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36 Jahre Konkret CD

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Heft 02 2003

Erich Später

Hitlers Schreck

oder wie ein Präsident der imperialistischen USA schon einmal 2.000 Landsleute umbringen ließ, um einen Krieg anfangen zu können. Fußnoten zu einem aktuellen deutschen Bucherfolg

Am 12. Dezember 1937 beginnt für die Einwohner der chinesischen Millionenstadt Nanking das Inferno. Nach dreimonatigen erbitterten Kämpfen durchbricht die japanische Invasionsarmee den Verteidigungsring der chinesischen Streitkräfte. Die militärischen und zivilen Behörden fliehen aus der Stadt. Die japanischen Truppen beginnen sofort mit der Ermordung von Männern, Frauen und Kindern. Der Massenmord dauert sechs Wochen. An 13 Erschießungsplätzen außerhalb der Stadt am Yangzi-Fluß werden 190.000 Menschen mit Maschinengewehren massakriert. Weitere 100.000 Menschen werden in der Stadt selbst in ihren Häusern, auf den zentralen Plätzen und Straßen ermordet. Beliebt sind Bajonettübungen an lebenden Menschen und Massenenthauptungen. Die Armeepresse berichtet begeistert von Tötungswettspielen zwischen einzelnen Soldaten. Die Stadt wird geplündert, ein Drittel des Wohnungsbestandes niedergebrannt.

Begonnen hatte Japan die Eroberung Chinas 1931 mit der Besetzung des nordöstlichen Teils der chinesischen Republik - unter dem Vorwand, die exterritorialen Rechte Japans an der mandschurischen Eisenbahn seien bedroht. Die chinesische Regierung hatte auf jeden Widerstand verzichtet. Sie war mit ihrem Feldzug gegen die kommunistischen Aufstandsgebiete beschäftigt und ermöglichte es den Japanern, innerhalb von fünf Monaten ein Gebiet von 1,3 Millionen Quadratkilometern zu besetzen, mehr als das Dreifache der Fläche der japanischen Hauptinseln. Die chinesische Republik verlor 35 Prozent ihrer Kohle-, 50 Prozent der Erdöl- und 80 Prozent der Eisenerzvorräte. Neben der großen ökonomischen Bedeutung des eroberten Gebietes war es als Aufmarschgebiet gegen den Hauptfeind in Ostasien, die Sowjetunion, und für weitere Eroberungsfeldzüge in China von großem militärstrategischen Wert.

Das japanische Vorgehen stößt weltweit auf Empörung. Es wird als Bruch des Völkerrechts und Akt der Aggression bewertet. Um der Kritik entgegenzuwirken, lassen die Japaner am 1. März 1932 den Marionettenstaat Mandschuko proklamieren. An seiner Spitze installieren sie den 1911 entthronten chinesischen Kaiser Pu Yi. Als der Völkerbund sich weigert, das japanische Vorgehen zu sanktionieren, erklärt Japan am 27. März 1933 seinen Austritt - mit der originellen Begründung, "in der Grundrichtung bei der Herstellung des Friedens in Ostasien eine völlig andere Überzeugung zu haben als die dem Völkerbund angehörenden Staaten".

Japan ist eine parlamentarische Demokratie, mit einem als gottähnlich verehrten Kaiser an der Spitze. Die Machtverhältnisse in Politik und Gesellschaft ähneln denen des preußischen Militärstaats. Die japanische Armee war Ende des 19. Jahrhunderts nach deutschem Vorbild reorganisiert worden. Gegen den Willen von Armee und Bürokratie ist keine politische Entscheidung möglich. Auch die Fähigkeit der japanischen Machteliten, Ökonomie und Technik - bei gleichzeitiger Bewahrung ihrer Machtstellung - zu modernisieren, ähnelt der des bewunderten deutschen Vorbilds.

