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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 06 2006

Martin Behrens

Genossen und Volksgenossen

Sie sind siamesische Zwillinge: deutsche Burschen und deutsche Nazis. Aber nicht nur die SPD tut sich schwer, das zu erkennen.

Ferdinand Lassalle, Arbeiterführer und Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie, war zu Breslauer Studientagen Mitglied der studentischen Verbindung, die sich heute "Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn" nennt und statt Sozialdemokraten lieber den Volksgenossen Horst Mahler und Mitarbeiter der Nazizeitschrift "Junge Freiheit" einlädt. Die "Alte Breslauer" ist kein Einzelfall. In vielen der 120 unter dem Dach der "Deutschen Burschenschaft" (DB) organisierten Bünde herrscht ähnlicher Ungeist.

Im November 2005 hatte der Parteitag der SPD beschlossen, die Mitgliedschaft in Studentenverbindungen, die unter dem Dach der DB organisiert sind, sei mit dem Führen eines SPD-Parteibuches unvereinbar. Doch als der Vorstand im Januar den Auftrag der Parteitagsmehrheit realisieren sollte, weichte er ihn - mit 18 gegen 14 Stimmen - wieder auf. Zwar gelte, daß "gegen die Grundsätze der Partei handelt, wer sich in einer Mitgliedsburschenschaft des Dachverbandes Deutsche Burschenschaft engagiert", doch was mit ihm zu geschehen habe, werde künftig im Einzelfall vor Ort geprüft und entschieden.

Den Jungsozialisten ging das nicht weit genug. "Offenbar ist es immer einfacher, mit Worten und Ankündigungen gegen Rechtsextremismus vorzugehen, als eine verbindliche Entscheidung zu treffen, die dann auch zu Konflikten führen kann", meinte Jusochef Björn Böhning. Es werde "geduldet, was nicht zu dulden ist". Ende März knickte der Vorstand dann ein und korrigierte sich selbst. Nur die Mitgliedschaft in den "Burschenschaftlichen Gemeinschaften", einer 48 Bünde starken Fraktion, die mit ihrer Sperrminorität jeden Kurswechsel der DB verhindert, wurde für unvereinbar mit einem SPD-Parteibuch erklärt. Schon der Januarbeschluß hatte die "BG" als "völkischen Kampfverband" bezeichnet, die nun gefaßte Entscheidung sei "ein Schritt in die richtige Richtung" und ein "deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus". Dennoch werden auch die Jusos den Eindruck der Halbherzigkeit nicht los: "Da die Burschenschaftliche Gemeinschaft den Dachverband programmatisch, personell und organisatorisch dominiert, wäre eine Unvereinbarkeit mit der gesamten DB konsequenter gewesen." Überdies: Die SPD erhebt keine Daten über sonstige Vereinszugehörigkeiten ihrer Mitglieder, kontrolliert werden kann die Umsetzung also kaum. So droht auch der neue Beschluß wirkungslos zu bleiben.

Die DB reagierte dennoch empört. Die Unvereinbarkeitserklärung erinnere "stark an die Methoden der sowjetischen Geheimpolizei und die Ideologie des Stalinismus", meinte ihr Sprecher Stefan Teufel. "Es bestehen erhebliche Zweifel, über welche Informationen der Vorstand bezüglich der Burschenschaft überhaupt verfügt."

Doch selbst manche Burschenschaften gehen inzwischen auf Distanz zur "Deutschen Burschenschaft". Von Extremisten, die "unter dem Deckmantel der Traditionspflege eine intellektuelle Plattform für ihre menschenverachtenden Ansichten" aufbauen, redet Wolfgang Hacker, Sprecher der aus der DB ausgetretenen "Neuen Deutschen Burschenschaft". Weil in zu vielen DB-Bünden "rechtsextremistisches und nationalistisches Gedankengut vertreten" werde, weigerten sich bereits 1998 einige Corps, mit der DB das 150. "Revolutionsjubiläum" in der Paulskirche zu feiern.

Ins Visier des Verfassungsschutzes Hessen ist die "Burschenschaft Dresdensia-Rugia" in Gießen geraten. Sie avanciere zur "Denkfabrik der extremen Rechten". Von einer "neuen Qualität" sprach Behördendirektor Lutz Irrgang vor einem Jahr noch ganz im Rausch einer Entdeckung, die so neu freilich nicht ist. "Hier wird über eine konzeptionelle Zusammenarbeit nachgedacht, und nicht nur das."

