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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 10 2001

Hartwig Vens

»Ihr kleinen Nazis«

Wie verträgt sich das antirassistische Engagement migrantischer Rapper mit dem deutschen HipHop-Boom?

Im April dieses Jahres zirkulierte ein Bericht durch die Mailboxen der Republik, der Furore auch außerhalb des einschlägigen Interessentenkreises machte. Die Verfasserin hatte für die Musikagentur Lärm die HipHop-Konzerttour »Die Leude woll’n, daß was passiert« geleitet, die im Rahmen der »Stern«-Aktion »Mut gegen rechte Gewalt« unter anderen von der Internet-Musikvideoplattform Eyedoo, den Promotionsbüros Lärm und Four Artists sowie der Amadeu-Antonio-Stiftung organisiert worden war. Stationen waren Brennpunkte des neuen Naziterrors wie Eberswalde, Dessau und Wurzen. Für Bestürzung sorgte die plastische Schilderung der Situation im sächsischen Wurzen: Die Bedrohung der Musiker, Graffiti-Sprayer, Pressevertreter und sonstigen Beteiligten durch Nazirotten, vor allem jedoch die offensichtliche Kumpanei der örtlichen Polizei mit ihnen garantierten, daß auch diejenigen ein realistisches Bild von der Situation im Land der national befreiten Zonen erhielten, die den rechten Terror sonst aus der Distanz des politisch desinteressierten Hedonisten wahrnahmen.

Einer der Stars dieser Tour, die mittlerweile zum Medienstar avancierte Hamburger Rapperin Nina, schrieb aufgrund der Erfahrungen dieser Tour den Song »Hitlers langer Arm«, der in Kürze als Single erscheinen wird. Sonst eher mit den typischen HipHop-Interna sowie unpolitischen Musikthemen beschäftigt und gerngesehener Gast bei Schmidt und Raab, setzt die Tochter eines Afghanen explizite antifaschistische Akzente. Nicht zuletzt auf ihrer im Tagebuchstil formulierten Website, wo sie zwischen deutlich auf die Zielgruppe der Zehn- bis Dreißigjährigen fokussierten Alltagsimpressionen die neofaschistischen Verhältnisse anspricht.

Solche Aussagen bedeuten zunächst nicht viel, denn insbesondere im HipHop gehört die antirassistische Attitüde nach wie vor zum Codex. Auffällig ist allerdings ihre neuerliche Explizität. Wie Hannes Loh kürzlich feststellte, war eine derartige Haltung Anfang der Neunziger noch durchaus üblich, verschwand jedoch mit dem Siegeszug von »Deutschrap« und der parallelen Zurückdrängung migrantischer Aktivisten aus der Szene. Jetzt häufen sich die Stimmen gegen die rechte Normalität erneut, und sie werden unangenehmer. Die Gleichzeitigkeit, mit der im HipHop, der Boombranche der deutschen Musikindustrie, bei ungebrochenem Trend zu Professionalisierung und Massenvermarktung seit einigen Monaten auf den grassierenden Rechtsradikalismus aufmerksam gemacht wird, ist trotz aller »Bravo«-Kompatibilität ein bemerkenswertes Phänomen.

Denn noch vor Jahresfrist hatte die Presse angesichts des atemberaubenden Aufstiegs ehemaliger Undergroundkünstler zu Platinplatten und »Top-of-the-Pops«-Präsenz ebenso staunend wie frohlockend festgestellt, HipHop habe die deutsche Jugend mit ihrer Sprache versöhnt. Was gerapt wurde, war meist gut gelaunt und höchst unterhaltsam: Alltagsimpressionen, Wortakrobatik, mehr oder weniger witzige Kalauer. Eher leise waren die Stimmen, die forderten, nach der Optimierung von Sprachgebrauch und technischen Fertigkeiten müßten nun auch die Inhalte der wortmächtigsten Gegenwartskultur wieder stärkeres Gewicht erhalten.

