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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 07 2004

Peter Kusenberg

Endsieg der Enkel

Der Zweite Weltkrieg geht weiter: Deutsche Computerspieler schlüpfen in digitale Wehrmachtsuniformen und marschieren gen Moskau

Krieg gehört zum digitalen Spiel wie Musik zum Radio. Georg Seeßlen schrieb in seiner Studie PacMan & Co. (Reinbek 1984): "Die Produktion von eindeutiger Bedeutung durch die einfache, schwere Tat des Schießens: Das ist ... ein semantischer Akt." Das Schießen verbindet das Subjekt vor dem Bildschirm mit dem dargestellten Objekt, es hält den Spieler bei der Stange; ans Töten denkt er dabei nicht. Im ersten kommerziell vertriebenen Computerspiel aus dem Jahre 1971 fliegen zwei Spieler durchs Weltall und versuchen, sich gegenseitig umzubringen. Die Entwickler von "Spacewar" (Magnavox) nutzten den Weltraum als Kulisse für ihre Kriegssimulation, weil die damaligen Kilohertz-Prozessoren und Kilobyte-Speichermodule den schwarzen Raum leicht darstellen konnten: Er war im wesentlichen identisch mit dem schwarzen Bildschirm.

"Spacewar" wurde zum Prototypen eines Genres. "Space invaders" (Taito) von 1978 und "Wing commander" (Origin) von 1990 waren würdige Nachfolger. In den Neunzigern wurden die Kriegsschauplätze farbig, die bewaffneten Konflikte fanden auf fremden Planeten und in exotischen Reichen statt oder die Spieler kämpften mit Bogenschützen und Lanzenträgern im mittelalterlichen Europa. Zu den erfolgreichsten Echtzeitstrategiespielen dieser Zeit gehören "Warcraft" und "Starcraft" (beide Blizzard/Vivendi), "Command and conquer" (Westwood/EA) und "Age of empires" (Microsoft). Die Echtzeitstrategiespiele avancierten ab Mitte des Jahrzehnts zum beliebtesten PC-Game-Genre. Der Spieler wird zum Kriegsherren, der das Geschehen in einem begrenzten Areal bestimmt, indem er Einheiten produziert, ausrüstet und in die Schlacht schickt. Die Art der Einheit hängt vom Spiel ab, in "Warcraft" lenkt er knüppelschwingende Ork-Rabauken, in "Starcraft" sind es Zerg-Würmer und Kampfraumschiffe.

Ebenfalls vom Krieg handelt der Ego-Shooter, hier muß der Spieler töten und das eigene Ableben vermeiden. Shooter wurden zur gleichen Zeit populär wie Echtzeitstrategiespiele. Erfolgreiche Vertreter dieses Genres sind seit den mittleren Neunzigern die indizierten Titel "Doom (1-3)", "Quake (1-3)", "Half-life" und "Unreal". Die Hintergrundgeschichten spielen in fiktiven Welten; Figuren, Landschaften und Handlungen entstammen den Hirnen der amerikanischen Entwickler. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die Kampfschauplätze verändert. Der Spieler stiefelt nicht mehr durch Endzeitwelten oder über exotische Planetenoberflächen; in aktuellen Titeln wie "Far cry" (Ubi Soft), "World War 2" (Koch Media) und "Battlefield 1942" (EA) ist er ein Soldat des 20. Jahrhunderts: Er trägt einen Stahlhelm, spricht über Funk mit seinen Kameraden - und schießt mit einem AK38 auf Schlitzis, Iwans, Froschfresser, Krauts. In "The third reich", einer Modifikation des Science-Fiction-Shooters "Unreal tournament", schlüpfen die Spieler in SS-Uniformen (www.thethirdreich.com). Bei den Echtzeitstrategiespielen führte die Karlsruher Spielefirma CDV im Jahr 2000 eine Offensive durch gegen die Fantasy- und Science-Fiction-Konkurrenz: Von ihrem Spiel "Sudden strike" wurden bislang weit über eine halbe Million Exemplare verkauft, Erweiterungen und ein zweiter Teil knüpften an den Erfolg des Erstschlags an, der mit den Worten beworben wurde: "›Krieg kann man nicht spielen‹, sagt mein Opa."