Die japanische Nation versteht sich als Blutsgemeinschaft, ihr rassischer Adel bestimmt sie zur Herrschaft über die Nachbarvölker. Die Besetzung Nordostchinas stößt auf begeisterte Zustimmung der Bevölkerung, bei den Parlamentswahlen von 1932 siegen die nationalistischen Parteien mit großem Vorsprung. Militär und Bürokratie leiten, unterstützt von der Großindustrie, die Zerschlagung der Demokratie ein. Die Rüstungsausgaben erreichen 1937 einen Anteil von 67 Prozent des Haushalts. Massenverhaftungen, Folter und Mord bringen die schwache Opposition zum Verstummen. 60.000 Menschen werden allein zwischen 1931 und 1933 inhaftiert. Funktionäre der kommunistischen Partei, die durch ihr Eintreten gegen den Kriegskurs gesellschaftlich isoliert ist, werden unter der Folter dazu gebracht, in öffentlich zelebrierten Ritualen dem Kommunismus "abzuschwören". 1939 sind Parteien und Gewerkschaften aufgelöst.

Gleichschaltung und chauvinistische Mobilisierung sind Voraussetzungen für die Schaffung eines autarken großasiatischen Reiches unter japanischer Herrschaft durch Eroberungskrieg, Ausbeutung und Massenmord. Im Juli 1936 beschließt das japanische Kriegskabinett im Einverständnis mit Kaiser Hirohito "Grundprinzipien der nationalen Politik". Der chinesische Widerstand soll in einem großangelegten Feldzug innerhalb von wenigen Monaten gebrochen werden. Die Beherrschung Chinas ist Voraussetzung für den weiteren Marsch nach Norden, gegen die Sowjetunion. Die Marine soll nach Süden vordringen und die Seeherrschaft im Westpazifik (Indonesien, Philippinen, Malaysia, Singapur) erringen. Das bedeutet Krieg mit Großbritannien und den USA.

Die zweite Phase des Krieges gegen China beginnt am 7. Juli 1937. Bis Ende 1938 erobern die japanischen Truppen eine weitere Million Quadratkilometer Land mit einer Bevölkerung von 130 Millionen Menschen. Sie kontrollieren die Seehäfen der chinesischen Küste sowie die Hauptverkehrslinien zwischen Nord- und Südchina. Die Front hat eine Länge von 2.500 Kilometern. Den Elitedivisionen der japanischen Armee, über eine Million Soldaten, gelingt es nicht, den chinesischen Widerstand zu brechen. Aus dem geplanten Blitzkrieg wird ein mörderischer, acht Jahre andauernder Abnutzungskrieg, der erst mit der japanischen Kapitulation am 2. September 1945 endet.

Die chinesische Bevölkerung erleidet grauenhafte Verluste. Etwa drei Millionen Soldaten und 18 Millionen Zivilisten verlieren ihr Leben. 95 Millionen Chinesen werden zu Flüchtlingen. Die kaiserlich japanische Armee ignorierte alle Bestimmungen des Kriegsvölkerrechts. Die massenhafte Ermordung chinesischer Kriegsgefangener war an der Tagesordnung. Die Bekämpfung der kommunistischen Aufstandsgebiete in Nordchina mit ihrer Bevölkerung von cirka 100 Millionen Menschen erfolgte mit großer Brutalität und Grausamkeit. Die kaiserliche Armee definierte ihr Vorgehen als "Politik der drei Beseitigungen": "Alles töten, alles plündern, alles verbrennen".

Der japanische Vernichtungskrieg ähnelt dem Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion, dauert aber doppelt so lange und erlebt kein chinesisches "Stalingrad". Die japanische Armee setzt gegen Truppen und Zivilbevölkerung biologische und chemische Waffen ein, deren Wirkung sie zuvor an Tausenden von Kriegsgefangenen erprobt.

