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36 Jahre Konkret CD

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Heft 06 2010

Svenna Triebler

IN WEITER FERNE, SO NAH

Die Empörung über rassistische Maßnahmen wächst mit der Entfernung von ihrem Anlaß.

"Der erste Krieg, den ich befürworten würde: Obama schickt 10.000 schwerbewaffnete Männer nach Arizona!" So reagierte ein Twitterer namens "pantoffelpunk" auf Berichte über das neue Einwanderungsgesetz in dem republikanisch regierten US-Staat. Das Gesetz erklärt unerlaubte Einwanderung erstmals zur Straftat; es sieht "verdachtsunabhängige" Personenkontrollen vor und soll die Abschiebung von Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere erleichtern. In den USA demonstrierten Zehntausende gegen das Gesetz, durch das vor allem die zahlreichen Latinos mit und ohne Papiere rassistische Schikanen zu befürchten haben. Auch Obama und seine Demokraten zeigten sich alles andere als begeistert.

Die Aufwallung des Pantoffelpunks ist also sehr verständlich. Allerdings wäre es dann nur konsequent, auch den Einmarsch der USA in die Bundesrepublik zu fordern. Denn während sich deutsche Politiker im letzten Jahrzehnt in den USA Anregungen in Sachen Sozialpolitik geholt haben, scheint Arizonas Gouverneurin Jan Brewer deutsche Nachhilfe bei der Formulierung ihres Ausländergesetzes in Anspruch genommen zu haben.

Was für den liberal gesinnten Teil der US-Gesellschaft ein Skandal ist, ist hier nämlich schon seit Jahren Gesetz, ohne daß es darüber größere Aufregung gäbe. Wer unerlaubt in die BRD einreist, kann - wenn er oder sie nicht sofort wieder abgeschoben wird - bis zu drei Jahre ins Gefängnis wandern; bis zu einem Jahr Haft droht bei einem nicht behördlich abgesegneten Aufenthalt im Land oder auch für den simplen Versuch, durch unerlaubten Verkauf seiner Arbeitskraft sein Überleben zu sichern. Man muß aber nicht einmal solch schwerkriminelle Straftaten begehen, um hinter Gittern zu landen: das nennt sich dann Abschiebehaft. Allein in diesem Frühjahr haben sich in Hamburg, in der staatlichen Fürsorge einer Haftanstalt, innerhalb weniger Wochen zwei Menschen unmittelbar vor ihrer drohenden Abschiebung das Leben genommen.

Dabei sind diejenigen, die es überhaupt bis nach Mitteleuropa schaffen, ohnehin nur eine kleine Minderheit. Was den USA ihr aufwendig errichteter Grenzzaun, ist Europa das Mittelmeer. Und auch, wenn die Medien immer mal wieder ein paar Krokodilstränen für "Flüchtlingstragödien" mit Hunderten von Toten übrig haben, erreichen doch immer noch mehr Menschen die europäische Südküste, als man als billige Orangen- und Erdbeerpflücker benötigt. Deshalb wird unter dem Dach der Grenzschutzagentur Frontex weiter verschärft, was Angela Merkel als "Flüchtlingsbekämpfung" bezeichnet (das war so ehrlich, daß der Begriff nur auf Platz zwei bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2009 landete). Betrachtet man den militärischen Aufwand, der dafür betrieben wird, dann wünscht man sich wirklich, die US-Armee käme, um einmal mehr zivilisatorische Mindeststandards durchzusetzen.

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Literatur Konkret Nr. 36