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36 Jahre Konkret CD

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Heft 05 2011

Walter Venedey

Dünne Geschichten, dicke Backen

Wegen des Verdachts der Beteiligung an der Ermordung des Bundesanwalts Siegfried Buback im April 1977 wird seit dem 30. September letzten Jahres in Stuttgart-Stammheim ein Prozeß gegen das ehemalige RAF-Mitglied Verena Becker geführt. Über den Charakter des Verfahrens, die Rolle des Nebenklägers Michael Buback und einige Eskapaden des Vorsitzenden Richters sprach KONKRET mit dem Berliner Rechtsanwalt Walter Venedey, der Verena Becker im Prozeß vertritt.

KONKRET: Aus welchen Gründen wird der Prozeß gegen Verena Becker überhaupt geführt?

Venedey: Es gibt eine Metaebene und eine primäre Ebene. Ohne Zweifel gibt es neue Beweismittel, das kann man nicht bestreiten. Über die Metaebene kann man spekulieren, aber das will ich besser nicht tun.

Wie ist die Anklage zustandegekommen? Worauf stützt sie sich?

Die Anklage stützt sich auf eine Reihe objektiver Fakten. Das ist erstens der Fund der angeblichen Tatwaffe des Buback-Anschlags bei der Festnahme von Frau Becker und Herrn Sonnenberg 1977. Angeblich deswegen, weil es bisher keine gerichtliche Feststellung dazu gibt, jedenfalls nicht in unserem Verfahren. Einem Gutachten zufolge sollen zweitens DNA-Spuren von Frau Becker auf einer Reihe von Bekennerbriefen gefunden worden sein. Auch das ist bislang nicht gerichtlich festgestellt worden. Drittens gibt es eine außerordentlich windige Aussage von einer Zeugin, die behauptet, sie hätte Frau Becker vor dem Anschlag auf Buback in Karlsruhe dabei beobachtet, wie sie Personen zugewinkt habe, bei denen es sich um RAF-Mitglieder gehandelt haben soll. Diese Geschichte ist so dünn, daß ich sie eigentlich nicht gelten lassen möchte. Sie ist bisher auch noch nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Letztlich gibt es private Aufzeichnungen Verena Beckers, die von der Bundesanwaltschaft als Bekenntnis zur Teilnahme an dem Anschlag gelesen werden. Das ist eine willkürliche Auslegung dieser Notizen.

Der Vorsitzende Richter Hermann Wieland ist gegenüber Brigitte Mohnhaupt, die sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen hat, bereits zu einem Urteil gekommen: Die Zeugin habe "kein Gewissen und keine Moral".

Ein Urteil über Frau Mohnhaupt zu sprechen, steht dem Richter nicht zu. Sie war als Zeugin vorgeladen. Ich finde diese Bemerkung außerordentlich unangebracht und unsachlich. Das habe ich bereits in der Hauptverhandlung beanstandet. Niemand ist verpflichtet, sich durch eine Zeugenaussage selbst zu belasten: Das ist ein der Zeugin durch einen Beschluß des Bundesgerichtshofs eingeräumtes Recht, und es korrespondiert mit einem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch. Deshalb ist diese Bemerkung in jeder Hinsicht deplaziert gewesen und gibt in gewissem Umfang Auskunft über eine Meinungsbildung, die auf seiten des Vorsitzenden schon stattgefunden hat.

Also haben Sie einen Antrag wegen Befangenheit des Vorsitzenden Richters gestellt?

Nein, einen solchen Antrag haben wir nicht gestellt. Das drängt sich auch nicht auf.

Warum nicht?

Es handelt sich ja nicht um eine Bemerkung, die unsere Mandantin direkt betrifft. Paragraph 55 der Strafprozeßordnung, der hier in Rede steht, ist kein Recht zum Schutz des oder der Angeklagten, sondern dient ausschließlich dem Schutz der Zeugen. Infolgedessen kann eine Angeklagte aus diesem Umstand nichts ableiten. Um es deutlich zu sagen: Wir haben uns nicht aus Hasenfüßigkeit gegen einen Antrag auf Befangenheit entschieden, sondern weil es rechtlich nicht geboten ist.