Die Sowjetunion, beunruhigt über den Aufmarsch an ihrer fernöstlichen Grenze, schlägt der japanischen Regierung 1931/32 und 1935 den Abschluß eines Nichtangriffsvertrages vor. Beide Male lehnt die japanische Regierung ab. Aus bewaffneten Grenzzwischenfällen werden größere Gefechte. Ende Juli 1939 besetzt die japanische Armee Grenzgebiete der mongolischen Sowjetrepublik und konzentriert starke Panzer- und Flugzeugverbände in der Grenzregion. Den sowjetischen Truppen unter dem Oberbefehl des späteren Siegers von Stalingrad, Georgij Schukow, gelingt es, die japanischen Truppen in der Schlacht am Fluß Chalchyn Gol im August 1939 vernichtend zu schlagen.

Die Niederlage der westeuropäischen Demokratien im Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland im Sommer 1940 und der damit verbundene Machtzuwachs Deutschlands erweitert die Handlungsmöglichkeiten Japans beträchtlich. Am 23. September 1940 marschiert die japanische Armee mit Billigung der französischen Kollaborationsregierung in Nordvietnam ein. Der Einmarsch soll weitere Hilfslieferungen Großbritanniens und der USA an China verhindern und den Zusammenbruch des chinesischen Widerstands beschleunigen. Am 27. September unterzeichnet Japan in Berlin den Drei-Mächte Pakt mit Italien und Deutschland, die sogenannte "Achse Berlin-Rom-Tokio". In dem für zehn Jahre abgeschlossenen Bündnis anerkennt Japan "die Führung Deutschlands und Italiens bei der Schaffung einer neuen Ordnung in Europa", während diese "die Führung Japans bei der Schaffung einer neuen Ordnung im großasiatischen Raum" anerkennen. Die Vertragspartner verpflichten sich, einander "mit allen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln zu unterstützen im Fall des Angriffs einer anderen Macht".

Während Deutschland und Japan ihre militärische Aggression und Expansion verstärkten, verhindert das amerikanische Parlament durch die Neutralitätsgesetze von 1935 und 1937 jede Unterstützung der von Hitlerdeutschland und Japan bedrohten Nationen. Bis zum Ausbruch des europäischen Krieges beschränkt sich Roosevelt auf mehr oder weniger symbolische Akte des Widerstands. Immerhin sind die USA die einzige Großmacht, die nach dem Pogrom am 9. November 1938 ihren Botschafter aus Deutschland zurückzieht.

Erst nach der Kapitulation Frankreichs fühlen die USA sich bedroht. Am 27. Mai 1941 erklärt Roosevelt: "Die erste und fundamentale Tatsache ist, daß das, was als europäischer Krieg begann, sich in einen Weltkrieg zur Welteroberung entwickelt hat, wie es die Nazis immer wollten. Adolf Hitler hat die Herrschaft über Europa nie als Endzweck angesehen. Die europäische Eroberung war nur ein Schritt zu den letzten Zielen in allen anderen Kontinenten. Für uns alle ist unverkennbar deutlich, daß die westliche Hemisphäre in der Reichweite der nationalsozialistischen Zerstörungswaffen liegen wird, falls der Vormarsch des Hitlerismus jetzt nicht gewaltsam gestoppt wird."

Nach dem Einfall der Wehrmacht in die Sowjetunion läßt Roosevelt diese mit Rüstungsgütern beliefern. Das 1941 verabschiedete "Leih- und Pachtgesetz" ermöglicht eine wirksame Unterstützung der Gegner Deutschlands und Japans. Alle Maßnahmen der Regierung zur Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft des Landes sind umstritten. Das amerikanische Feldheer hat im Frühjahr 1941 eine Stärke von 237.000 Mann, das entspricht der Größe der Armeen Hollands und Belgiens im Mai 1940. Die Luftwaffe verfügt über 1.700 veraltete Maschinen. Die Rüstungsausgaben, deren Anteil am Haushalt des Jahres 1940 etwa 15 Prozent beträgt, wird zum großen Teil für den Unterhalt und Ausbau der Marine aufgewandt.

