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36 Jahre Konkret CD

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Heft 10 2007

Stefan Frank

Kein Wort zuviel

Eva Hermans Lob der NS-Familienpolitik, Kardinal Meisners Beschimpfung einer aufgeklärten Kultur als "entartet" sind keine individuellen Ausrutscher, sondern gültiger Ausdruck des gesunden Volksempfindens. Von Stefan Frank

Laut einer repräsentativen Umfrage würde die NPD bei Landtagswahlen in Sachsen derzeit mehr Stimmen erhalten als die SPD. Von ihrem politischen Programm her ist sie eine Volkspartei. Sowohl die Parole "Ausländer raus" als auch der von der NPD verfochtene Kampf "gegen den israelischen Aggressionsstaat" und den "deutschen Schuldkult" stoßen in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung auf große Zustimmung.

Die meisten Nazis wollen freilich nicht, daß man sie so nennt. Das liegt daran, daß Nazis seit 1945 ein Verliererimage anhaftet. Auch hatten die Bomben der Alliierten und die Galgen, an denen einige wenige - zu wenige - Protagonisten des Regimes aufgehängt wurden, durchaus eine pädagogische Wirkung auf die deutsche Bevölkerung. Zwar fand aus bekanntem Grund keine Entnazifizierung statt, doch immerhin konnte man sich auf ein paar Regeln einigen. Statt "Heil Hitler!" heißt es wieder "Guten Tag". Hakenkreuze werden aus der Öffentlichkeit verbannt (Ausnahme: Dort wo es zu teuer wäre, sie zu entfernen, etwa im Treppenhaus des Hamburger Landgerichts, wo die Geländer aus gußeisernen Hakenkreuzen bestehen und sehr zum Genius loci beitragen). Man lobt nicht den Nationalsozialismus, man vergleicht ihn auch nicht mit der Politik von Staaten, mit denen Deutschland offiziell befreundet ist. Wenn man auf Juden schimpfen will, sagt man: "Israel". Man achtet auf seine Sprache: "Sonderbehandlung", das von der SS gebrauchte Wort für Hinrichtung, darf von Sportreportern als Synonym für hartes Tackling benutzt werden - Begriffe wie "entartet" oder "lebensunwert" sind jedoch selbst für Kardinäle tabu. Das klingt alles sehr einfach, für viele Nazis ist es das jedoch nicht: Da fast alles erlaubt ist, vergessen sie schnell, daß ein paar wenige Dinge zumindest dann nicht gestattet sind, wenn man Karriere machen möchte in einem Unternehmen, das nicht als nationalsozialistisch gelten will.

Günter Zehm war jahrelang stellvertretender Chefredakteur der "Welt" gewesen und danach für den "Rheinischen Merkur" tätig. 1994 schrieb er: "Auch die Helden des ›D-Day‹ ... haben sich bei der Ausgestaltung ihres Sieges in den anschließenden Jahrzehnten bekanntlich nicht mit Ruhm bekleckert, haben Millionen von Kriegsgefangenen zu Tode gehungert, Zehntausende von Frauen vergewaltigt, haben schließlich die halbe Welt in ein einziges, über vierzig Jahre lang betriebenes Dauer-KZ verwandelt."

Das vorletzte Wort war zuviel, der Rest wäre durchgegangen und sogar als Thema für einen revisionistischen Bestseller in Frage gekommen, ähnlich Jörg Friedrichs Der Brand. Daß der "Rheinische Merkur", der jahrelang all seinen Scheiß gedruckt hatte, hier muckte und den Abdruck verweigerte, empfand Zehm als Zensur und ging deshalb zur "Jungen Freiheit" (je rechter einer ist, desto stärker glaubt er an das Märchen von der "Nazikeule" und schreit bei jeder Gelegenheit: "Ich werde unterdrückt, ich werde unterdrückt!").

Franz Schönhuber war stellvertretender Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Träger des Bayerischen Verdienstordens. Seine 1981 veröffentlichte SS-Autobiographie kostete ihn den Job - ansonsten wäre er zweifellos Chefredakteur geworden.

