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36 Jahre Konkret CD

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Heft 07 2009

Friedrich C. Burschel

"Hitler erlösen"

Das Institut für Staatspolitik ist die wichtigste Weiterbildungseinrichtung der neurechten Szene

Gustav Landauer - auch der Name des anarchistischen Philosophen und Revolutionärs der Münchener Räterepublik, der nach ihrer Niederschlagung am 2. Mai 1919 dort dem weißen Terror zum Opfer fiel, ist auf der Website des Kulturhistorischen Vereins Friedrichshagen zu finden. Der Verein kümmert sich um die Pflege des Erbes des "Friedrichshagener Dichterkreises" um Peter Hille, Bruno Wille und Wilhelm Bölsche. Landauer stand dem Kreis Ende des 19. Jahrhunderts als Herausgeber der Zeitschrift "Sozialist" nahe. Er käme ins Rotieren, wenn er wüßte, wer sich da an seinem Gedächtnis zu schaffen machte: Erik Lehnert, der neue Chef des rechtsradikalen, ultranationalistischen Instituts für Staatspolitik (IfS).

Das IfS gilt als wichtigste "Weiterbildungseinrichtung" der neurechten Szene und agiert in jener Grauzone zwischen Konservatismus und Neofaschismus, in der auch die "Junge Freiheit" und die Schülerzeitung "Blaue Narzisse" den rechten Aufbruch propagieren. Wie weit ins rechtsbürgerliche Lager dabei die Schnittmengen reichen, offenbart ein Blick auf die Liste der Referenten der Winter- und Sommerakademien und des "Berliner Kollegs", welche das IfS seit seiner Gründung im Mai 2000 regelmäßig ausrichtet. Sie liest sich wie das Who is Who der rechtesten der deutschen Rechten: Der geschaßte Brigadegeneral der Bundeswehr-Spezialeinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK), Reinhard Günzel, darf da ebensowenig fehlen wie der 68er-Renegat Bernd Rabehl, der Historiker Ernst Nolte, der CDU-Mann Arnulf Baring, die ultrarechte sächsische Skandalnudel Henry Nitzsche, der Islamismus-Paranoiker Udo Ulfkotte, sein einstiger "FAZ"-Kollege Karl Feldmeyer und natürlich der neurechte Vordenker Alain de Benoist.

Sitz des IfS ist das Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Das Gut gehört dem rechtsintellektuellen Haudegen und bisherigen IfS-Chef Götz Kubitschek. Es heißt, der 38jährige Reserve-Oberleutnant und Herausgeber des hauseigenen Periodikums "Sezession" werde sich wieder mehr seiner bewußt an Rudi Dutschke angelehnten "Konservativ-Subversiven Aktion" widmen. Die Störung einer Günter-Grass-Lesung in Hamburg und eines 68er-Kongresses in Berlin 2008 hatten ihm viel Aufmerksamkeit eingebracht. Die Führung des Instituts hat er im September 2008 dem promovierten Philosophen Erik Lehnert anvertraut, der bereits seit einigen Jahren als Autor der "Sezession" präsent ist und mit Kubitschek, dessen Frau Ellen Kositza und dem Gymnasiallehrer Karlheinz Weißmann den Kern der neurechten Kaderschmiede bildet. Dazu gehört noch der Verlag "Antaios" und neuerdings ein Internet-Blog "Sezession im Netz" ("Den wahren, guten und schönen Rechten ein Tagebuch").

Lehnert und seine Frau dirigierten Anfang Mai von Friedrichshagen aus die Gäste des "17. Berliner Kollegs" telefonisch zu einem geheimen Tagungsort, den sie trotz allem Störfeuer wohl irgendwo in Berlins Mitte gefunden hatten. Angeblich kommen zu diesen Kollegs bis zu 400 Leute und laben sich an ihrer elitären, deutschnationalen Sicht der Welt. Der zentrale Horror ihres Auserwähltheitswahns ist Rechtsintellektuellen die "kulturelle Durchmischung von Einwanderungsgesellschaften". In einem programmatischen Text des Instituts mit dem Titel "Meine Ehre heißt Reue" wird bis an den Rand offener antisemitischer Propaganda und Holocaustleugnung argumentiert. "In Deutschland ist die(se) Geschichtsschreibung in zentralen Punkten sogar juristisch geschützt. Die Durchsetzung und Überwachung liegt aber - wie in anderen Ländern auch - in der Hand einflußreicher Netzwerke und Lobbygruppen." In der "globalen Monokultur" bildeten die Deutschen "als ›Tätervolk‹ den negativen Mittelpunkt dieser transnationalen Erinnerungsstruktur", die durch "Schuldkult" und "Schuldlust" im "Holocaustgedenken zur neuen Weltreligion" reife. Die anonymen Autoren kommen zu dem Schluß, man lebe - frei nach dem NS- und Nachkriegsphilosophen Arnold Gehlen - in einem "Reich der Lüge". Fazit: "Die deutsche Nation muß unter allen Umständen auf solchen Stolz und solche Lust verzichten, wenn sie nicht an ihr Ende gelangen möchte." Schöner hätte es Horst Mahler auch nicht sagen können.

