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36 Jahre Konkret CD

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Heft 09 2005

Erich Später

Ein Ehrenmann

Die beispielhaft endlose Karriere des sudetendeutschen Nazis Siegfried Zoglmann.

Unter dem Titel "Das deutsch-tschechische Verhältnis verbessern - mit den Sudetendeutschen den Dialog mit den Nachbarn suchen" verabschiedete der Sudetendeutsche Rat am 13. Juli seine Erklärung zur Bundestagswahl, der sich auch der Vorstand der Landsmannschaft am 19. Juli anschloß. Der Text verlangt nach direkten Verhandlungen zwischen der Regierung der CSR und den Vertretern der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Die nächste Bundesregierung soll in diesen "Verhandlungen" nur den Vermittler machen.

Es geht im die Revision des deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrages von 1992 und die Aufbebung der "Benes-Dekrete". Die "Sudetendeutsche Landsmannschaft" lehnt bis heute jeden völkerrechtlichen Vertrag der Bundesrepublik mit der CSSR und ihres Rechtsnachfolgers Tschechien ab. In ihrer Satzung wird das 1938 der CSR von Hitler-Deutschland aufgezwungene ""Münchener Abkommen", das zur territorialen Zerstückelung des Landes und der Errichtung der deutschen Besatzungsherrschaft führte, als völkerrechtlich gültig bezeichnet und seine Wiederinkraftsetzung verlangt. Paragraph 3 Absatz c fordert, "den Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen".

Neben dem Auftreten als " entrechtete Minderheit", die von den Tschechen endlich Annerkennung, Entschädigung und Mitsprache verlangt wird der "Opferstatus" der Sudetendeutschen eingeklagt. Verlangt wird größere finanzielle Förderung der Vertriebenenverbände und ihrer "Kulturarbeit". Das in Berlin geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" soll durch ein von der Bundesrepublik gebautes "Sudetendeutsches Museum" in München ergänzt werden.

Einen "Neuanfang" in den deutsch-tschechischen Beziehungen könne es nur geben, wenn die Tschechen ihre Schuld an der angeblichen Ermordung Hunderttausender Sudetendeutscher eingestünden.

Auch das ehrende Gedenken für den Präsidenten der tschechoslowakischen Exilregierung, Edvard Benes, der das Land in den Jahren 1939 bis 1945 auf Seiten der Anti-Hitler Koalition in den Krieg gegen Deutschland führte, ist für die Volkstumskämpfer unerträglich: "Der Sudetendeutsche Rat vertritt die Auffassung, daß die Errichtung von Denkmälern und eines Gedenkmuseums für den früheren tschechoslowakischen Staatspräsidenten und Initiator der Vertreibung angesichts von 3,5 Millionen vertriebenen Sudetendeutschen und des Verlustes von über 241.000 sudetendeutschen Opfern mit dem im Nachbarschaftsvertrag enthaltenen Ziel der Förderung der guten Nachbarschaft nicht vereinbar ist".

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft als größte und einflußreichste Sammlungsbewegung der überlebenden Nazi-Funktions- und Vernichtungselite des Reichsgaus Sudetenland schuf mit dem von ihr gegründeten "Sudetendeutschen Rat" 1955 ein Gremium, das ihrer politischen Agitation und Propaganda den Anschein von Überparteilichkeit und demokratischer Legitimität verleihen sollte. Bis heute hat der Rat die Aufgabe, die Politik der Landsmannschaft mit den Auffassungen der im Bundestag vertretenen Parteien zu koordinieren. Er besteht aus dreißig Mitgliedern. Jeweils zehn entsenden die Sudetendeutsche Landsmannschaft und die im Bundestag vertretenen Parteien. Die restlichen zehn Mitglieder sind Fachleute, die der "sudetendeutschen Sache" besonders verbunden sind.

Das Vorschlagsrecht für diese zehn Personen teilen sich die Parteien und die Landsmannschaft. Das komplizierte Verfahren war der damaligen politischen Situation geschuldet, wo neben SPD, CDU/CSU und FDP auch die Vertriebenenpartei Gesamtdeutscher Block/ Bund der Heimatvertriebnen und Entrechteten im Bundestag vertreten war. Der GB/BHE wurde von den Nazi-Kadern der Sudetendeutschen Landsmannschaft gesteuert und war neben seinem Einsatz für die "Heimatvertriebenen" eine der erfolgreichsten Lobbyorganisationen überlebender Nazi-Kriegsverbrecher und Schreibtischtäter.