Als Peter Sloterdijk, der Philosoph der Herzen, von Saul Friedländer gebeten wurde, die von ihm in einer Rede gebrauchte Wendung "in den beispiellos düsteren Jahren nach 1945" zu erläutern, antwortete er: "Unterschiedliche Kalender des Terrors müssen akzeptiert werden."

So wie man nach Meinung mancher auch akzeptieren müsse, daß die Gründung Israels für die Araber eine "Katastrophe" gewesen sei. Die Nakba der Deutschen war drei Jahre vorher: Von der "Katastrophe von 1945" zu reden, ist in Deutschland nicht anstößig. Man findet die Formulierung, die besagt, daß Hitlers Tod ein großes Unglück war, in Tageszeitungen ebenso wie in Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung (für die der Anti-Antifaschist und "JF"-Autor Hans-Helmuth Knütter lange Zeit gearbeitet hat) - und bei Debatten im Deutschen Bundestag, etwa beim Abgeordneten Wolfgang Gerhardt, FDP, der Partei, die Jürgen Möllemann ("Ich kann kein Antisemit sein, mein Freund Yassir Arafat ist auch Semit") zum Vizekanzler machte und der auch Gotthard Deuse, Bürgermeister des sächsischen Nazidorfs Mügeln, angehört. Der "Jungen Freiheit" konnte der's endlich sagen: "Ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein." Parolen wie "Ausländer raus!", "Deutschland den Deutschen" oder "Hier regiert der nationale Widerstand!" könnten "jedem mal über die Lippen kommen", sagte er an anderer Stelle. Ausländerfeindlichkeit sei nicht mit Rechtsextremismus gleichzusetzen, eine rechte Szene gebe es daher in Mügeln nicht. War es mal wieder ein Mißverständnis? Vielleicht seien die acht verletzten Inder Opfer einer unpolitischen Schlägerei geworden, die sie möglicherweise selbst ausgelöst hätten, meinte Deuse.

Kein Mißverständnis gab es nach der Rede des Kölner Kardinals Meisner. "Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus, und die Kultur entartet." Die katholische Kirche hat so lange zusammen mit Faschisten gegen Materialismus, Bolschewismus und Sittenverfall gekämpft und in Kroatien geholfen, eine halbe Million Serben umzubringen - warum sollte Meisner sich jetzt wegen eines Wortes schämen? "Entartete Kultur", was ist dabei? Der Münsteraner Bischof Clemens August von Galen hatte in einem Hirtenbrief von 1940 vom "entarteten Judentum" gesprochen. Nach dem Krieg kämpfte er gegen die "Pest des Laizismus" und gegen die Alliierten. 2005 sprach ihn Papst Ratzinger selig: "Wir danken dem Herrn für diesen großen Zeugen und bitten darum, daß er uns leuchte und führe." Die Worte wurden gehört, der Geist von Galens lenkte die deutschen Bischöfe, die im März 2007 nach Israel reisten: Es sei schwer zu ertragen, sagte der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke, wenn man am Morgen in Yad Vashem die Bilder aus dem Warschauer Ghetto sehe und am Nachmittag durch Stacheldraht und Mauer in ein "Ghetto wie Ramallah" fahre. Der Augsburger Bischof Mixa sprach von einer "ghettoartigen Situation" und daß dies "fast schon Rassismus" sei. Kurz vor seinem Abflug nach Israel hatte Mixa erklärt, wer mit staatlicher Förderung Mütter dazu verleite, ihre Kinder bereits kurz nach der Geburt in staatliche Obhut zu geben, degradiere die Frau zur "Gebärmaschine". So denkt auch Eva Herman. Woher nimmt sie ihre Ideen?

"Wenn man sagt, die Welt des Mannes ist der Staat, die Welt des Mannes ist sein Ringen, die Einsatzbereitschaft für die Gemeinschaft, so könnte man vielleicht sagen, daß die Welt der Frau eine kleinere sei. Denn ihre Welt ist ihr Mann, ihre Familie, ihre Kinder und ihr Haus ... Wir empfinden es nicht als richtig, wenn das Weib in die Welt des Mannes, in sein Hauptgebiet eindringt, sondern wir empfinden es als natürlich, wenn diese beiden Welten geschieden bleiben. In die eine gehört die Kraft des Gemütes, die Kraft der Seele! Zur anderen gehört die Kraft des Sehens, die Kraft der Härte, der Entschlüsse und die Einsatzwilligkeit ... Was der Mann an Opfern bringt im Ringen seines Volkes, bringt die Frau an Opfern im Ringen um die Erhaltung dieses Volkes in den einzelnen Zellen ... Jedes Kind, das sie zur Welt bringt, ist eine Schlacht, die sie besteht für Sein oder Nichtsein ihres Volkes."