Plakativstes Beispiel für die gegenwärtige antirassistische Politisierung des HipHop in Deutschland ist das Projekt »Brothers Keepers«. Unter diesem Titel haben sich einige der bekanntesten hiesigen HipHop-, Soul- und Reggae-Musiker (u.a. Bantu, Xavier Naidoo, Torch, Samy Deluxe, D-Flame, Denyo 77) versammelt und zum Jahrestag der Ermordung von Alberto Adriano durch einen Nazitrupp die Single »Adriano (Letzte Warnung)« veröffentlicht. Der musikalisch wie politisch gleichermaßen grimmige Track stieg, unterstützt durch ein Video im bedrohlichen Großstadtlabyrinthstil, auf Platz fünf der Media-Control-Charts ein. Ein Erfolg, der einem ähnlich gelagerten Projekt der Organisation »Kanak Attak« nicht beschieden war. Deren HipHop-Track »Dieser Song gehört uns« featurt ebenfalls Musiker verschiedener Genres, die im Unterschied zu Brothers Keepers jedoch aus unterschiedlichen migrantischen Backgrounds kommen.

Beide Musikprojekte sind an politische Assoziationen gebunden. Im Falle von Brothers Keepers ist dies der gleichnamige Verein, der den Transfer der aus dem Erlös der Musikprojekte geflossenen Gelder an die Hinterbliebenen rassistischer Gewalttaten regelt und antirassistische Strukturen unterstützt. Das Programm des mittlerweile einschlägig bekannten und durch eine Vielzahl unkonventioneller Aktionen aufgefallenen Bündnisses Kanak Attak ist weitaus umfangreicher und politisch dezidierter. Nach wie vor gültig ist das 1998 proklamierte Manifest »Kanak Attak und Basta!«, das ein »Ende der Dialogkultur« und damit die Verabschiedung von den rassistischen Lügen des Konzepts Multikulturalismus bekanntgab.

Kanak Attak und Brothers Keepers ist die Aufkündigung einer auf Integration zielenden Mitbürgerposition gemeinsam. Die von migrantischen HipHop-Vertretern wie Advanced Chemistry, Main Concept oder Boulevard Bou noch Anfang der neunziger Jahre artikulierte Forderung nach Gleichheit als deutsche Staatsbürger ist, angesichts der Beteiligung der deutschen Politik an rassistischen Kampagnen und der Untätigkeit gegenüber Alltagsrassismus und Mord, einem ohnmächtigen Haß gewichen. Man formierte sich in migrantischen Gruppen, um die direkte Aktion gegen Neofaschisten selbst in die Hand zu nehmen.

Den Mechanismen des Unterhaltungs- und Medienbetriebs entkommt das Anliegen der obengenannten Gruppen jedoch kaum undeformiert. Der Erfolg einer Single wie »Adriano (Letzte Warnung)« resultiert auch aus der eindeutig auf sogenannte afro-deutsche Männer aus dem HipHop-Umkreis reduzierte Protagonistengruppe. Nina MC* benennt das Problem: »Ich habe einen Freund, der sich früher die Haare schwarz gefärbt hat, weil er unbedingt ein Schwarzer sein wollte. Ich finde Zusammenschlüsse wie Brothers Keepers problematisch, weil dabei so viele Leute ausgeschlossen werden.« Der Topos des »weißen Negers« als Identifikationsobjekt des faktisch oder vermeintlich deklassierten Weißen findet sich in der Pop- ebenso wie in der Literaturgeschichte von Norman Mailer bis Ingmar Ambjornsson. Im übrigen haben »Afro-Deutsche« als Symbolfiguren eines attraktiven urbanen Lifestyles derzeit gute Karten im visuell geleiteten Massenbewußtsein, wobei sich ihr Einsatzgebiet selbstverständlich weitgehend auf Sport und Entertainment beschränkt.

Auf seinen Begriff bringt diesen Umstand einer, der als Inkarnation des »afro-deutschen« Mediencharakters gelten kann: Ausgerechnet der smarte Rapper, Schauspieler, Businessman und Exmoderator der Viva-HipHop-Sendung »Wordcup«, Tyron Rickets, brachte Anfang September den mit Rap unterlegten Kurzfilm »Afro-Deutsch« in die Kinos. Erstaunlich ist die Produktion vor allem aufgrund des Ausmaßes, in dem Rickets seine Rolle als Vorzeige-»Schwarzer« reflektiert. Film und Rap schildern Rickets’ Lebensgeschichte, sein Aufwachsen in einer österreichischen Kleinstadt, den alltäglichen Rassismus, seine Karriere als Model, Moderator, Produzent und Chef einer Agentur für »schwarze Kultur«. Ganz deutlich wird hier der Mechanismus des Erfolgs beschrieben: »16 Jahre Beschuß / Dann der Mut zu dem Entschluß / Und das Problem verwandelt sich zur Lösung: / (und ist) Positivrassismus«. Die Lösung erweist sich jedoch als scheinbare, denn der Positivrassismus, der zum Aufstieg verhalf, wird im Zugabteil oder beim potentiellen Schwiegervater schnell wieder zur ganz normalen »Neger«-Verachtung. So genau Rickets den Kern seiner Situation begreift, so gewagt scheint seine These, Deutschland werde sich durch die Präsenz von Migranten in den Medien »ganz sicherlich« verändern. In seiner Konsequenz bleibt Rickets dann auch eher vage, sein Motto »Bewußtsein ohne Verurteilung« zielt, trotz all der rassistischen Belege, auf konstruktive Zusammenarbeit.