Gehlen gehört zum Kanon dieses reaktionären Denkens ebenso wie die allfälligen Armin Mohler, Oswald Spengler, Carl Schmitt, Ernst Jünger, Martin Heidegger und Gottfried Benn. Die Liste der Stichwortgeber ist nicht allzu lang, weshalb man nur wenige von Lehnerts rund 50 im Netz abrufbaren Blog-Beiträgen lesen muß, um ihnen allen zu begegnen. Dabei stürzt sich Lehnert auf jeden Knochen rechten Denkens, wenn er ihn nur für seine übersichtliche Ideologie verwerten kann: So lobt er den Soziologen Karl Otto Hondrich in einer Rezension eines Heftes der Monatszeitschrift "Merkur" im "Sezessions"-Blog, weil der angeblich "das Prinzip der Demokratie gefährdet sah, wenn den Interessen der Einheimischen kein Vorrang vor denen der Zugewanderten mehr eingeräumt" werde. Und wenn Stalin zur Hand ist, um Nationalismus zu begründen, ist ihm das auch recht: "Daß Stalin 1941 das Vaterland wiederentdeckte, zeigt nur, daß nicht alle Kommunisten dumm waren." Auch Karl Jaspers dient Lehnert als Steinbruch; immerhin hat er über "Karl Jaspers und die Philosophische Anthropologie" promoviert.

Viele der Beiträge von Lehnert sind unverfänglich, nehmen Gesine Schwan, Martin Mosebach oder den Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Sellering, auf die Schippe und könnten ohne weiteres in den einschlägigen Bürgerblättern der Republik stehen, gegebenenfalls in der "Jungen Freiheit", wo Lehnert gelegentlich zu lesen ist. Doch auch, wo er bürgerliches Feuilleton mimt, tritt die extrem rechte Ideologie zutage: So griff er den Streit um das baden-württembergische Liederbuch der CDU auf, in welchem das die Hitlersche Armee verherrlichende "Panzerlied" veröffentlicht und das nach Protesten eingestampft wurde. Genüßlich zitiert Lehnert das gesamte, degoutante Machwerk, um die Rolle der Hitlerschen Wehrmacht einmal mehr zu bagatellisieren. "Wenn vor uns ein feindliches / Heer dann erscheint, / Wird Vollgas gegeben / Und ran an den Feind / Was gilt denn unser Leben / Für unseres Reiches Heer? / Ja Reiches Heer / Für Deutschland zu sterben / ist uns höchste Ehr", heißt es da.

Lehnerts Biographie hält weitere interessante Details bereit: Wer sich darüber wundert, daß er in der "Sezession" den Professor der Sozialökologie und einstigen DDR-Dissidenten, Rudolf Bahro, in einem langen Beitrag würdigt, weiß eben nicht, daß Erik Lehnert gemeinsam mit Rudolf Bahros dritter Frau Marina Lehnert, seiner Mutter, eine Art Verwalter eines Teils des Nachlasses des Ende 1997 gestorbenen Vordenkers der westdeutschen Grünen ist und in die Vollen gehen kann, wenn er auf Bahros Halde stochert. Daß Bahros Ideen während seiner grünen Jahre immer skurriler wurden und schließlich bedenklich braun-grün schimmerten, ist ja weithin bekannt. Daß er trotz manch esoterisch-obskurer Vorstellungen auch von Linken bis zuletzt hofiert wurde, könnte für die Entwicklung seines Stiefsohns durchaus prägend gewesen sein.

Denn es mag ja durchaus sein, daß es vor zehn Jahren noch nicht wirklich ausgemacht war, daß Lehnert mal in der extrem rechten Ecke als Wortführer landen würde. Noch 2002 hatte er zum Beispiel einen Beitrag über Jaspers und Spengler in der Zeitschrift "Utopie kreativ" der Rosa-Luxemburg-Stiftung untergebracht. Auch ist sein Artikel über seinen Stiefvater sehr einfühlsam und geschickt formuliert und zeigt, daß Lehnert alles andere als ein Dummkopf ist, auch wenn man selbst das gern so hätte ("Sezession" 20, Dezember 2007). Anknüpfend an einen Beitrag, den er in Guntolf Herzbergs und Kurt Seiferts Bahro-Biographie unter dem offensiven Titel "Der Ökofaschist" veröffentlicht hatte, versucht er den Vorwurf brauner Gesinnung gegen Bahro dadurch zu entkräften, daß er den Kritikern "mangelndes Verständnis" attestiert und just jene Sätze Bahros zitiert, die in der Kritik standen. Sätze wie diesen: "Es kann aus derselben Energie, die damals auf die Katastrophe hin disponiert war, sogar aus der Neigung des furor teutonicus, wenn sie bewußt gehalten und dadurch kontrolliert wird, heute etwas Besseres werden. Kein Gedanke verwerflicher als der an ein neues anderes 1933?! Gerade der aber kann uns retten."

