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36 Jahre Konkret CD

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Heft 01 2011

Florian Sendtner

Ein Störfall

Das Kreuz im Klassenzimmer und der Balken im christlichen Auge: In Regensburg haben die Katholiken die Attacke auf einen Ungläubigen geprobt.

Das Christentum ist Staatsreligion. In allen staatlichen Räumen wie Schulen, Gerichten, Behörden und Theatern hängt daher ein Kreuz an der Wand. Angehörige anderer Religionen und Ungläubige haben dies zu tolerieren." So lautet bekanntlich Artikel 4 des Grundgesetzes. Zumindest in Bayern. Und schon gleich gar in Regensburg, der Papststadt an der Donau, allwo Seine Heiligkeit bis zum heutigen Tag ein "Häusel" besitzt und Inhaber einer Honorarprofessur ist. Für die letzten rechtgläubigen Katholiken an der Donau Grund genug, die alleinseligmachende Kirche stellvertretend für den abwesenden Herrn Papst heldenhaft zu verteidigen.

Leider ist dafür nur selten Gelegenheit - kein Mensch interessiert sich für die seltsamen Gebräuche der Katholiken, niemand will ihnen irgendwas streitig machen. Oder doch? Da verlangt der Vater eines Schülers des städtischen Albertus-Magnus-Gymnasiums, im Klassenzimmer seines Sohnes solle das Kreuz abgehängt werden! Und was passiert? Das Kreuz wird abgehängt! Skandal! Die Regensburger Christen sehen sich einer Verfolgung ausgesetzt, wie man sie seit Nero beziehungsweise Hitler nicht mehr gesehen hat!

Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1995 verstößt ein Kreuz in einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, zwar gegen Artikel 4, Absatz 1 des Grundgesetzes; der lautet nämlich zumindest außerhalb Bayerns: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." Doch die bayerische Reaktion auf das Karlsruher Urteil kam prompt; noch im Dezember 1995 erließ Edmund Stoiber ein Gesetz à la Radio Eriwan: Im Prinzip darf in der Schule kein Kreuz nicht hängen, aus Prinzip hängt aber trotzdem eins drin. Die Ausführungsbestimmungen im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, ein ellenlanger Sermon, verlangen im Fall des Widerspruchs eines Erziehungsberechtigten zunächst eine "gütliche Einigung". Scheitert diese, hat der Schulleiter "für den Einzelfall eine Regelung zu treffen, welche die Glaubensfreiheit des Widersprechenden achtet und die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen aller in der Klasse Betroffenen zu einem gerechten Ausgleich bringt"; es folgt abschließend eine Drohung: "dabei ist auch der Wille der Mehrheit, soweit möglich, zu berücksichtigen." Das Bundesverfassungsgericht hatte eine "gütliche Einigung" ebenfalls diskutiert - und verworfen, da sie logischerweise auf Kosten der nichtchristlichen Minderheit gehe, deren Recht, nicht untergebuttert zu werden, Vorrang habe.

Minderheitenrechte! Das wäre ja noch schöner! Der zuständige Redakteur der Regensburger Lokalzeitung, ein konvertierter Spartakist, brachte es auf den Punkt: "In Deutschland findet man es mittlerweile normal, daß der Schwanz mit dem Hund wedelt." Und der stellvertretende Bürgermeister Gerhard Weber trat nach: "Ich habe kein Verständnis für die Forderung eines einzelnen Elternteils, das Kreuz in einem Klassenzimmer abnehmen zu lassen, wenn dies dem ausdrücklichen Wunsch der Mehrheit der anderen Eltern widerspricht." Weber rechnete schon 1992, damals noch CSU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat, vor, daß man mit dem vielen Geld, das man für Flüchtlinge ausgebe, ein Eisstadion bauen könnte. Seit 1996 ist er als Stellvertreter des OB dazu verdammt, Kreide zu fressen. Aber in so einem Fall geht ihm dann doch der Gaul durch: "Die Frage muß erlaubt sein, ob damit nicht das Gastrecht, das wir Ausländerinnen und Ausländern gerne gewähren, überstrapaziert wird, wenn nämlich jahrhundertealte deutsche Traditionen wie das Kreuz in Schulzimmern angegriffen werden."