Walter Becher, der seine politische Karriere in Konrad Henleins " Sudetendeutscher Partei" begonnen hatte und als Verfasser einer Unzahl antisemitischer Hetzartikel im Organ der NSDAP Sudetenland "Die Zeit" seinen Beitrag zur propagandistischen Vorbereitung der Ermordung von Millionen Menschen geleistet hatte, wurde zum ersten Generalsekretär des Rates gewählt. In seinen Lebenserinnerungen beschreibt er den Rat als " eine Institution, welche gleicherweise über die demokratische Legitimation durch den Bundestag und durch die Bundesversammlung der SL verfügte... (Damit) konnte er der staats- und völkerrechtlichen Sonderstellung der Sudetendeutschen besser noch als bisher gerecht werden."

Als Siegfried Zoglmann 1959 zum ersten Mal für die FDP in den Sudetendeutschen Rat gewählt wurde, wird er sich unter seinen vielen Parteigenossen und SS- Kameraden nicht unwohl gefühlt haben. Wie die "Landsmannschaft" wurde der " Sudetendeutsche Rat" zu dieser Zeit von ehemaligen hochrangigen Nazis des Reichsgaus dominiert und politisch kontrolliert. Nach dem biologischen Ableben der meisten seiner Kampfgenossen ist Zoglmann heute einer der letzten lebenden engen Mitarbeiter von Konrad Henlein, Karl- Hermann Franck und Reinhard Heydrich und eine gefeierte Symbolfigur der "Sudetendeutschen Landsmannschaft".

Auf dem jährlichen "Sudetendeutschen Tag" wird Zoglmann auch heute noch begeistert gefeiert. 2002 wurde er in Nürnberg von Edmund Stoiber auf das wärmste begrüßt und in den verdienten Rang eines "Elder Statesman" der Landsmannschaft erhoben. Im gleichen Jahr wurde er erneut für vier Jahre in den "Sudetendeutschen Rat" delegiert. Der bayerische Landesverband, dessen Vorsitz er zehn Jahre innehatte, wählte ihn zu seinem Ehrenvorsitzenden. Tschechische Proteste gegen die vielfältigen Ehrungen des Nazi-Verbrechers fanden in der Bundesrepublik bis heute kaum Beachtung.

Zoglmanns Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung sind rekordverdächtig. Insgesamt hatte er das Staatsgebiet der CSR dreimal verlassen. Zweimal mußte er fliehen, das dritte Mal war Gewalt nötig, um ihn loszuwerden. Bereits im Alter von fünfzehn Jahren war Zoglmann 1928 Mitglied der sudetendeutschen Nazipartei (DNSDAP) geworden. Er stieg schnell in führende Ränge ihrer Jugendorganisation auf. Wegen der Teilnahme an einer SA-Übung in Deutschland wurde er nach seiner Rückkehr von der republikanischen Justiz zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt. Nach dem Verbot der DNSDAP im Oktober 1933 wurde er wegen Landesverrat erneut per Haftbefehl gesucht. Er entzog sich dieser Drohung Anfang 1934 durch seine Flucht nach Deutschland.

Zoglmann wurde als Mitarbeiter der Reichsjugendführung zum Leiter der Auslandspressestelle der HJ ernannt und arbeitete als Propagandist für verschiedene Nazi-Presseorgane.

Nach der Besetzung Prags durch deutsche Truppen am 15. März 1939 und der Bildung des "Protektorats" wird Zoglmann zum Hauptbannführer und Chef der Befehlsstelle Böhmen und Mähren der Hitlerjugend ernannt. In dieser Eigenschaft gehörte er zum engeren Führungskader des deutschen Besatzungs- und Terrorapparates in Prag. In einer Vielzahl von Artikeln, im Rundfunk übertragenen Reden und Propagandabroschüren feierte Zoglmann das nationalsozialistische Deutschland und seinen Führer Adolf Hitler. So heißt es in seinem Beitrag für das 1938 erschienene Buch "Sudetenland marschiert":

"Allen Unterdrückungen der tschechischen Machthaber zum Trotz erhob sich die Jugend des Sudetendeutschtums unter den Fahnen und Losungen der nationalsozialistischen Bewegung. Ein Kampf um Sein oder Nichtsein der dreieinhalb Millionen zählenden Volksgruppe begann. Seitens der hartbedrängten Sudetendeutschen stand er unter der nationalsozialistischen Parole 'Für Schule, Scholle, Arbeitsplatz'."

