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36 Jahre Konkret CD

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Heft 03 2004

Oliver Tolmein

Herren Menschen Rechte

Der deutsche Adel klagt auf Rückgabe seiner enteigneten Ländereien in der ehemaligen DDR

Wer auf Englisch darüber berichten will, worum es in den nunmehr drei Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg geht, die die deutschen Gemüter gegenwärtig beschäftigen, muß sich bemühen, nicht schwermütig zu werden: Die Kläger, entnimmt man den Schriftsätzen des Gerichts, fühlen sich in ihrem "Right to the peaceful enjoyment of their possessions" ("Recht, ihren Besitz friedlich zu genießen") beeinträchtigt. In nüchternem Wirtschaftsdeutsch geht es darum, daß sie wenigstens angemessen dafür entschädigt werden wollen, daß die sowjetische Militäradministration nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Junkerland in Bauernhand gegeben und es so zum Eigentum Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften und sonstiger Volkseigener Betriebe gemacht hat.

Wenn Dr. Thomas Gertner, der eine von drei Sammelklagen vertritt und mehrere Dutzend Mandanten hinter sich weiß, über das Verfahren spricht, klingt es weniger friedlich - und bei allem spürbaren Interesse am Profit ist er doch kein Anwalt, der nur ans Geld denkt. Für Gertner sind Gegenstand des Verfahrens "von Maltzahn, Alfred Toepfer Stiftung und von Zitzewitz....", das er seit Jahren auch schon vor deutschen Gerichten durch alle Instanzen getrieben hat, die Maßnahmen, die die Rote Armee unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gegen den (ost-)deutschen Landadel ergriff.

In seinem Plädoyer am 29. Januar 2003 vor dem Straßburger Gerichtshof legte der 1950 geborene Gertner, dessen Familie auch selbst ein Schloß besaß, sein Geschichtsverständnis dar: "Alle Betroffenen waren das Opfer von Konfiskationen. Diese sind einhergegangen mit der systematischen Ächtung und Ausgrenzung der Betroffenen aus der sozialen Friedensordnung, ihrer Vertreibung und Verfolgung bis hin zur körperlichen Mißhandlung und Tötung. Schon nach dem damaligen Völkergewohnheitsrecht waren diese kommunistischen Gewaltmaßnahmen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Solche Gewaltakte, also auch die damit einhergehenden Vermögenseinziehungen, waren innerstaatlich null und nichtig und durften durch keinen zivilisierten Rechtsstaat anerkannt werden."

Es überrascht nicht, daß der Anwalt in der rechtsextremen "Jungen Freiheit" ein Sprachrohr für seine Prozeßstrategie findet, der die politische Rehabilitierung der damals Enteigneten mindestens ebenso wichtig ist wie die spürbare Verbesserung ihrer finanziellen Lage: "Wenn eine Rehabilitation erfolgt", so Gertners Hoffnung auf den Ausgang des Prozesses, "dann entfällt auch der immanente Rechtsgrund für die Vermögenseinziehungen, denn wenn es sich bei diesen Personen gar nicht um Nazis und Kriegsverbrecher handelt, dann ist auch die aus diesem Grund erfolgte Vermögenseinziehung null und nichtig."

Mit geschichtsrevisionistischem Gedankengut dieser Art hat Gertner in den letzten Jahren auch bei der "Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum" (ARE) Sympathien gewinnen können, die für ihren letzten großen Kongreß den kämpferischen und beziehungsreichen Titel wählte: "ARE international offensiv - Rechtsstaat in Not: Widerstand und Angriff."

In der Tat handelt es sich beim gegenwärtigen Angriff auf die Nachkriegsneuordnung deutschen Eigentums mittlerweile um eine Strategie, die mehr will, als nur die Stimmung im Reich verbessern: Die im letzten Jahr aus dem Kreis der Vertriebenenorganisationen gegründete "Organisation Preußische Treuhand" erhebt mittlerweile ganz offen Anspruch auf Rückgabe oder zumindest erhebliche Entschädigungszahlungen von seiten des polnischen Staates für dort enteignete Ländereien. Verfahren anderer Gruppen aus den Vertriebenenverbänden, die sich gegen die tschechische Republik wenden werden, sind bereits im Gange.