Kann man doch. Der Zweite Weltkrieg wird, wie jeder andere Krieg, als Spielszenario verwendet. Die Entwickler konzentrieren das Geschehen auf seinen militärischen Kern, was Regelwerk und Ablauf mehr oder minder übersichtlich gestaltet. Wenn der Spieler in "Blitzkrieg" die russische Stadt Charkow erobert, kümmert er sich darum, daß die Infanterie Unterstützung durch Kampfflugzeuge erhält, daß Fallschirmspringer die feindliche Artillerie ausschalten, Panzer die Flanken sichern. Um Flüchtlinge, Gefangene und Zivilisten sorgt er sich nicht, die kommen im Spiel nicht vor. In Wirklichkeit erschossen die Deutschen in Charkow Zivilisten, transportierten eigene, oft schwer verwundete Soldaten in die Heimat, pferchten Kriegsgefangene in Lager, schikanierten und töteten sie. Diese Praxis der Wehrmacht vermied die Verzögerung des Vorstoßes, wie auch bei der Ardennenoffensive Ende 1944.

Kriegsspiele klammern diese Aspekte aus, keines der genannten Weltkriegsspiele erwähnt ein KZ, Massenerschießungen, Bombardements neutraler Städte. Die Hersteller wollen keine Simulation der historischen Wirklichkeit schaffen, sie wollen "spielbare" Formen entwickeln, die Aspekte einer wirklichen oder möglichen Welt zeigen. Bei "Blitzkrieg" etc. geht es nicht um ein Nacherleben von Geschichte, es geht darum, die simulierte Welt zu verstehen, sie zu beherrschen, in einen unterhaltsamen Dialog mit den Objekten dieser Welt zu treten. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob die Objekte - Panzer, Infanteristen, Rollenspielcharaktere - von der Maschine gesteuert werden oder von Menschen, die in ein Computernetz eingebunden sind. Seit "Panzer general" (Strategic Simulations) von 1994 benutzen die Entwickler historische Ereignisse, etwa die Schlacht von Stalingrad, doch sie schaffen aus dem Material - Kesselschlacht, Luftversorgung, Heckenschützen -, eine eigenständige Form in einem neuen Kontext, in dem keine Menschen vorkommen, sondern spielerische Simulationen von Einheiten.

Jeden Monat kommen zwei bis drei Dutzend neuer PC-Spiele auf den Markt. Im Mai 2004 schicken acht den Spieler in den Krieg, zwei von ihnen in den Zweiten Weltkrieg: "Soldiers - Heroes of World War" (Codemasters) und die dritte Erweiterung des Strategie-Hits "Blitzkrieg - Total challenge 3" (CDV). Beide Titel haben Chancen, den Erfolg der Bestseller "Call of duty" (Activision) und "Battlefield Vietnam" (EA) zu wiederholen, das Vietnam-Spiel belegte wochenlang den Spitzenplatz der Charts. Vor Branchenführer Electronic Arts (EA) hatte sich CDV auf Spiele spezialisiert, die den Zweiten Weltkrieg als Kulisse verwenden. Für ihr aktuelles Echtzeitstrategiespiel "Codename Panzers" wirbt sie mit den Worten: "Als Kommandant machen Sie mit taktisch cleveren Schachzügen dem Gegner den Garaus. Erleben Sie den nervenzerfetzenden Thrill der Strategie."