Die Sache war die: Der zuständige Lokalredakteur hatte den Unruhestifter in Sachen Schulkreuz zwar nicht namentlich genannt, aber als "promovierten und habilitierten Physiker an der Universität" geoutet, der zudem "aus dem englischsprachigen Ausland eingereist" sei. Das entsprach zwar nur zur Hälfte der Wahrheit, reichte aber aus. Es hätte nicht noch der Aufforderung des Bürgermeisters an die Adresse des Delinquenten bedurft, "sich nicht in der Anonymität zu verstecken, sondern sich in der Öffentlichkeit zu seinem Vorstoß zu bekennen". Das erledigte der Blogmob. Da ergeht auf einer einschlägigen kreuzkatholischen Diskussionsseite der Aufruf: "Ich nehme an, die Leute wissen inzwischen, wie er heißt und wo er wohnt und arbeitet!" Eine halbe Stunde später legt ein anderer nach: "Wer irgendwo Namen und Anschrift des Satanisten-Arschlochs findet - ich wäre interessiert ..."

Satanist? Ach ja, in den Medien ist das Gerücht kolportiert worden, der 12jährige Sohn des Physikers sei in einem Teufelskostüm in der Schule aufgetaucht. Es ist Mitte November, zwei Wochen zuvor war Halloween. Die Naziblogger wissen das natürlich, aber es keift sich gerade so gut: "Das hätte ich mich als Lehrer nicht gefallen lassen." Schon rein sprachlich nicht. - Der nächste Blogwart schnarrt: "Der soll erst mal Deutsch lernen." Und meint den Regensburger Physiker, nicht seinen Vorredner. Kurzum, es dauert genau zweieinhalb Stunden, bis der Fahndungsaufruf mit der Nennung des vollständigen Namens des Schuldigen beantwortet wird, samt E-Mail-Adresse und Telefonnummer.

Was folgt, läßt sich an der geharnischten Reaktion des Rektors der Regensburger Universität ablesen, der "die Hetzjagd" auf ausländische Naturwissenschaftler bedauert. Der Uni-Pressesprecher berichtet, nicht nur Physiker hätten "beleidigende E-Mails und Anrufe" erhalten. Ein Kommunalpolitiker habe einen Forscher, der nicht wußte, wie ihm geschah, per E-Mail aufgefordert, dorthin zu gehen, wo er herkomme, "aber schnell!!!". Die päpstliche Universität fürchtet um ihren Ruf: "Wir hätten gern auch künftig kluge Köpfe aus dem Ausland!"

Damit wird es in nächster Zeit wohl nichts mehr werden. Die Lokalzeitung hat Volkes Meinung in Stellung gebracht. Bei einer Straßenumfrage sei die "Kreuzabnahme im Albertus-Magnus-Gymnasium auf einhellige Ablehnung" gestoßen. Da erklärt ein pausbäckiges Mädchen im Hinblick auf das von dem Störenfried ebenfalls monierte Morgengebet in der Schule: "Der Junge hätte ja nicht mitbeten müssen. An seiner Stelle wäre ich halt vor die Türe gegangen." Das ist ja wohl das Mindeste, was man verlangen kann: daß Ausländer vor die Türe gehen, wenn sie merken, daß sie stören. Wenn sie schon nicht gleich ganz verschwinden.

Man kann das Wüten dieses nach zwei Wochen wieder abgeblasenen Kreuzzugs nur als gescheiterten Backlash verstehen: Man schreibt den November 2010 - von Februar bis Juli stand die katholische Kirche in Deutschland, speziell in Bayern und Regensburg, mit dem Rücken zur Wand; die endlosen Enthüllungen über klerikale sexuelle Gewalt wurden auch von den Gläubigen kaum je in Zweifel gezogen. Da war es höchste Zeit, mal wieder für die Kirche in die Bresche zu springen. Nur leider wird ein paar Tage nach dem Abbruch der Regensburger Kreuzkampagne der Untersuchungsbericht der Erzdiözese München und Freising vorgestellt. Eine Rechtsanwältin hat im Auftrag von Kardinal Marx die Personalakten von 1945 bis 2009 nach Sexualstraftätern durchforstet und dabei allein anhand der systematischen Lücken das Gruseln gelernt. Sie spricht von "Aktenvernichtungen in erheblichem Umfang", und die "Süddeutsche Zeitung" schreibt: "Egal, ob die Münchner Kardinäle Döpfner, Ratzinger oder Wetter hießen - die Opfer sexueller Gewalt fanden in dieser Zeit kein Gehör, die Täter dagegen Schutz bis an den Rand der Strafvereitelung."

Die allermeisten dieser priesterlichen Untaten sind erfolgreich vertuscht worden und werden für immer im Dunkel bleiben. Das einzige, was man sicher weiß: Sie wurden allesamt in Räumen begangen, in denen ein Kreuz hängt.

Florian Sendtner schrieb in KONKRET 9/10 über die Verschleppung Heinrich Heines nach Walhalla

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36