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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 07 2007

Günter Amendt

Dylan was here

A never ending story: Eindrücke rund um Bob Dylans jüngste Europatournee

Dylan war in Europa. Er ist mit seiner Band in 25 Städten aufgetreten und hat einen ausgesprochen guten Eindruck hinterlassen. Die Presse preist ihn, die Fans loben ihn, das Publikum verläßt die Konzerthallen nach vollen zwei Stunden spürbar erregt und sichtlich zufrieden. Das war so in Hamburg, das war so in Turin, in Mailand und in Zürich. Der Künstler, schlank und rank wie einst im Mai '66, ist stimmlich gut drauf und die Band musikalisch gut beieinander.

Dylans Set umfaßt 17 Songs. Abend für Abend. Er eröffnet ihn mit vier oder fünf Stücken an der E-Gitarre. Vor fünf Jahren hatte er das zuletzt öffentlich getan. Nach diesem Vorspiel wechselt er zum Keyboard, das er wie eine Zirkusorgel spielt. Immer feste druff auf die blue notes. Heraus kommt ein frischer, satter Klang.

Dylans "spielerische Gelassenheit", schreibt ein Kritiker, sei das besondere Merkmal dieser Tour. Das stimmt. Die Konzerte, die ich live erlebt habe, und die Mitschnitte vom Rest der Tour, die ich gehört habe, stehen für ein durchweg hohes Niveau. Keine Ausfälle. Aber eine Menge Highlights.

Wenn ich das Konzert in Mailand zu einem meiner Favoriten erkläre, dann hat das mit Denny Freeman an der Lead guitar zu tun. Denn die leichten Qualitätsschwankungen zwischen den verschiedenen Shows hängen - neben der Songauswahl - eng mit Freemans Tages- beziehungsweise Abendform zusammen. Oft hat man das Gefühl, Freeman suche nach seinen Soli, so als wisse er nicht genau, wie weit er gehen darf. In Mailand hatte er alle Scheu abgeworfen. Er ging sehr weit. Tony Garnier am Baß hält den Laden mit seinem ständig wechselnden Personal noch immer zusammen. Und George Recile an den Drums treibt die Band mit Peitschenhieben voran. Der Mann ist großartig. Raffiniert ist auch die Setdramaturgie, die Dylan über die ganze Tour hinweg beibehält. Songs, die er einwechselt, bringt und singt er "in the mood" ihrer Vorgänger. Der ständige Rhythmus- und Stimmungswechsel schafft ein Erregungsniveau, das sich schon nach wenigen Stücken auf das Publikum überträgt. In Mailand fiel ein Mann, so um die Vierzig, bei "Like a Rollin' Stone" in Ohnmacht. Nachdem wir ihn rausgeschafft hatten, schoß mir durch den Kopf: Das wäre ein Abgang.

Die Veränderung der Publikumsstruktur im Verlaufe von mehr als drei Jahrzehnten hat mich immer interessiert, oft aber auch schwer genervt. Daß das Preisgefüge die Publikumszusammensetzung bestimmt, ist eine Banalität, die jedoch leicht in Vergessenheit gerät. Der italienische Promoter ist mit einem Half-price-Konzept angetreten. Ostblockniveau. Eintrittspreise wie in Prag oder Budapest. Ob er auf seine Kosten gekommen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Hallen in Turin und Mailand waren gut besucht, ausverkauft waren sie nicht. Auffallend aber war die vom Preisniveau geprägte Altersstruktur. Anders als in Hamburg oder Zürich dominierten in Turin und Mailand eindeutig die Jungen. Und die haben nun mal ihre Gewohnheiten. Die quatschen rein und klatschen mit. Bei "Nettie Moore"! Nicht zu fassen.

Das Bedürfnis, sich bemerkbar zu machen, war beim italienischen Publikum immer schon stark ausgeprägt. Hochhalte-Elemente, die Zustimmung und Begeisterung signalisieren sollen, kamen auch diesmal zum Einsatz. Einst waren es Kerzen. Die wurden von Gasfeuerzeugen abgelöst - eine Pest, die vergangen und ausgerottet ist. Jetzt schweben die Displays von Handys über den Köpfen des Publikums. Das ist, wenn man in den vorderen Reihen steht, ein Streßfaktor erster Güte. Ständig tauchen Saalschützer auf, die mit Taschenlampen im Publikum herumstochern, um die Fotografen an ihrem Tun zu hindern. Doch weder in Mailand noch in Turin gelang es ihnen, das Konzert zu vermasseln, denn die Energie, die von der Bühne kommt, fegt den aufkommenden Frust einfach weg.

