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36 Jahre Konkret CD

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Heft 02 2006

Kay Sokolowsky

Fidel in Dallas

Hat Castro Kennedy ermordet?Viel Lärm um eine TV-Dokumentation

Wilfried Huismann ist ein Dokumentarfilmer, der seine drei Grimme-Preise durchaus verdient hat. Als Spinner und Schaumschläger kannte man ihn bisher nicht. Doch seit Huismann sich zum Ziel setzte, das populärste Attentat des 20. Jahrhunderts, den Mord an John F. Kennedy, "aufzuklären", hat er vieles von dem vergessen, was er mal wußte. Und sich so tief in seine Story versponnen, daß er den Unterschied zwischen distanzierter Reportage und Schaumschlägerei nicht mehr zu erkennen vermag. "Rendezvous mit dem Tod", Huismanns neuer Film, am 6. Januar unter erheblichem PR-Tamtam von der ARD ausgestrahlt, ist ein weiterer Beweis dafür, daß exzessive Beschäftigung mit der Kennedy-Ermordung jede Selbstkritik beseitigt und ein Prophetensyndrom höheren Grades erzeugt. Wenn ihn niemand widerlegen könne, meint Huismann, "muß die Geschichte des Kalten Kriegs umgeschrieben werden". So redet keiner, der noch bei Groschen ist; so reden Verschwörungstheoretiker.

Die Spekulation, die Huismann unter der dunkel rumpelnden Musik von Claudius Brüse verbreitet, geht so: Lee Harvey Oswald soll Kennedy im Auftrag des kubanischen Geheimdiensts erschossen haben. Diese Hypothese ist nicht neu, doch Huismann der erste, der einen leibhaftigen "Zeugen" für seine Behauptung auffahren kann: Oscar Marino, (angeblich) ein ehemaliger Topagent des kubanischen Geheimdiensts. Weil ihm nicht mehr viel Zeit bleibe, sagt Marino, habe er beschlossen, sein brisantes Wissen der Welt mitzuteilen, statt es mit ins Grab zu nehmen. Er berichtet von Kontakten Oswalds zur Abteilung G 2 des kubanischen Nachrichtendiensts in Mexico-City, davon, wie Oswald sich angeboten habe, den US-Präsidenten zu ermorden, und wie er mit 6.500 Dollar und den guten Wünschen der kubanischen Schlapphüte zurück ins Schulbuchlager am Dealey Plaza geschickt worden sei. Der Führungsoffizier des Attentäters sei Oswaldo Cubela gewesen, ehemals Kampfgefährte Che Guevaras, danach als Doppelagent für die CIA und Fidel Castro aktiv.

Huismann ist so verliebt in die Vorstellung, sein Film würde das monströse Gestrüpp aus Legenden und Lügen um die Schüsse von Dallas ein für allemal zerreißen, daß er sich keinen Zweifel an seinem Kronzeugen erlaubt. Aber was sind die Worte Marinos wirklich wert? Er hat Oswald nie kennengelernt, er gehörte nicht einmal der G 2 an; sein Wissen verdankt er einzig einer Aktennotiz, die er auf dem Schreibtisch eines Kollegen gesehen haben will. Huismann greift zu unlauteren Mitteln, um die Dürftigkeit dieses Zeugen zu camouflieren: Wir sehen Marino stets nur auf dem Beifahrersitz eines Autos kauern, das durch die nächtlichen Straßen einer anonymen Stadt rollt, er wird von hinten, gleichsam aus der Aktentasche, gefilmt und wendet sich nur selten zur Kamera um. Die Bildsprache signalisiert: "Gefahr! Feindesland! Heckenschützen!" Aber es wird nicht mal eine rote Ampel überfahren. Und auch Marino spielt eher schlecht mit. Er klingt unaufgeregt, gelegentlich amüsiert und manchmal wie eine Charge aus einem John-Le-Carré-Roman: "Wir haben Oswald nicht ausgewählt, weil er der Beste war - er war verfügbar."

Um Marinos dubiose Aussage zu stützen, ist Huismann jahrelang um die halbe Welt gereist. Er hat Cubela, den Doppelagenten, interviewt - der allerdings die Unterstellung, Lee Harvey Oswalds Anwerber gewesen zu sein, empört zurückweist. Auch Fabian Escalante, seinerzeit Agent der G 2 und - laut Huismann - beim JFK-Attentat vor Ort, bestreitet jegliche Verwicklung seiner Abteilung in den Kennedy-Mord. Gerade Escalante, der so immens schmierlappig wirkt, wie dies nur echte Spitzenkräfte des Geheimdienstunwesens können, bemüht sich nach Kräften, Huismann den Kopf wieder geradezurücken. Er vergleicht Marinos Behauptungen mit der Verschwörungstheorie von der gefälschten Mondlandung und bekennt sich dazu, mit diesem Nonsens zu sympathisieren. Die Lektion, die Escalante seinem Gesprächspartner erteilt, ist ebenso schlicht wie einleuchtend: Glaube niemals einem Spion, hüte dich davor, in solch trüben Quellen zu fischen!