Die Verlängerung der Wehrpflicht 1941 bekommt im Parlament nur eine Stimme Mehrheit. Im Süden der USA, in den Kernstaaten der alten Sklavenhalter-Förderation, wo die schwarze Bevölkerung seit dem Sieg der rassistischen Konterrevolution 1880 entrechtet und einem brutalen Apartheidregime ausgeliefert ist, sind die Sympathien für Hitlers Herrenmenschenideologie und Antisemitismus besonders groß. 1940 geben 90 Prozent der schwarzen und jüdischen Amerikaner Roosevelt ihre Stimme für eine dritten Amtszeit.

Im Juli 1941 beginnen Japans Truppen mit der Besetzung auch des südlichen Indochina. Die US-Regierung beschließt den Stopp der Exporte von Erdöl und Maschinen nach Japan und friert alle japanischen Guthaben in den USA ein. England, Kanada und Neuseeland schließen sich an.

In Verhandlungen mit der USA verlangen die Japaner, daß die USA sich aus dem Chinakrieg heraushalten, Japan in Ostasien und Indochina gewähren lassen und die Wirtschaftssanktionen aufheben. Die USA verlangen, daß Japan seine Truppen aus China abzieht und das Bündnis mit Hitler-Deutschland kündigt. Keine der japanischen Führungsgruppen in Armee, Flotte, Bürokratie und Wirtschaft zieht dies ernsthaft in Erwägung.

Am 1. Dezember 1941 entscheidet sich Japan, Krieg gegen die USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland und Holland zu beginnen. Der für einen Angriff auf die US-Flotte in Pearl Harbour vorgesehene Kampfverband verläßt bereits am 25. November die Inselgruppe der Kurilen und erreicht unter Einhaltung absoluter Funkstille am 7. Dezember den vorgesehenen Angriffspunkt nördlich der Hawai-Insel Oahu. Wegen der Funkstille verliert die amerikanische Marineaufklärung den japanischen Angriffsverband. Das ist nicht ungewöhnlich: In den sechs Monaten vor Pearl Harbour weiß der Nachrichtendienst an 134 von 180 Tagen nicht, wo sich die japanischen Flugzeugträger befinden. Im Gegensatz zum Verschlüsselungssystem des japanischen Außenministeriums ist der Code der japanischen Marine bis Dezember 1941 nicht geknackt.

Die Regierung in Washington weiß, daß der Kriegsbeginn unmittelbar bevorsteht, ist aber überzeugt, daß Singapur, Burma und Indonesien die Hauptziele des Angriffs sein werden. Die amerikanischen Streitkräfte im Pazifik werden bereits am 24. November gewarnt. Die eingehenden Hinweise auf die Angriffsrichtung sind unterschiedlichster Qualität. Ihre systematische Sammlung und Auswertung werden durch das Fehlen eines zentralen Nachrichtendienstes erschwert. Es werden Weisungen an den japanischen Konsul in Hawaii abgefangen, laufend über die in Pearl Harbour liegenden Einheiten zu berichten. Die gleichen Anweisungen erhalten aber alle japanischen Konsulate an der Westküste und in Panama.

Die amerikanische Flotte in Pearl Harbour wird von dem japanischen Angriff völlig überrascht. Fünf Schlachtschiffe werden versenkt, drei schwer beschädigt, mehr als 2.000 Amerikaner getötet. Von den schweren Einheiten der amerikanischen Pazifik-Flotte entgehen nur die drei Flugzeugträger, die moderne B-17-Bomber zum US-Stützpunkt Midway transportieren, der Vernichtung. Aus der Tatsache, daß der japanische Überraschungsangriff gelingt, machen vor allem amerikanische Rechtsextremisten nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Propagandalüge, Roosevelt habe durch Geheimdienstmeldungen von dem bevorstehenden Angriff gewußt, aber nichts unternommen, um endlich Krieg gegen Japan und Deutschland führen zu können. Sie werfen Roosevelt neben Hochverrat und Kollaboration damit auch Unzurechungsfähigkeit vor: Wenn er so dringend Krieg führen wollte, wäre die bewußte Opferung der schweren Schlachtschiffe - nach der damaligen Marinedoktrin der entscheidende Faktor zur Erringung der Seeherrschaft - der schlechtest mögliche Beginn.

