vertretern der DPNI, der "Nationaldemokratischen Bewegung" und der im März 2010 ins Leben gerufenen "Nationaldemokratischen Allianz", welche fest im Neonazispektrum verankert ist und auch bei den jüngsten Ausschreitungen mitgewirkt hat.

Auch wenn unter den Organisatoren die erste Riege der russischen Nationalisten nicht vertreten war, so erschienen auf der Konferenz doch immerhin einige ihrer bekanntesten Vertreter, die das Treffen durch ihre Anwesenheit aufwerteten. Darunter Alexander Sewastjanow, Konstantin Krylow und Natalja Cholmogorowa von der Russischen gesellschaftlichen Bewegung (ROD) sowie Vertreter von Russkij Obraz (Russische Gestalt), aus deren Umfeld der mutmaßliche Mörder des Anwalts der 2006 ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja, Stanislaw Markelow, stammt. Ebenfalls anwesend waren Vertreter der liberalen Partei "Pravoje delo" (Rechte Sache im Sinne von "im Recht"). Das Kalkül der Veranstalter scheint also aufzugehen, denn es gibt in der liberalen Opposition durchaus Anknüpfungspunkte für eine nationalistisch ausgerichtete politische Strategie. Überdies sind Mitglieder von "Pravoje delo" mitsamt Parteifahne im vergangenen Jahr auch am 4. November beim "Russischen Marsch" erschienen, was die Parteiführung unkommentiert ließ.

Auf der Konferenz wurde das Manifest der "Russischen Bürgerbewegung" mit dem Titel "Nation! Freiheit! Gerechtigkeit!" verabschiedet, das für die Hinwendung der russischen Nationalisten zum Bürgerrechtsdiskurs steht. In zunehmendem Maße klinken sich Nationalisten bis hin zu eng mit der Neonaziszene verbundenen Kräften wie Russkij Obraz in Bewegungen zum Schutz sozialer und ökologischer Rechte ein. So organisierten gleichzeitig zur Gründungskonferenz der "Russischen Bürgerbewegung" der Verband ehemaliger Afghanistankämpfer, "Kampfbrüderschaft", dessen Ableger "Sprawedliwost" (Gerechtigkeit) und der "Russkij Obraz" eine Solidaritätskundgebung für Michail Beketow. Der Chefredakteur der "Chimkinskaja Prawda" und Begründer der Bewegung zum Erhalt des Waldes in Chimki war im November 2008 von Unbekannten angegriffen worden und ist seither schwerbehindert.

In dem moderat formulierten Manifest finden sich etliche Punkte, die einer breiteren Koalition zwischen Nationalisten und der demokratischen Opposition den Weg bereiten könnten. Zu den in dem Papier formulierten Forderungen gehören nämlich neben der nach einer Definition des russischen Nationalstaats, die im Unterschied zum geltenden multinationalen Staatskonzept die russische Mehrheitsbevölkerung zum Subjekt der Staatlichkeit macht, und einer Verschärfung der Immigrationspolitik Themen wie die Liberalisierung der Wirtschaft, Rede- und Versammlungsfreiheit, die Auflösung der für politische Verfolgungen zuständigen Abteilungen im Innenministerium und beim Inlandsgeheimdienst FSB, die Einrichtung einer Berufsarmee und die Neufestlegung der zu Rußland gehörigen Republiken im Nordkaukasus. Zu letzterem gehören die Streichung ihrer Subventionierung aus dem föderalen Budget, mit deren Hilfe der Kreml bestrebt ist, seperatistische Bestrebungen insbesondere in Tschetschenien zu unterbinden, und in der Konsequenz eine Verschiebung der Grenzen, die weite Teile des Nordkaukasus aus der Russischen Föderation ausschließt.

Derweil gibt es weitere rassistisch motivierte Übergriffe. Menschen sterben. Daß die Mordrate rückläufig ist, liegt vornehmlich an der intensivierten Strafverfolgung. Aber selbst hohe Haftstrafen verhindern nicht, daß immer neue Täter nachwachsen. Ihr unmittelbares Umfeld mag sich am imaginären "Krieg der weißen Rasse" zwar nicht aktiv beteiligen, für seine behauptete "Aktualität" finden sich in der russischen Gesellschaft jedoch genügend Anlässe. Das Credo ist, wie stets bei diesem Thema, schlicht: Migranten wissen sich nicht zu benehmen, sie betrügen, sind in Banden organisiert und trachten nach dem Besitzstand der angestammten Bevölkerung, so das nimmermüde Lamento. Kriminalitätsstatistiken sollen belegen, daß man sich als Russe nirgendwo mehr sicher fühlen könne. Der Moskauer Polizeichef nennt als Rate der von Zugereisten verübten Delikte in der Stadt nicht weniger als 70 Prozent - unter Einschluß der unaufgeklärten Fälle.

Ute Weinmann ist freie Journalistin und lebt in Moskau

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36