Offensichtlich jedoch ist diese Aussage des Vorsitzenden Richters kein Einzelfall. Wieland fühlte sich beispielsweise auch berufen, Brigitte Mohnhaupt zu predigen, sie werde sich im Jenseits für ihre Taten zu verantworten haben.

Ja, dazu muß man wissen, daß er der CDU angehört, da ist der Hinweis auf das Jenseits naheliegend. Er hat auch anderen Zeugen und Zeuginnen gegenüber solche Äußerungen gemacht. Ich glaube, man ist gut beraten, das so zu verstehen: Dieser Richter und wahrscheinlich der ganze Senat wollen, nachdem im Hinblick auf den Anschlag auf Buback sehr unterschiedliche Versionen kursieren, Licht in das Dunkel bringen. Dabei kommt dem Gericht gelegentlich das Bewußtsein dafür abhanden, daß den Aufklärungsmöglichkeiten rechtliche Grenzen gezogen sind. Es scheint dem Gericht manchmal sehr schwer zu fallen, dies zu akzeptieren.

Bei Siegfried Haag und Roland Mayer ging Wieland einen Schritt weiter: Gegen beide Zeugen wurde Beugehaft verhängt. Das Gericht sprach ihnen ihr Aussageverweigerungsrecht ab, weil sie keine Strafverfolgung mehr befürchten müßten. Ist dem so?

Meiner Meinung nach ist das nicht so, aber ich habe das nicht zu entscheiden. Darüber hat der Bundesgerichtshof zu befinden. Es gibt sehr gute Gründe, die Entscheidung des Oberlandesgerichts in Frage zu stellen, denn das Urteil, nach dem Haag und Mayer damals verurteilt worden sind, zeichnet sich, vorsichtig gesagt, durch gewisse Eigenwilligkeiten aus. Auch deshalb ist die Annahme eines Strafklageverbrauchs im Hinblick auf die konkreten Taten, die bei Haag gerade nicht zu einer Verurteilung geführt haben, sehr zweifelhaft.

Das Innenministerium verweigert weiterhin die Freigabe von verfahrensrelevanten Akten des Verfassungsschutzes. Wird sich der Konflikt zwischen der Bundesanwaltschaft und der Behörde zuspitzen?

Es gibt in dieser Sache klare Entscheidungen des Bundesinnenministeriums. Der Senat hat zuletzt versucht, noch einmal eine Entscheidung des Bundeskabinetts herbeizuführen. Das ist seitens des Innenministers abgelehnt worden. Ich denke, die Sache ist gelaufen.

Als Nebenkläger tritt im Verfahren unter anderem Michael Buback auf. Können Sie etwas zu seiner Rolle im Prozeß und in der den Prozeß begleitenden Öffentlichkeit sagen?

Man kann schon sagen, daß es gewisse Anzeichen eines nicht immer nur von Sachlichkeit getragenen Prozeßverhaltens von Professor Buback gibt. Dafür ist die Geschichte mit dem Tat-Motorrad ein gutes Beispiel: Herr Buback präsentierte es recht theatralisch erst im Prozeß, obwohl er augenscheinlich schon seit einigen Monaten Kenntnis vom Vorhandensein dieses Beweismittels hatte und es nicht für nötig hielt, die Ermittlungsbehörden darüber zu informieren. Er wollte offensichtlich das Forum des Gerichts für diese Art der Inszenierung nutzen. Aus meiner Sicht ist das ein unsachliches Verhalten. Es gibt darüber hinaus Anhaltspunkte dafür, daß Herr Buback die Ergebnisse der Beweisaufnahme auf eine äußerst eigentümliche Weise interpretiert. Daß die Vernehmung von Zeugen längst gewisse Sachverhalte erwiesen hat, hindert ihn nicht daran, immer wieder das Gegenteil zu verbreiten. Das gereicht ihm meiner Meinung nach nicht zum Vorteil.

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Literatur Konkret Nr. 36