Diese Geduld haben nicht alle. Jüngst bat das »SZ«-Jugendmagazin »Jetzt« den Fußballspieler Gerald Asamoah (Schalke 04) und den Stuttgarter HipHop-MC Afrob zum Gespräch über Starsituation und »afro-deutschen« Alltag. Typisch ist zunächst der Ort der Veröffentlichung: eine Entertainment- und Lifestyle-orientierte Publikation, deren Zielgruppe noch mit idealistischen Flausen im Kopf und dem Glauben an die Verwirklichung demokratischer Werte herumläuft – in der »SZ« selbst hätte man sich die Story wohl kaum vorstellen können. Im Text aber macht insbesondere der Rapper Afrob schnell klar, daß er nicht angetreten ist, seinen Stolz als Schwarzer, der »es geschafft hat«, zu repräsentieren. Polemisch und vehement nutzt er jede Gelegenheit, um die in Deutschland ignorierten Minimalanforderungen in Sachen Zivilisation anzusprechen: »Ich will keinen Ärger, ich will nur, daß Leute wie wir auch in den Osten gehen können, ohne Angst haben zu müssen zu sterben. Da braucht sich Otto Schily auch nicht zu wundern, daß seine Politik gegen den Rassismus von der EU kritisiert wird. Er soll lieber mal die Augen aufmachen, statt dessen ist er beleidigt wie ein kleines Kind.«

Durch seine im Juni 2001 veröffentlichte Platte »Made in Germany« zieht sich Afrobs Enttäuschung über das allgemeine Desinteresse am gesellschaftlichen wie am staatsoffiziellen Rassismus wie ein roter Faden. Beeindruckend durch die Wucht der Produktion und Afrobs harten Rap finden sich in fast jedem der 15 Tracks Zeilen wie die erste: »Es ist zu offensichtlich, daß ihr einen Neger brechen wollt / Seid ihr euch da sicher, daß ihr alle so viel blechen wollt.« An anderer Stelle heißt es: »Wir kamen in das Land und wir baten um Asyl / Wir durften sogar bleiben nur geduldet das war das Kalkül / Hier spricht die unterste soziale Schicht / Wir schliefen in Baracken als Kanaken ohne Licht.« Afrob beansprucht nicht die Position des Teachers oder Predigers, genausowenig verfolgt er ein durchdachtes politisches Konzept. Seine Verse sind Ausdruck einer unmittelbaren Erfahrung, so disparat wie direkt, so fragmentarisch wie undifferenziert. Die Aussage »HipHop war immer schon ein faschistoides Ding« (»Intro Online«, 29.6.2001) veranlaßt ihn ebensowenig dazu, als MC abzutreten, wie eine verbale Umarmung Jürgen Trittins »bei dem ist alles cool und underground. Wenn Trittin Musik machen würde, wäre er HipHopper« (»Spiegel Online«, 1.8.2001) ihn etwa zum rappenden Werber für die neue Einwanderungsgesetzgebung machen würde. Afrob fixiert den Status Quo: »Noch immer sterben meine Leute auf den deutschen Straßen / Wir sind unerwünscht wie in ‘nem Körper Metastasen.« Afrob schießt auch mal gegen die eigene Geschäftsgrundlage, wenn er seinen Duett-Partner D-Flame fragt: »Flame, wieviel HipHop kann das Land denn noch vertragen? / Es ist so weit gekommen daß sogar Weiße ›Nigger‹ sagen«, und markiert die Grenze der Zusammengehörigkeit: »Ihr kleinen deutschen HipHop-Nazis Rap ist aus Amerika / Ihr seid ein Teil der Kultur nicht mehr und nicht weniger / Hab’ oft das Gefühl, daß man seine Herkunft leugnet / Verurteil’ die Signale die man in der Szene deutet.«