Im 1939 beginnenden Machtkampf zwischen den verschiedenen Nazi-Cliquen des Protektorats und des Sudetengaus, der erst im Jahre 1950 mit der Gründung des " Witiko-Bundes" in der Bundesrepublik beigelegt wurde, stellte er sich gegen Gauleiter Henlein und sollte im Auftrag der Reichsjugendführung Chef der HJ des Sudetengaus werden. Am 9. Januar 1940 kam es in der Gauleitung in Reichenberg zur Konfrontation. Der Historiker Ralf Gebel hat diesen Tag aus verschiedenen Quellen rekonstruiert:

"Zoglmann sei von Henlein, der wohl wieder eine Intrige von SD und SS ahnte, unerhört angeschnauzt und gefragt worden, wie er dazu käme, sich in sudetendeutsche Angelegenheiten einzumischen. Henlein forderte den ihm von der Reichsjugendführung zugeteilten HJ Mann auf, binnen 48 Stunden den Sudetengau zu verlassen, widrigenfalls er in Schutzhaft genommen würde. Nach Aussage des Polizeipräsidenten von Reichenberg habe Henlein Zoglmann sogar in ein Auto verfrachten und über die Gaugrenze auf 'altreichsdeutsches Gebiet' verfrachten lassen."

Unmittelbar nach diesen Vorfällen bittet Zoglmann Heinrich Himmler in einer Unterredung um Aufnahme in die SS.

Alle höheren Partei- und Verwaltungsstellen im Reichsgau Sudetenland und im Protektorat beteiligten sich über die gesamte Dauer der deutschen Herrschaft an einer lebhaften und intensiv geführten Debatte über die "Lösung der Tschechenfrage". Eine Flut von Denkschriften, Planspielen und wissenschaftlichen Arbeiten wurden verfaßt - zu der Frage, wie viele Tschechen ein Lebensrecht haben sollten und wie die Kriterien der Ausmerzung zu definieren seien. Die Debatten über die Lösungsstrategien der Tschechenfrage innerhalb des deutschen Machtapparates waren der Bevölkerung in Umrissen bekannt. Die Entrechtung, Ausplünderung und Deportation von 90.000 jüdischen Bürgern des Protektorats erschien den nichtjüdischen Tschechen zudem als Vorwegnahme des ihnen nach einem deutschen Sieg zugedachten Schicksals.

Zoglmann hatte seine Vorschläge in mehreren schriftlichen Ausarbeitungen zur Diskussion gestellt. Die Beteiligung des SS-Oberstumbannführers Böhme an der Arbeitsgruppe belegt die Wichtigkeit des geplanten Vorhabens der "rassischen Überprüfung" zehntausender tschechischer Jugendlicher. Böhme war einer der Organisatoren der Endlösung im Protektorat und der Auslöschung der Ortschaft Lidice.

Die rassisch zu Überprüfenden wurden in der Regel einer Röntgenuntersuchung unterzogen. Für jede Person wurde eine "Rassekarte" ausgefüllt. Diese enthielt 21 Merkmale - Größe, Kopfform Augenfarbe, Haarfarbe etc. Es gab vier Rassegruppen, wovon nur zwei als erwünscht galten. Die Historikerin Isabel Heinemann schätzt, daß allein im Protektorat 100.000 Menschen diesem Verfahren ausgesetzt waren. 30 Rasseprüfer der SS waren damit beschäftigt, das gesammelte Material auszuwerten und die Menschen zu kategorisieren. Der Chef-Planer der SS, Konrad Meyer, wollte die tschechische Bevölkerung des Protektorats, rund 7,5 Millionen Menschen, halbieren. Nur die Hälfte sei eindeutschungsfähig. Was mit den rund 3,5 Millionen "überflüssigen" Tschechen geschehen sollte überließ Meyer den Praktikern.