Alle Strategiespiele lassen sich auf diese Weise bewerben. In diesem Fall richtet sich das "Garaus-Machen" allerdings nicht gegen Orks, Cyborgs oder antike Ritterheere, hier ist der Gegner die polnische Armee, die Warschau vor den heranrückenden Wehrmachtssoldaten verteidigt - und die werden vom Spieler kommandiert. Das war der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPJS) zu viel nationalistische Stimmungsmache, sie verbot den Vertrieb der Demoversion in Deutschland mit der Begründung: "Die Gutachter sind hier einheitlich der Meinung, daß ein derartiges Szenario einen Tabubruch darstellt ... und eine Glorifizierung der Rolle Deutschlands im Zweiten Weltkrieg unterstützen könnte."

Für die meisten Weltkriegsspiele wurden keine Indizierungsverfahren eingeleitet, "Warcommander" und die "Combat mission"-Serie (alle CDV) werden an Kinder über zwölf Jahren verkauft, "Blitzkrieg" und "Battlefield 1942" (beide EA) dürfen sich Sechzehnjährige ins CD-Laufwerk schieben. Die BPJS richtete in der Vergangenheit ihr Augenmerk auf die wirklichkeitsnahe Darstellung von Gewalt: Der Shooter "Quake 3" darf nicht an Minderjährige verkauft werden. Begründung: zu blutrünstig. Dabei sind die Schlachtfelder in "Quake 3" Plattformen im Weltall, auf der sich ein bewaffnetes Riesen-Auge und andere Gruselgestalten tummeln. Seitdem sich Weltkriegsspiele zunehmend größerer Beliebtheit erfreuen und Fantasy-Shooter zur Rarität werden, prüft die BPJS verstärkt die Kriegsdarstellung und den Bezug zur Geschichte.

Denn die detaillierte Gestaltung virtueller Schlachtfelder schafft eine besondere Illusion der Nähe. Bei "Space invaders" brauchte der Spieler Phantasie, um gleichförmig bewegte Pixelbröckchen als Aliens zu identifizieren. Im Shooter "Medal of honor" gleichen die Wehrmachtssoldaten den US-Truppen im Film "Der Soldat James Ryan" (1998). Sie bewegen sich wie Menschen, sie stöhnen, wenn sie verwundet werden, unter Beschuß suchen sie Deckung. Die Hersteller liefern Weltkriegsspiele, weil die Käufer das Spielgeschehen gerne mit der Wirklichkeit verbinden. Wenn diese Wirklichkeit in Deutschland auch eine ganz eigene Geschichte hat, so schafft die Produktion von Weltkriegsspielen per se noch keine Militaristen, keine Nazis. Die meisten genannten Titel wurden von Produktionsteams in Ländern der ehemaligen Kriegsgegner Deutschlands oder Teams aus neutralen Ländern programmiert: "Blitzkrieg" und die "Sudden strike"-Spiele von russischen Firmen, "Medal of honor" von einem US-Team aus Oklahoma, "Battlefield 1942" von der schwedischen Firma Digital Illusions, nur das Taktikspiel "Söldner - Secret wars" (Jowood) wurde im Ruhrstädtchen Hattingen programmiert. In jedem Spiel besteht im übrigen die Möglichkeit, die Kriegspartei zu wechseln. Allerdings wird ein genereller Militarismus gefördert: Soldaten werden zu Helden stilisiert. In "Sudden strike 2" heißt es am Ende der Deutschlandmission: "Durch die Vernichtung der russischen Truppen, die Kharkiv verteidigten, ... konnten die Deutschen die Grenze über den Donets verlegen und den russischen Angriff vereitelt. Hierdurch hatten sie die Möglichkeit, Rußland zu besiegen und endlich nach Hause zurückzukehren." Das Einspielfilmchen zeigt, wie ein Wehrmachtssoldat seine Braut in die Arme schließt. Der Einsatz hat sich gelohnt - wie in einem Landserheftchen.