Wie ist die massive antirassistische Artikulation, die vor allem von Migranten in den letzten Monaten zu vernehmen war, zu erklären? Verantwortlich für die Zunahme derartiger Aussagen auch im Charts-relevanten HipHop dürfte zunächst die ungebrochene rassistische Wirklichkeit der deutschen Verhältnisse sein, die das Beschnattern der eigenen Spaßkultur unerträglich machte. Der Erfolg gerade des deutschen HipHop war vordem nur durch Texte möglich, die das Vergnügen nicht mit unangenehmen Wahrheiten störten. Auch die migrantischen Rapper, die sich jetzt zum Beispiel bei Brothers Keepers wiederfinden, wie Samy Deluxe oder Denyo 77 von den Absoluten Beginnern, hatten jahrelang wenig Lust, sich als Angehörige einer Betroffenheitsgruppe zu definieren und quasi als natürliche Anwälte des Antirassismus zu agieren. Durch den ungebrochenen deutschen Rassismus sieht man sich nun gezwungen, neben der Position des Rappers unter Gleichen auf seine Merkmale als Fremder, als »Kanake« hinzuweisen und den eigenen künstlerischen Massenerfolg gegen die deutsche Normalität aufzubieten. Bei allem Bedacht ist dabei die mediale Deformation, die Sortierung und Zurechtformung zum Stereotyp des zornigen dunklen Mannes, der diese Position quasinatürlich und ghettoromantisch einnimt, nicht zu vermeiden.

Die mediale Deformation aber sollte ebensowenig dazu führen, die Bedeutung eines Projekts wie Brothers Keepers in Abrede zu stellen, wie die Tatsache, daß die Präsenz antirassistischer Statements wie migrantischer Gesichter nicht zum geringsten Teil aus dem Novitätsdruck des Business resultiert (der Medienhype um Nina erklärt sich ebensowenig allein aus ihrem durchaus vorhandenen Talent wie die Top-Ten-Plazierung der Brothers-Keepers-Single). Denn um die Massen zu erreichen, gibt es zur Massenkommunikation keine Alternative. Ein heterogenerer Zusammenschluß mit dezidierten, die Komplexität der eigenen Position reflektierenden Texten wie Kanak Attak ist zweifellos schwieriger zu greifen, muß deshalb aber auch auf die große Öffentlichkeit eines Projekts wie Brothers Keepers verzichten. Murat G., Initiator des Kanak-Attak-Songs, weiß, »daß wer mit dem Teufel Pudding ißt, Löffel mit langen Stielen braucht. Deshalb ist die Verankerung bei den Kanaken auf der Straße sowie die Arbeit innerhalb der Linken in diesem Land für Kanak Attak absolut notwendig« (»Junge Welt«, 20.7.). Der Falle des Identitätszwangs entkommt keiner.

Es bleibt abzuwarten, wie lang die Welle antirassistischer Inhalte tatsächlich ist und was passiert, wenn der popkulturelle Markt neues Futter fordert. Die »letzte Warnung« und der »Rückschlag« , der »längst in Planung« sei, sind ebenso Ausdruck eines neuen »kanakischen« Selbstbewußtseins wie Effekte einer verzweifelten Defensive und teilweise hilflosen Wut angesichts der Duldung des mörderischen Rassismus in Deutschland. Es scheint sich innerhalb der HipHop-Szene die Einsicht durchzusetzen, daß es mit diesem deutschen Staat keine »Normalität« als Staatsbürger mit migrantischem Hintergrund geben kann. Der Verzicht auf das Konzept Integration und eine Positionierung jenseits von »Deutschland« sind die wichtigsten Botschaften, die der HipHop deutscher Herkunft gegenwärtig zu überbringen hat.

Afrob: Made in Germany, Sonymusic/Columbia

Brothers Keepers: Adriano (Letzte Warnung), Nitty Gritty/Wea

Kanak Attak: Dieser Song gehört uns, 3 Finger Records/Efa

Hartwig Vens rezensierte in KONKRET 4/01 Burkhard Schröders Buch »Nazis sind Pop«

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36