Im Januar 1943 erfüllte sich Zoglmanns Wunsch, in den Reihen der SS für Deutschland zu kämpfen. Als Unterstürmführer der "Leibstandarte Adolf Hitler" kämpfte er in der Sowjetunion, Frankreich und Ungarn.

Zoglmann versuchte nach eigenen Angaben den Zweiten Weltkrieg 1943 zu beenden: "Seit der gescheiterten Offensive 'Zitadelle' Anfang Juli 1943 an der Ostfront, der eigentlichen Wende des Krieges, war mir klar, daß der Krieg militärisch nicht mehr zu gewinnen war. Mein Entschluß stand fest; mit drei befreundeten Kommandeuren, alle Ritterkreuzträger und wiederholt verwundet, zum Reichsjugendführer Artur Axmann, der selbst bereits verwundet war, nach Berlin zu fahren und ihm den Vorschlag zu machen, die Kommandeure zum Führer zu bringen und ihm die tatsächliche Situation vorzustellen. Ich selbst war Oberleutnant( = Obersturmführer. E. S.), und wir meinten, es würde einen größeren Eindruck machen, wenn junge, frontbewährte Offiziere die Lage schilderten, statt durch alte Generale Bedenken vortragen zu lassen. Der Reichsjugendführer hörte uns sehr aufmerksam zu. Er zeigte für uns Verständnis, sagte sogar "Ihr habt recht", sah sich aber nicht in der Lage, einen Termin mit dieser Zielsetzung zu erwirken... Ich müßte den Termin über Bormann anmelden und ihm sagen, worum es geht... und dann käme ich aus der Reichskanzlei nicht mehr heraus."

Nach eigener Darstellung brachte Zoglmann im Mai 1945 seine Eltern aus dem Sudetengau nach Bayern und begab sich in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Da er im Besitz von Bescheinungen war, die ihn zur unentbehrlichen Arbeitskraft erklärten, wurde er angeblich nach dreistündiger Kriegsgefangenschaft von den Amerikanern entlassen. Vermutlich hat er die erste Zeit der amerikanischen Besatzung im Untergrund verbracht. In Prag drohte ihm die Todesstrafe oder langjährige Haft.

Seine Nachkriegskarriere führte Zoglmann in die Führungsspitze der "Sudetendeutschen Landsmannschaft" und für die FDP 1957 in den Bundestag. Er wurde parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion und bis zu seinem Austritt 1970 aus Protest gegen die "neue Ostpolitik" deren stellvertretender Fraktionsvorsitzender.

Der SS gegenüber fühlte er sich auch als Bundestagsabgeordneter weiterhin verpflichtet: "Ehemaligen Führern und Unterführern der SS- Verfügungstruppen, welche vor dem 8. Mai berufsmäßig Dienst gemacht haben, kann Versorgung auf Antrag gewährt werden", heißt es in einem Antrag, den er und andere 1957 im Bundestag einbrachten.

Mit der Unterstützung aller Parteien verabschiedete das Parlament Ende Juni 1961 während des Bundestagswahlkampfes die 3. Novelle zum Gesetz nach Artikel 131 Grundgesetz, auf dessen Grundlage ehemaligen freiwilligen Waffen-SS- Angehörigen und ihren Hinterbliebenen an Stelle von Versorgungsrenten Unterhaltsbeiträge ausgezahlt werden konnten.

Zoglmann war und ist auf diese Zahlungen sicher nicht angewiesen. Auch finanziell war sein Berufsleben als Verleger und Inhaber einer Werbe- und Wirtschaftsberatungsfirma eine einzige Erfolgsgeschichte. Zum "Goldenen Ehrenzeichen der HJ" und dem Eisernen Kreuz 1. Klasse wurde ihm der Bayerische Verdienstorden und 1973 auch das große Bundesverdienstkreuz verliehen.

Nur die Tschechen wollen keine Frieden mit ihm schließen. Der 1933 ausgestellte Haftbefehl wurde nie außer Kraft gesetzt.

Literatur:

Isabel Heinemann: "Rasse, Siedlung, deutsches Blut.

Das Rasse- und Siedlungshaupt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas", Göttingen 2003.

Ralf Gebel: "Heim ins Reich!" Konrad Henlein und der Reichsgau Sudetenland 1938-45, München 2000

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Literatur Konkret Nr. 36