Sagt Adolf Hitler ("Reden an die deutsche Frau", 1934), den Eva Herman gar nicht loben wollte. Sie sei nämlich gegen Links- und Rechtsradikalismus (nur gegen Rechtsradikale zu sein, wäre unfair), habe für die Aktion "Laut gegen Nazis" eine CD mit Texten von Erich Kästner eingelesen und einen Taxifahrer bei der Polizei angezeigt, der ihre jüdische Freundin verunglimpft hatte. Ein klares Mißverständnis also: Sie hat nichts gegen Kästner, und einige ihrer besten Freundinnen sind Jüdinnen. Sagen wollen hatte sie bloß, daß das Ideal der deutschen Familie nicht in Auschwitz vernichtet wurde, sondern im Kinderladen.

Was meint das Volk dazu? "Sobald in diesem Land irgend etwas über das Dritte Reich gesagt wird, heißt es gleich wieder: Nazis, Holocaust und was weiß ich nicht noch alles! Warum müssen wir uns immer noch für das entschuldigen, was ein Österreicher bei uns verzapft hat?", schreibt es im Forum von "Focus Online". Dem "Hamburger Abendblatt" teilt es in einem Leserbrief mit: "Es darf einfach nichts gut gewesen sein in der Zeit des Dritten Reiches - diese Einstellung hat in den letzten 50 Jahren zu einer eingeengten Sicht geführt."

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vom vergangenen Jahr kommt zu folgenden Ergebnissen: Die Aussage "Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen" wird von 49,8 Prozent der Befragten "völlig" abgelehnt, 50,2 Prozent lehnen sie nicht völlig ab. "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" lehnen 31,8 Prozent der Befragten völlig ab, 68,2 Prozent nicht. "Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben" wird von 14,2 Prozent der Befragten völlig abgelehnt, von 85,8 Prozent nicht. Der Satz "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen" wird lediglich von 14 Prozent der Befragten völlig abgelehnt; 86 Prozent lehnen ihn nicht völlig ab - 21,7 Prozent stimmen ihm "überwiegend" zu, 15,2 Prozent "voll und ganz". Die These "Auch heute noch ist der Einfluß der Juden zu groß" wird von 35,1 Prozent der Befragten völlig abgelehnt, was bedeutet, daß 64,9 Prozent sie zumindest für diskutabel halten (17,9 Prozent stimmen "voll und ganz" oder "überwiegend" zu). Die Idee, daß Juden "mehr als andere Menschen mit üblen Tricks arbeiten, um das zu erreichen, was sie wollen", wird von 59,1 Prozent der Befragten nicht völlig abgelehnt. Schließlich die Eva-Herman-Frage: Daß der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten gehabt habe, will eine deutliche Mehrheit von 52,9 Prozent der Befragten nicht so verneinen, daß sie sich zu einem "lehne völlig ab" durchringen könnte.

Gotthard Deuse bedauert: Zwischen Medien und Volk sei eine "tiefe Kluft" entstanden. Daran ist wahr, daß kaum eine Zeitung es sich erlauben kann, genauso zu schreiben, wie ihre Leser denken. Aber dafür gibt es ja die Leserbriefe. Axel S. aus Norderstedt schreibt an das "Hamburger Abendblatt": "Meine Tochter hat vor Jahren in einem Abituraufsatz zur Geschichte des Dritten Reiches für die Bemerkung: ›Nicht alles war schlecht‹ automatisch die Note 5 kassiert. Ich meine, so einfach kann man mit dieser Zeit nicht umgehen. Wir benutzen heute alle die Autobahn und fahren nicht aus Protest auf der Landstraße."

Stefan Frank schrieb in KONKRET 9/07 über die Krise des US-Immobilienmarktes

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Literatur Konkret Nr. 36