Ende 2004 war die mit Gießener Burschen in Fraktion und Mitarbeiterstab verstärkte NPD in den sächsischen Landtag eingezogen. Der Abgeordnete Jürgen W. Gansel, ein Gießener Bursche, war es, der mit seiner Rede vom "Bombenholocaust" von Dresden Aufsehen erregte. Der hessische NPD-Funktionär Alfred Zutt sagt, es sei bekannt, daß die Burschenschaft "national gesinnt" sei. Von ihrer "Sogwirkung auf rechtsextreme Studenten" habe letztlich "auch sein Kreisverband profitiert, in dem die jungen Leute mitgearbeitet" hätten, so der Verfassungsschutz.

Schon seit Jahren geben sich braune Ideologen bei braunen Burschen die Klinke in die Hand. "Die germanische Mythologie in Vergangenheit und Gegenwart", lautete ein Vortrag der "Burschenschaft Markomannia Aachen-Greifswald", die auf dem Eisenacher Burschentag 1994 die "Wiedervereinigung" Deutschlands mit Österreichs in "einem Europa der Vaterländer" forderte. Ihre Kameraden von der "Greifswalder Burschenschaft Rugia" luden zum Geschichtsstündchen mit Exgeneral Gerd Schultze-Rhonhof, der unter anderem die Kriegsschuld Hitler-Deutschlands relativiert. Thema: "1939: Der Krieg, der viele Väter hatte".

Clubs wie die Dresdensia und die Greifswalder Rugia, die "als eine Burschenschaft an zwei Hochschulen" existieren, dienen als Kaderschmieden für die NPD und andere faschistische Gruppen. Dagegen gingen im April rund 300 Studenten in der Hansestadt auf die Straße. Unweit des Hauses der "Rugia" machte ihnen, wie zur Bestätigung ihrer Kritik, etwa ein Dutzend örtlicher Neonazis die Aufwartung.

Mitglied bei der "Rugia" und anderen DB-Bünden kann nur werden, wer männlich ist, Kriegsdienst geleistet hat und "deutscher Abstammung" ist. Die Zahl der Bundesbrüder mit NPD-Parteibuch gibt der Senior der Greifswalder Rugia, Phidias Wienrich, mit "unter fünf Prozent" an. Dies sei zwar "bedauernswert", aber Teil der "freien Meinungsäußerung". Bernd Biedermann, Sprecher der antirechten Greifswalder "Freitagsrunde", geht von "mindestens vier Hilfs-Nazis bei der Rugia" aus. Bei NPD-Demos tauchten "Markomannen und Rugier immer wieder gemeinsam fahnenschwenkend" auf.

Auch der Bundesgeschäftsführer der "Jungen Nationaldemokraten", Mathias Rochow, ist - als "Alter Herr" der Rugia - ein Greifswalder Bursche. Der Rugia "Heimatseiten" im Internet sind auf ihn registriert. Für die "Junge Landsmannschaft Ostpreußen" (JLO), deren "Neue Medien-Beauftragter" er ist, gestaltete er Flyer mit Titeln wie "Ostpreußen soll leben". Auf dem im Stil nationalsozialistischer HJ-Propaganda gehaltenen Papier ist die Adresse des Rugia-Verbindungshauses, unter der Rochow logierte, angegeben.

Der Weg von der Burschenschaft, die für ein "ungeteiltes deutsches Vaterland" eintritt und "alle Standesgesetze bekämpft", zur äußersten Rechten könnte direkter kaum sein: Kein Widerspruch, sondern Konsequenz programmatischer Schnittmengen. Die DB will das "deutsche Vaterland unabhängig von staatlichen Grenzen in einem freien und einigen Europa, welches Osteuropa einschließt". Sie unterstützt mit Pressemeldungen wider eine "Sondergesetzgebung" die NPD. Im Rugia Gästebuch wimmelt es von "Heil Euch"-Rufen aus dem von "polnischen Touristen" überlaufenen Danzig (Gdansk).

Mathias Brodkorb und Thomas Schmidt, Experten für Rechtsradikalismus in Mecklenburg-Vorpommern, weisen in einer Publikation für die SPD-nahe "Friedrich-Ebert-Stiftung" auf "erhebliche Überschneidungen zwischen NPD, JLO und der Burschenschaft Rugia" hin und rechnen die Burschen gar zur "freien Szene". Nur beim Schweriner Verfassungsschutz freut man sich, "nicht in einem Überwachungsstaat zu leben". Zur Rugia gebe es keine Erkenntnisse. In Hessen sieht man das anders: "Natürlich gibt es Verbindungen nach Greifswald", so Ministeriumssprecher Werner Meystädt. Mehr will er offiziell nicht sagen.

