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36 Jahre Konkret CD

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Heft 02 2011

Albrecht Müller

"Ein Mordsfilz"

Am 12. Januar lief in der ARD die "Panorama"-Dokumentation "Der Drückerkönig und die Politik. Die schillernde Karriere des Carsten Maschmeyer". Maschmeyer, Gründer des Finanzdienstleisters AWD, hatte vergeblich versucht, die Ausstrahlung mit juristischen Mitteln zu verhindern. KONKRET sprach mit Albrecht Müller, Mitbegründer der Internetplattform "Nachdenkseiten", die einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, die Dokumentation daraufhin erst recht populär zu machen.

konkret: In der Sendung wird unter anderem geschildert, wie Maschmeyer Gerhard Schröder zur Kanzlerschaft verhalf und wie es dann wiederum unter Schröder zur Einführung der Riester-Rente kam, die auch von AWD vertrieben wird. Können Sie den Vorgang kurz zusammenfassen?

Müller: Im Dezember 1997 entschied die SPD, die Frage des Kanzlerkandidaten - Lafontaine oder Schröder - bis zum Parteitag im April 1998 offenzulassen. In einer großen Anzeigenkampagne wurde dann aber für die einen Monat davor stattfindende Landtagswahl in Niedersachsen mit der Parole mobilgemacht: "Ein Niedersachse muß Bundeskanzler werden." Die Niedersachsen wurden also aufgerufen, darüber abzustimmen, wer Bundeskanzler werden soll. Und Schröder erhielt in Hannover eine absolute Mehrheit. Damit war die Kanzlerkandidatur der SPD praktisch entschieden. Und das hat im wesentlichen Maschmeyer mit diesen riesigen ganzseitigen Anzeigen erledigt.

konkret: Die er aus eigener Tasche bezahlt hat?

Müller: Wahrscheinlich hat er das aus der eigenen Tasche bezahlt. Wie es dann weiterlief, ob es eine Absprache über die Rentenreform gab, weiß ich nicht. Auf jeden Fall kam die Riester-Rente zum 1. Januar 2002 - für eine Totalumstellung des Rentensystems ein beachtlich schneller Vorgang. Maschmeyer hat der Versicherungswirtschaft und den Banken - natürlich auch seiner eigenen Firma - einen großen Dienst erwiesen, indem er half, Schröder zum Bundeskanzler zu machen. Es gibt von Maschmeyer da ein passendes Zitat zum Ergebnis seiner Lobbyarbeit: "Es ist, als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen. Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß, und sie wird sprudeln."

konkret: Maschmeyer, Riester & Co. sind sicher nicht das einzige Beispiel für die Verflechtung von Wirtschaft und Politik.

Müller: Die Konkurrenten innerhalb der Branche konnten sich angesichts der "Panorama"-Sendung natürlich die Hände reiben, ohne daß sie ein moralisches Recht dazu hätten. Sie profitieren ja alle gleichermaßen. Und es gibt diese Korruption auch in anderen Bereichen: Wenn man sich den Bankenrettungsschirm ansieht oder die Art und Weise, wie die ostdeutschen Banken an die westdeutschen verscherbelt wurden, dann muß man annehmen, daß es einen Mordsfilz zwischen Politik und Finanzindustrie gibt. Oder nehmen Sie die Pläne zur Privatisierung der Deutschen Bahn, auch dafür gab es sachlich keinerlei Gründe.

konkret: Ein weiterer Name, der in der Sendung fiel, ist der des gelernten Ökonomen Bert Rürup, ehemals sogenannter Wirtschaftsweiser, inzwischen Mitbegründer der Maschmeyer-Rürup-AG, die der jetzigen Regierung mit der Pflegezeitversicherung auch schon ein für die eigene Branche profitables Gesetz geliefert hat. Gibt es überhaupt so etwas wie eine unabhängige Wirtschaftswissenschaft?

Müller: Eine sachlich richtig tickende, unabhängige Wirtschaftswissenschaft haben wir bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr. Die Wirtschaftswissenschaft ist in den letzten 20, 30 Jahren durch entsprechende Lehrstuhlbesetzungen und Institutsbesetzungen neoliberal gleichgeschaltet worden. Besonders deutlich sieht man das beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, das früher ein renommiertes, aufklärendes Institut war. Jetzt sitzt da der Präsident Klaus Zimmermann, der gleichzeitig Direktor des Instituts für die Zukunft der Arbeit (IZA) ist, eines arbeitgebernahen, von der Deutschen Post ausgehaltenen Instituts in Bonn. Das ist durchaus keine Korruption im eigentlichen Sinn. Aber auch dort gilt, daß es enge Verflechtungen mit Interessensverbänden gibt, etwa mit der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft".

konkret: Die Meldung über Maschmeyers Versuch, die Sendung zu verhindern, hat sich rasch verbreitet, nicht zuletzt durch Verweise privater Internetnutzer auf die "Nachdenkseiten". Letztlich führte das zu einer weit höheren Einschaltquote, als Herrn Maschmeyer lieb gewesen sein dürfte.

Müller: Auch die "Süddeutsche Zeitung" hat einen Beitrag dazu geliefert, und sicher noch etliche andere Medien. Aber wenn wir in den "Nachdenkseiten" nicht ordentlich zugelangt hätten, wäre die Einschaltquote vermutlich nicht ganz so hoch gewesen. Die "Nachdenkseiten" haben inzwischen eine hohe Verbreitung bei vielen Multiplikatoren. Ein solches Onlinemedium kann offensichtlich eine ganze Menge bewirken.

konkret: Sie selbst waren lange in der Politik tätig, unter anderem in den Achtzigern im Wahlkampfteam von Gerhard Schröder und später als Bundestagsabgeordneter. Sie hätten also eine ähnliche Karriere machen können wie andere, die sich inzwischen lukrative Jobs in der Wirtschaft gesichert haben. Was hat Sie dazu bewogen, die Seiten zu wechseln und nun die auf Spenden angewiesenen "Nachdenkseiten" zu betreiben?

Müller: Ich will jetzt nicht die alten Zeiten schönreden, aber ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als Bundeskanzler wie etwa Kiesinger oder Brandt Entscheidungen nicht im Blick darauf getroffen haben, wie das Ergebnis später privat verwertet werden könnte. Ich war ja Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt, und ein Fall wie etwa Rürup ist mir damals nicht untergekommen. Daß da ein Wissenschaftler eine Kommission geleitet hätte, in der er und noch weitere Wissenschaftler die Kommissionsergebnisse so hintrimmen würden, daß am Ende auch ihre privaten Interessen als Berater bei der Privatisierung von Altersvorsorge und Krankenversicherung befriedigt werden - also, das hat es nicht gegeben.

konkret: Was es aber gab, war zum Beispiel die Flick-Affäre.

Müller: Da haben Sie recht, da muß ich differenzieren. Es gab schon 1970 erstmals eine ökonomisch motivierte politische Entscheidung, nämlich die Öffnung der Krankenversicherung für private Krankenkassen; das hat damals Graf Lambsdorff in der ersten sozialliberalen Koalition bewirkt. Aber eine so dreiste Verfilzung, wie wir das heute erleben, gab es zu Zeiten von Brandt und, ich sage das ausdrücklich, auch Kiesinger nach meinem Wissen nicht.

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Literatur Konkret Nr. 36