Aber Huismann, verrannt in seine Mission - er sei "sicher, daß es ein Durchbruch in der Forschung ist", prahlt er z. B. am 6. Januar 2005 in der "Taz" -, tut einen weiteren Schlapphut als "Zeugen" auf. Diesmal ist es ein Russe, von dem wir nur die Schuhe zu sehen kriegen und dessen Stimme nachgesprochen wird: Glaubwürdigkeit geht anders. Er legt faksimilierte Schreiben des KGB an den befreundeten kubanischen Dienst vor, in denen Lee Harvey Oswald als potentieller Mitarbeiter empfohlen wird.

Sensationell ist das alles nicht. Eher wundert man sich darüber, daß Huismann der KGB-Spur nicht weiter nachgeht. Denn Oswald besuchte - was nicht neu ist - 1963 in Mexiko-Stadt nicht bloß die kubanische, sondern auch die sowjetische Botschaft. Doch der Regisseur ignoriert ohnedies jede Spur, die ihn von seinem Weg führen könnte. Er präsentiert z. B. voller Stolz 30 von 4.000 Seiten der Akte, die der mexikanische Geheimdienst über Oswald angelegt hat. Darin finden sich Aussagen, die seine These stützen, doch die sind unter Folter erpreßt worden. Huismann erwähnt das ganz beiläufig, ohne eine Sekunde zu stutzen. Es scheint wirklich unmöglich zu sein, im Fall JFK/Oswald bei Verstand zu bleiben, sobald man sich mit ihm "investigativ" befaßt.

Der stärkste Punkt in Huismanns Konspirationstheorie wurde von der deutschen Presse, die sich teils begeistert, teils kopfschüttelnd am Buhei um "Rendezvous mit dem Tod" beteiligte, so gut wie gar nicht registriert. Welches Interesse nämlich könnte Fidel Castro daran gehabt haben, Kennedy aus dem Weg zu räumen? "Das Motiv", meint Huismann, "war Notwehr." Castro hatte mehrere Attentate der CIA und die Invasion in der Schweinebucht überlebt und ließ den Yankees deutliche Warnungen zugehen, daß er bei Fortsetzung dieser Außenpolitik demnächst selbst zu drastischen Maßnahmen greifen werde. Doch es war - worauf Huismanns Film hinweist - nicht John, sondern Justizminister Robert Kennedy, der die Anti-Castro-Aktionen der CIA initiierte. Die Kubaner, auch das erwähnt Huismann, sollen das sehr wohl gewußt haben. Warum sie sich aber den Präsidenten und nicht seinen kleinen Bruder vorknöpften, will Huismann, der Prophet, gar nicht wissen.

Sogar der zentrale Punkt aller Verschwörungstheorien über das Attentat von Dallas wird von ihm ignoriert. Huismann ist felsenfest überzeugt, daß allein Oswald am 22. November 1963 geschossen habe. Die "magische Kugel", die Heerscharen von Exegeten zu ihren Theorien inspiriert hat, existiert in seinem Film gar nicht. Allein im "Taz"-Interview mag er sich dazu äußern, warum er an den "Lonely gunman" glaubt: "(Die) kriminaltechnischen Untersuchungen" zeigten "doch klar ..., daß es möglich und sogar wahrscheinlich ist, daß es nur einen Schützen gab." Aber genau das tun sie nicht - der Welt wären, mit Don DeLillo zu reden, "Megatonnen" aberwitziger Bücher erspart geblieben, gäbe es einen stichfesten Beweis für Oswalds Einzeltäterschaft. Huismann drückt sich nicht nur davor, ihn zu liefern, er zieht es sogar vor, die allseitigen Zweifel am "Lonely gunman" ganz zu verschweigen. Kein Wunder, daß in den USA - wo "Rendezvous mit dem Tod" in die Kinos gebracht werden soll - bislang kaum jemand Notiz von seiner "sensationellen", "brisanten" Recherche nimmt.

Denn am Ende bleibt von Huismanns Film nicht viel übrig außer messianischem Gefuchtel, suspekten "Beweisen", blinden Flecken und dem Ausruf Ophelias in "Hamlet": "O, what a noble mind is here o'erthrown!"

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36