Am gleichen Tag wird der amerikanische Luftwaffenstützpunkt auf der philippinischen Insel Luzon bombardiert, landet die japanische Armee auf der malayischen Halbinsel, marschiert in Thailand ein und besetzt die zu den Philippinen gehörende Insel Batan. Für Japan beginnt die dritte Phase seines seit 1931 eskalierenden Eroberungskrieges. Auf dem Höhepunkt seiner Siege beherrscht es ein Territorium von 7,2 Millionen Quadratkilometern mit einer Bevölkerung von 382 Millionen Menschen.

"Es dauerte mehr als ein halbes Jahrhundert, bis die Hintergründe der Pearl Harbour-›Überraschung‹ aufgrund freigegebener Akten aufgeklärt werden konnten ... Die Tatsache, daß ein demokratisch gewählter Präsident 2000 Landsleute opfert, um die Bevölkerung zum Krieg zu motivieren, scheint derzeit der Bevölkerung noch nicht zumutbar. Erst in der Rückschau auf den grandiosen Aufstieg zur einzigen Weltmacht des 21. Jahrhunderts - für den ein in Europa erfolgreicher Hitler ein schweres Hindernis geworden wäre - wird Roosevelts ›dirty trick‹ als strategische Großtat gefeiert werden können." Der das "Rätsel" von Pearl Harbour gelöst hat, ist ein ehemaliger Redakteur der "Tageszeitung". In seinem Bestseller 11.9. enthüllt Matthias Bröckers, wie es Roosevelt gelang, Deutschland zu zwingen, den USA den Krieg zu erklären, damit diese das antiimperialistische Bollwerk Deutschland beseitigen und die Weltherrschaft erringen konnten: Die reichen Freimaurer um Roosevelt hatten mit Hilfe des deutschen Millionärs Fritz Thyssen Hitler an die Macht gebracht und die SA mit amerikanischen Gewehren bewaffnet. Die Nazis, die Deutschland 1933 besetzten, waren - more or less - amerikanische Agenten.

Ganz so neu, wie er tut, ist Bröckers' Enthüllung natürlich nicht. In seinem 1977 erschienen Buch Halleluja - Die Geschichte der USA (Auflage 200.000) hatte ein Joachim Fernau bereits 24 Jahre vor Bröckers das Rätsel Pearl Harbour gelöst: "Der Plan war, nicht Deutschland selbst, sondern seinen Verbündeten Japan zu provozieren. Die Japaner hatten eben Korea (eben = 1905, E.S.) und Mandschuko (1931, E.S.) besetzt. Weiß der Kuckuck, wo Mandschuko lag, aber es war eine Möglichkeit, sich einzumischen und ein Ultimatum zu stellen. Vielleicht gelang es, vielleicht ging Japan mit den Fäusten auf die USA los. Der Plan gelang - Japan trotz der Warnung des erschrockenen Hitlers, zog blank. Roosevelt war aller Sorgen entledigt. Der amerikanische Geheimdienst meldete die Absicht Japans, in den Morgenstunden des 7. Dezembers einen vernichtenden Luftangriff auf die Pazifikflotte zu unternehmen ... und als der 7. Dezember anbrach, kannte man, das ist inzwischen belegt, den japanischen Angriffsplan im Detail. Nach dem Kriege hat es noch viele Jahre gedauert, bis die wahren Zusammenhänge herauskamen. Heute bestreiten sie nur noch hauptamtliche Geschichtskosmetiker."

