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36 Jahre Konkret CD

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Heft 06 2007

Ralf Schröder

Folterknast statt Erdogan

Eine Freundin des türkischen Militärs

Das hat es in Europa schon länger nicht gegeben: die offene Androhung eines Militärputsches. Die türkische Armee, in solchen Dingen äußerst erfahren, verlautbarte Ende April, man werde um keinen Preis dulden, daß ein Funktionär der islamisch orientierten Regierungspartei zum Staatspräsidenten gewählt würde. Bevor dann allerdings die Panzer aus den Kasernen rollten, fügten sich Premierminister Erdogan und seine "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP) einem rechtlich zumindest fragwürdigen Votum des Verfassungsgerichtes, mit dem das bereits in Gang befindliche Wahlverfahren annulliert wurde. Begleitet wurde der Streit von Massendemonstrationen für eine säkulare Türkei - wobei nach Beobachtungen des Kolumnisten Richard Herzinger eine zentrale Losung lautete: "Weder Putsch noch Sharia". Es sei offensichtlich, so faßte Herzinger in der "Welt" und im Einklang mit etlichen türkischen Kommentatoren zusammen, daß die Türkei im Zuge eines beschleunigten Modernisierungsprozesses "längst über den klassischen Konflikt zwischen rigidem, von oben verordneten Laizismus und einer religiös-fundamentalistischen Gegenbewegung hinausgewachsen ist".

Die Putschdrohung jener Armeeführung, die noch vor wenigen Jahren ganz ungeniert ein Heer von Folterknechten, Denunzianten, rechten Totschlägern und nationalistischen Kurdenkillern kommandierte, traf außerhalb der Türkei auf mitunter zweifelhaft begründete, aber dennoch vollständige Ablehnung - nur eine einzige Person von internationalem Rang hatte den Mut, der Generalität in Ankara den Rücken zu stärken: die Ikone jener bizarren Bewegung, die unter dem Banner der Aufklärung gegen die Kolonisierung des Abendlandes durch den Islam kämpft. Ayaan Hirsi Ali, mittlerweile im American Enterprise Institute und damit unmittelbar im ideologischen Umfeld George Bushs zu Hause, möchte auch außerhalb der türkischen Kasernen der Einsicht zum Durchbruch verhelfen, "daß die türkische Armee anders als jede andere ist. Ihre Aufgabe ist einzigartig, weil sie den säkularen Charakter der Türkei gewährleistet."

Der sympathischen Parole "Weder Putsch noch Sharia" schenkt die Aufklärerin, deren Analyse in der "Welt" erschien, keinerlei Beachtung; statt dessen empfiehlt sie den "säkularen Liberalen", also jenen Leuten, die diese Parole erfunden haben, das eigene Versagen einzugestehen: Sie hätten die Raffinesse der verdeckten Unterwanderung nicht erkannt, die Erdogan und seine Partei verfolgen. Und sie hätten, einst in der Regierung befindlich, die AKP durch eine desaströse Wirtschaftspolitik stark gemacht. Vor allem aber habe man nicht verhindert, daß der Verschwörer Erdogan die gesamte EU an der Nase herumführt. "Naive, aber wohlmeinende europäische Führer sind von Anfang an dahingehend manipuliert worden, daß sie eine zivile Kontrolle über die türkische Armee gefordert haben, wie es sie auch in allen anderen Mitgliedstaaten gibt." Die Aufklärung marschiert.

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Literatur Konkret Nr. 36