Wem diese Vision eines NS reloaded hirnrissig scheint, dem werden auch die beiden Sätze, von denen Lehnert behauptet, sie würden absichtlich immer unterschlagen, nicht weiterhelfen, nämlich: "Die Ökopax-Bewegung ist die erste deutsche Volksbewegung seit der Nazibewegung. Sie muß Hitler mit erlösen - die seelische Tendenz, die er, wenn auch schwächer, immer noch in uns ist - wie Rußland jetzt Stalin erlöst, ohne Verteufelung, ohne Beschönigung, mit aller Ehrfurcht für die Opfer." Und das sind nur Bahros ideelle Idiotien - von seinen Ausflügen zu Bhagwan in Oregon, den Experimenten mit "neuen Menschen" in Kommunen und klosterartigen Gemeinschaften soll hier erst gar nicht die Rede sein. Bis auf das "LebensGut" Pommritz in Sachsen, ein Eso-Öko-Projekt, zu dem Bahro einst den sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf breitschlagen konnte: Mit öffentlichen Geldern sollten dort "ökologisch tragfähige Gesellschaftsformen" aufgebaut worden. Und was fällt Lehnert ein zu der Siedlung, in der heute fünfzig Erwachsene "und eine entsprechende Anzahl von Kindern" leben? "Die Geburtenrate beträgt 2,3 pro Frau." Für den Erhalt des deutschen Volkes eine beachtliche Leistung, zweifellos.

Nun könnte man meinen, es lohne den Aufwand nicht, sich mit derlei rechten Spinnern überhaupt zu beschäftigen. Aber die denken eben nicht bloß und schreiben das auf, sie handeln auch, zunächst und meist nur in kleinem, irgendwann vielleicht dann aber auch im größeren Kreis. Da lohnt sich das genaue Hinsehen schon; es schützt vor unliebsamen Überraschungen. Lehnert und seine Frau jedenfalls sind durchaus rührig. So tauchte der als sehr umgänglich, witzig und nett beschriebene Mittdreißiger etwa beim eingangs erwähnten Kulturhistorischen Verein Friedrichshagen auf und bot seine Mitarbeit an. Ein kleiner Verein mit nur etwa 15 Mitgliedern ist für jeden Neuzugang natürlich zunächst dankbar. Und anfangs merkte auch kaum jemand etwas. "Manchmal hab ich mich schon gefragt, ob er das jetzt ernst meint", erinnert sich Vereinsgeschäftsführer Rolf Lang, wenn Lehnert sich zum Beispiel voller Sympathie und fast kumpelhaft über den verunglückten österreichischen Rechtsaußen Jörg Haider äußerte. Es dauerte eine Weile, bis die Friedrichshagener Dichterpfleger begannen nachzufragen, im Internet zum IfS zu recherchieren und die von Lehnert immer mal wieder mitgebrachten "Sezessions"-Hefte zu lesen. "Aber als er vorschlug, eine Ausstellung zum Weimarer Bauhaus-Abwickler der Nazizeit, Paul Schulze-Naumburg, zu machen, haben die Alarmglocken bei mir geschrillt", erzählt Lang von den heftigen und emotionalen Auseinandersetzungen in dem kleinen Verein, die in Langs Ultimatum "Lehnert oder ich!" kulminierten. Der Verein hat sich von diesem feindlichen Übernahmeversuch noch kaum erholt, aber mittlerweile doch wenigstens von Lehnert getrennt.

Ähnlich läuft es auch in anderen Friedrichshagener Gruppen, in denen Lehnert aktiv gewesen ist. Die Müggelsee-Gemeinde im Stadtteil Treptow-Köpenick wird im Wege der vielzitierten Gentrifizierung zunehmend zu einer grünen Vorortbastion für gutsituierte Bildungsbürger und Beamte, die wenig Interesse an politischem Zoff haben. Ein kleiner versprengter Haufen aus Multi-Kulti-Patchworkfamilien und echten Linken hat sich erst vor einem Jahr zu einem Bündnis gegen Rechts mit dem Namen "Friedrichshagen ist bunt" zusammengefunden und an einer großflächigen Betonwand direkt gegenüber dem S-Bahn-Zugang ein antifaschistisches Graffito "Willkommen in der Go-Area" durchgesetzt. Nun droht das Bündnis über dem Streit um Lehnert zu zerbrechen. Und das Graffito am Bahnhof ist sinnfälligerweise hinter einer blitzblanken Klinkermauer verschwunden, dem Stolz der Spießbürger vor Ort. Von wegen bunt, von wegen willkommen.

Friedrich C. Burschel schrieb in KONKRET 2/08 über die Ökosupermarktkette Basic

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36