Der Sprecher der Preußischen Treuhand, die gerade Geld für die ersten Großverfahren sammelt, sieht eine weit über die Enteignung hinausgehende verbrecherische Dimension in den Geschehnissen nach dem Zweiten Weltkrieg: "Schließlich wurden die Vertriebenen nicht nur aus politischen oder juristischen Gründen enteignet, sondern aus rassischen Gründen, nämlich weil sie Deutsche waren. Wir haben es also zudem mit einer eindeutigen Diskriminierung zu tun." Nun sind gerade die ostpreußischen Vertriebenen bislang nicht als engagierte Verfechter von Antidiskriminierungsgesetzen aufgefallen - aber jetzt, da sich gezeigt hat, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der bislang das letzte Refugium für linke politische Gefangene, für Homo- und Transsexuelle oder für Opfer von Polizeigewalt war, auch ein Herz für die Minderheit der deutschen ehemaligen Großgrundbesitzer hat, ist diesbezüglich mit Überraschungen zu rechnen.

Inwieweit es in nächster Zukunft tatsächlich zu weiteren Klagen kommt, die das "Vertreibungsunrecht" und wenigstens die ideologische Rückabwicklung des "Unrechts an den Deutschen" zum Thema machen werden, hängt zu großen Teilen von der Entscheidung des Gerichtshofes in Sachen "Junkerland in Junkerhand" ab. Eine Entscheidung, die den Klägern auch nur teilweise gibt, was sie sich wünschen, dürfte die politische Gestaltung der gesamten osteuropäischen Nachkriegslandschaft in Frage stellen und zahllose Aktivisten der deutschen Brauchtumsszene zu Prozessen motivieren. So weit ist es allerdings noch nicht - und auch Thomas Gertner, der bei allem berufsbedingten Zweckoptimismus und aller revisionistischen Leidenschaft kein Hasardeur ist, warnt im Interview mit der "Jungen Freiheit" davor, "die Frage Alteigentümer als quasi schon in unserem Sinne entschieden anzusehen".

Rechtlich gesehen haben die drei Klagen mit denen der nichtentschädigten "Neubauern", die von den europäischen Richtern das Recht auf Entschädigung zugesprochen bekamen haben, nur wenig mehr zu tun, als daß es um die gleichen Ländereien geht. Die Erben der sogenannten "Neubauern", an die das Bodenreformland in der SBZ/DDR verteilt worden war, haben in Straßburg Recht bekommen, weil der Bundestag sie entschädigungslos enteignete, obwohl ihnen die DDR-Volkskammer unter der Regierung Modrow im März 1990 das volle Eigentum an ihren Grundstücken zuerkannt hatte. Im jetzt anhängigen Alteigentümerfall geht es dagegen vor allem um Enteignungen durch die sowjetische Militäradministration, also die Handlungen einer Besatzungsmacht. Die Bundesrepublik hat dafür in einem Gesetz von 1994 auch Entschädigungszahlungen vorgesehen, die allerdings gerade bei den großen Flächen nur einen Bruchteil ihres heutigen Verkehrswerts ausmachen. Unternehmen und Stiftungen erhielten gar keine Entschädigung - und haben daher, da das Menschenrecht auf Eigentum auch für juristische Personen gilt, in diesem Verfahren die besten Chancen.

Juristisch hat das Gericht allerdings die Möglichkeit, die neuen Klagen insgesamt abzuweisen, denn der Schutz des Eigentums, wie ihn Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sicherstellt, gilt nicht absolut - und ob die Vorschrift auf das Nachkriegsgeschehen überhaupt anwendbar ist, ist fraglich. Zudem erlaubt dieser Artikel die Enteignung im "öffentlichen Interesse" - und anders als Artikel 14 des Grundgesetzes, der Enteignungen nur zum "Wohl der Allgemeinheit" vorsieht und Entschädigungen vorschreibt, hält sich die Menschenrechtskonvention da eher zurück. Die Tatsache allerdings, daß überhaupt mündlich verhandelt worden ist, signalisiert, daß die Richter durchaus erwägen, anders zu entscheiden als das Bundesverfassungsgericht, das vor drei Jahren die Kläger abwies. In diesem Fall wird die Begründung interessant sein: Zwischen einem wirtschaftliche Aspekte des bürgerlichen Eigentumsrechts in den Vordergrund stellenden Richterspruch und einem Urteil, das sich die geschichtsrevisionistischen Thesen Gertners zu eigen macht, können Welten liegen.

Oliver Tolmein schrieb in KONKRET 12/03 über Neuerscheinungen zur RAF

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36