Greifswald war bis 2001 Paradebeispiel für die Umsetzung "national befreiter Zonen" unter Nazikontrolle und avancierte bundesweit zu einer "Zone der Angst" ("Welt"). Pikant: Die Strategie der "national befreiten Zonen" wurde von der JN entwickelt. Mathias Rochows Bruder Stefan, ehemals Altherrenchef der Rugia, ist heute Bundesvorsitzender des NPD-Nachwuchses und NPD-Fraktionsassistent im sächsischen Landtag - und war bis vor wenigen Wochen Mitglied der Dresdensia, die sich allerdings auf öffentlichen Druck hin von ihm trennte. Zwei hochrangige JN- und NPD-Kader hat die Kleinstadt-Burschenschaft somit hervorgebracht.

Greifswald und Gießen sind keine Einzelfälle. In Berlin, Bielefeld, Hamburg oder Regensburg geht es ähnlich zu. In Regensburg verbot der Unirektor Flugblätter der "Teutonia". Sie störe "den Rechtsfrieden an der Universität". Die Bielefelder "Normannia Nibelungen" begrüßte unlängst Johannes Rogalla von Bieberstein als Referenten. Er ist Autor des Buches Jüdischer Bolschewismus - Mythos und Realität. Mitglieder der Normannia seien in der "Neuen Rechten, in der Rechtsrockszene oder im gewalttätigen Neonazispektrum aktiv", so die Bielefelder Antifa. Und aus Angst vor Vandalismus wurde der "Normannia zu Jena" das Verbindungshaus, die "Wilhelmsburg", im April gekündigt: Eigentümer ist der REP-Funktionär Willhelm Tell. Der Festkommers der Burschenschaften zum Unijubiläum in Hannover ging Anfang Mai nur mit Polizeischutz über die Bühne. Das steht Greifswald noch bevor. Im Sommer feiert man hier 550 Jahre.

Der inzwischen zu drei Jahren Haft verurteilte Holocaustleugner David Irving wurde auf dem Weg zu einer Rede vor der "Wiener Burschenschaft Olympia" verhaftet. Auch die "Olympia" ist Mitglied der "Deutschen Burschenschaft" und hatte in den vergangenen Jahren sogar deren Vorsitz mehrfach inne. Sie schickte Einladungen rund, die mit einem "Gedicht" verziert waren: "Bist Du häßlich, fett, krank oder fremd im Lande, bist Du ... von linksliberaler Gesinnung gepeinigt ... oder (hast Du gar) eine Freundin, die weder schön noch still ist, kurz: bist Du auf deine Weise abnormal oder unfröhlich, dann bleib lieber zu Hause." Der Hamburger "Germania" hat es so gut gefallen, daß sie es nachdruckte.

Nicht besser ist das Bild in der DB-Chefetage heute. Vorsitzende Burschenschaft ist im akademischen Jahr 2006/07 die "Innsbrucker Burschenschaft Brixia". Vom "Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes" (DÖW) wird sie als "akademische Vorfeldorganisation des Rechtsextremismus" eingestuft. Sie stelle mit Herwig Nachtmann, so der Rechtsextremismusexperte Anton Maegerle, auch den Schriftleiter der von der DB herausgegebenen "Burschenschaftlichen Blätter". Nachtmann ist wegen Verstoß gegen das NS-Wiederbetätigungsgesetz vorbestraft.

Die Kontakte der "Danubia München" in die gewalttätige Skinheadszene ließen sogar Bayerns Innenminister Günther Beckstein von einer "Unterwanderung" durch Neonazis sprechen. Prominentestes Opfer des darauf folgenden Versuchs, ihr Image zu retten, wurde der NPD-Ideologe Jürgen Schwab, der sich gleich aus zwei Burschenschaften ausgeschlossen sah.

Heute verfaßt Schwab Kolumnen für das "Störtebeker-Netz" des Stralsunder Nazis Axel Möller. Der war bis 2001 für die NPD in Greifswald und Stralsund aktiv. Mit bis zu vier Millionen Zugriffen im Jahr ist sein Netz eine der wichtigsten Plattformen der Szene im Internet, als Scharnier zwischen Neuer Rechten und Neonazis. Nicht nur Biedermann sieht "Mitglieder der Rugia und Markomannia am Störtebeker-Netz beteiligt".

Daß die SPD sich dennoch so schwertut, eine generelle Unvereinbarkeit zu exekutieren, wird doch nicht daran liegen, daß sie dann zu viele Genossen verlöre? Etwa den Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer-Kreises und "Alter Herr" der Burschenschaft Wingolfring? Oder den Egon Bahr, der vor der Berliner "Burschenschaft Gothia" gegen den EU-Beitritt der Türkei polemisierte?

Martin Behrens ist freier Autor und lebt zur Zeit in Szczecin (Polen)

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Literatur Konkret Nr. 36