Erneut hat sich Dylans Fangemeinde verjüngt und verweiblicht. Das Interesse dieser neuen Generation an der Zeit, von der Dylan geprägt wurde, ist groß. In vielen Gesprächen konnte ich mich davon überzeugen. Heinrich Deterings soeben bei Reclam unter dem schlichten Titel "Bob Dylan" erschienener Essay dürfte wie keine andere aktuelle Veröffentlichung geeignet sein, Neueinsteigern bei der Erarbeitung von Dylans Geschichte behilflich zu sein. Detering ist Literaturwissenschaftler und ein ausgewiesener Dylan-Kenner, der ohne den üblichen Jargon des Wissenschaftlers Dylans Lebensgeschichte als Werkgeschichte erzählt - von "A Song for Woody" bis zu den "Chronicles" und "Modern Times". Kenner von Dylans Künstlerbiographie, zu denen ich nicht wirklich gehöre, haben einige Unregelmäßigkeiten ausgemacht. Einer bezweifelt, daß Dylan jemals mit Steve Winwood im Studio gewesen ist, und ein anderer hat einen, wie er selbst sagt, nicht gravierenden Fehler in der Chronologie der Ereignisse entdeckt. Detering ist zurückhaltend bei Einordnung und Interpretation dieser Ereignisse. Es ist ihm hervorragend gelungen, Dylans Schaffensphasen ihrer Bedeutung entsprechend zu gewichten. Mir jedenfalls wurden beim Lesen all jene wieder bewußt, die ich ausgeblendet hatte. Und so ist Deterings Arbeit nicht nur eine kompetente Einführung für Anfänger, sie ist auch eine Übung für Fortgeschrittene, die ihr Wissen auffrischen wollen. Das alles für knapp fünf Euro.

Im gebührenden Abstand zu Martin Scorseses Film "No Direction Home" (siehe KONKRET 11/06) ist nun auch D. A. Pennebakers "Don't Look Back" in "ton- und bildtechnisch restaurierter DVD-Fassung" auf den Markt gekommen. Die "Deluxe Edition" enthält eine Bonus-DVD mit unveröffentlichten Outtakes der 65er Tour in England. Pennebaker zeigt nicht nur Konzertausschnitte, sondern auch Szenen, die Dylan in einem anderen, freundlicheren Licht erscheinen lassen als in der Filmfassung, wo er sich zeitweise als ein echter Kotzbrocken erwies. Ich spreche von seinem Umgang mit den Fans und mit Donovan, ich spreche nicht von seinem rüden Umgang mit aufdringlichen Journalisten, der mehr als angemessen war.

Das Bemerkenswerte an dieser Edition ist ihre luxuriöse Ausstattung. Im Wettlauf mit den Raubkopierern scheint die Industrie mehr und mehr dazu überzugehen, das Kaufinteresse auf die Ausstattung ihrer Produkte zu lenken. Die Kopiersperre der Bonus-DVD von "Don't Look Back" zu knacken, dürfte ein leichtes sein - unterstellt, es ist überhaupt eine vorhanden. Aber was hat man dann? Zwei handbeschriftete Scheiben mehr, die zwischen all den anderen handbeschrifteten Scheiben rumfliegen. Wer es sich leisten kann, wird der warenästhetischen Verführungskraft der Luxusedition erliegen und den Schuber anschaffen. Darauf jedenfalls spekuliert Columbia Records. Den beiden DVDs beigelegt ist das in China mit zu viel Schwärze gedruckte Buch zum Film sowie ein Daumenkino. Hübsche Idee, "Subterranean Homesick Blues" als flipbook zu veröffentlichen, aber, wie schon das Scrapbook, irgendwie auch ein bißchen too much.

Eine Australien-Tour und eine Herbst-Tour in den USA sind im Gespräch, aber unconfirmed.

Heinrich Detering: Bob Dylan. Reclam, Stuttgart 2007, 184 Seiten, 4,80 Euro

"Bob Dylan - Don't Look Back". Deluxe Edition, Doppel-DVD, Columbia Records/Sony-BMG

Günter Amendt schrieb in KONKRET 3/07 über Drogen und Terror

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36