Fernau mußte 1977 noch ganz ohne Internet recherchieren, aber dafür hatte er sein journalistisches Handwerk noch gründlicher erlernt: als Kriegsberichterstatter bei der SS und für den "Völkischen Beobachter". Statt eines Suchprogramms half ihm die Tagesparole des Reichspropagandaministeriums an die deutsche Presse vom 8. Dezember 1941: "Der Krieg in Ostasien ist das Werk des Kriegshetzers und Weltverbrechers Roosevelt, der als Handlanger der Juden neben Churchill seit Jahren unaufhörlich zum Krieg getrieben hat, bis er jetzt endlich sein Ziel erreichte. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Ausbruch der Feindseligkeiten im Pazifik zu stellen. Die Blätter können dabei ihrer menschlichen Entrüstung über diesen blutbefleckten, widerlichsten Moralheuchler aller Zeiten Luft machen."

Nicht nur alte Nazis und ergraute Spontis repetieren die alten Lieder, auch christliche und antichristliche Friedensfreunde singen mit. Der Kirchenkritiker Karl-Heinz Deschner benutzt die aktualisierte Neuauflage seiner Geschichte der USA (Der Moloch - Eine kritische Geschichte der USA), den 11. September 2001 als Wiederauflage von "Pearl Harbour" zu interpretieren, wo es "Präsident Roosevelt absichtlich unterließ, die ... US-Flotte über den bevorstehenden Angriff der Japaner zu informieren, der durch entzifferte Codes feststand". Daß Churchill sich über den Kriegseintritt der USA gefreut hat, animiert Deschner noch sechzig Jahre später dazu, seinen geistigen Wiedereintritt in die Volksgemeinschaft zu erklären: "Und sollte dieser Mensch, der bald Hunderttausende von deutschen Zivilisten durch seine Bomber killen ließ, über ein paar tote Amis oder gar ›Japsen‹ sich erregen - außer eben durch Freudenstürme." Hitler, so klagt Deschner, sei dem raffinierten US-Präsidenten nicht gewachsen gewesen. Er habe den Fehler begangen, den USA den Krieg zu erklären, denn "ohne Hitlers unklugen Schritt hätte Roosevelt schwerlich die Zustimmung des Kongresses zum Krieg bekommen". "Vielleicht", dichtet Deschner, "haben gewisse Kreise der USA den Schock des 11. September besser verschmerzt als so mancher meint? Ich erinnere eindringlich an Pearl Harbour."

Auch der katholische Friedenstheologe Eugen Drewermann meint, Roosevelt habe Deutschland den Krieg erklärt: Man solle bloß nicht glauben, es "sei der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg je mit dem Ziel erfolgt, den Genozid der Nazis an der jüdischen Bevölkerung zu verhindern". Bereits die Friedensbewegung der 80er Jahre hatte Deutschland in die Rolle eines historischen und zukünftigen Opfers der USA halluziniert, die deutschen Verbrechen gegen die Menschheit relativiert und den USA angelastet.

Die Rekonstruktion der Deutschen als "Opfer" der Alliierten ist seither weit vorangekommen. Sie ermöglicht die historische Fundierung eines neuen deutschen Nationalismus, vorerst noch Patriotismus oder Vaterlandsliebe genannt. Dazu muß der Beitrag der USA zur Zerschlagung Hitler-Deutschlands und seines Verbündeten Japan für moralisch und politisch fragwürdig erklärt, Roosevelt als Kriegstreiber und Verschwörer denunziert werden. Die Enthüllung angeblicher amerikanischer Verschwörungen und Kriegsverbrechen gegen Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg soll die Verschwörungstheorie stützen, der Anschlag vom 11. September sei ein Komplott der US-Regierung und der "Wall Street" gewesen.

Das ist, wieder mal, eine deutsche Spezialität. In den Ländern Europas, die Roosevelt als Befreier vom deutschen Terror Tausende von Straßen und Plätzen gewidmet haben, wird selbst von heftigen Kritikern der aktuellen US-Politik nicht vergessen, welchen Anteil die Vereinigten Staaten an der Befreiung vom deutschen Besatzungs- und Mordregime hatten.

Erich Später schrieb in KONKRET 11/02 über Goldhagens Studie zur Rolle der katholischen Kirche während des Holocaust

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36