Neben der Heroisierung von Soldaten fetischisieren alle Hersteller Waffen. Detailliert wird jedes einzelne Mordinstrument, jede Einheit beschrieben. Die Modellierung nach tatsächlichen Waffen, Panzern, Uniformen gilt als positives Qualitätsmerkmal. In einem Internetforum schreibt ein Spieler: "Die M10 sind die ersten und richtigen Ami-Panzerknacker gewesen. Ein M36-Slugger leistet da noch mehr, wegen der besseren Panzerung. Zu der Flak: Eine gut plazierte 90-mm-M2 auf einem Plateau kann mindestens so effizient wie eine Pak sein." So sprechen Militärexperten, die nicht darüber nachdenken, daß 90-mm-M2-Geschütze Menschen in Stücke geschossen haben, daß mit Luger-Pistolen und MP40-Gewehren kriegsgefangene Russen, deportierte Juden und Zivilisten umgebracht wurden.

Der Autor Hartmut Gieselmann zeigte in seinem im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de) erstellten Beitrag "Spielplatz Zweiter Weltkrieg", daß die meisten der überwiegend jungen Spieler völlig ahnungslos sind und durch den Waffenfetischismus der Kriegsspiele eine unreflektierte Bewunderung für Ausrüstung und Taten der historischen Soldaten entwickeln. Gieselmann wies einigen Clans (Online-Spielergemeinschaften) Nazi-Gedankengut nach. Daraufhin sperrten Internetdienstleister die im Artikel erwähnten Webseiten, auf denen Hakenkreuzfähnchen wehten und martialische Sprüche prangten. Die Nazi-Affinität münzen die Betreiber in einen legalen Militärfetischismus um, indem sie Reizwörter wie "Jude", "KZ", "vergasen" meiden. In einem "Battlefield 1942"-Forum nennt sich ein Spieler Felix Steiner. Der echte Steiner hatte im Krieg als Obergruppenführer der SS gewirkt, Hunderte Zivilisten und Gefangene waren unter seinem Kommando ermordet worden.

Das Flair des Echten macht nicht erst den Wehrmachtsenkeln Spaß. Schon im 18. Jahrhundert veranstalteten Offiziere sogenannte Planspiele, organisierten sich in Spielvereinen. 1874 gab es an der Berliner Militärakademie sieben solcher Vereine. Heute wird die Kriegssimulation im Spiel gezielt zu Werbezwecken eingesetzt, etwa von der US-Armee: Sie entwickelte "America's Army", um potentielle Rekruten von den Vorzügen des Soldatenlebens zu überzeugen: Rund zweieinhalb Millionen Menschen luden das kostenlose Spiel bislang von der Webseite herunter. Der Effekt: Amerika braucht sich keine Sorgen um militärischen Nachwuchs zu machen. Im Jahr 2003 bat die australische Armee die Firma CDV um eine Lizenzierung des Spiels "Combat mission 3 - Afrika Korps" zu Schulungszwecken. Die US-Firma Kumawar (www.kumawar.com) stellt Szenarien für echte Kriege her, die wenige Wochen zuvor als Beiträge in den TV-Nachrichten liefen, etwa "Uday and Qusay's last stand", wo Spieler die beiden Hussein-Söhne festnehmen und erschießen müssen.

Politiker und Pädagogen fordern meist mit falschen Begründungen, rechtlich gegen Kriegsspielhersteller vorzugehen. Die chinesische Regierung verbot "Hearts of iron" (Koch Media), in dem der Spieler in einem von China unabhängigen Tibet operiert. In Deutschland lassen sich allenfalls Spiele mit Hakenkreuzen und Hitler-Porträts beanstanden. Allerdings könnten die Hersteller ohne großen Aufwand historische Hintergrundinformationen in die Spiele integrieren und so dazu beitragen, daß die Wehrmacht nicht zur heroischen Wohlfahrtsorganisation stilisiert wird. Immerhin liegt es im Interesse der Hersteller, daß ihre Kunden nicht als echte Soldaten an Euphrat, Tigris und Wolga in Stücke geschossen werden.

Peter Kusenberg lebt und arbeitet als freiberuflicher Journalist in Hamburg (www.peterkusenberg.de)

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Literatur Konkret Nr. 36