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36 Jahre Konkret CD

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Heft 05 2007

Mathias Wedel

Drinlassen

Der Versuch, Hitler auszubürgern

Geschätzt 4.000 Städte und Dörfer haben Adolf Hitler zum Ehrenbürger. An jedem Führergeburtstag mußten ein paar dazukommen. Das war Nazialltag, wie anderes Brimborium - zumindest würde das erklären, warum sich keiner daran erinnert. In vielen Kommunen wird man noch gar nicht nachgeschaut haben, ob der Hitler in den Büchern steht. Woanders ist die Kladde samt Goldaufdruck und Stadtwappen verbrannt, verschwunden, von den Russen geklaut, oder jemand hat sie unterm Bett versteckt. Selten wird die Ehrenbürgerschaft des Hitler virulent, wie jetzt in Bad Doberan, der Kreisstadt, in der sich im Juni acht Führer treffen, und "der Führer" wäre beinahe Gastgeber gewesen, vertreten von Frau Merkel.

Da hat der Vorschlag Isolde Saalmanns etwas Befreiendes. Sie ist SPD-Abgeordnete in Niedersachsen und aus Braunschweig, wo Hitler per Einbürgerung zu den Deutschen kam. Sie will ihn loswerden. Wer will das nicht? Von einigen Leuten, die gern alte Wunden aufreißen, den Führer nicht leiden, aber von ihm auch nicht lassen können, einmal abgesehen, machen die Deutschen seit Jahrzehnten nichts anderes, als ihren Führer loszuwerden. Und mit jedem Jahr ist das besser gelungen (Papst, Fußball, Knut und "Darf man über Hitler lachen?"!). Mental ist er bereits ausgebürgert. Es gibt schon "Essays" darüber, wie es gar nicht mehr auffällt, daß unser Führer nicht mehr unter uns weilt und wie wir schlecht und recht ohne ihn

verkommen. Es wäre wirklich nur noch ein Verwaltungsakt, dann hätten wir ihn weg und Auschwitz läge in Polen.

Es geht aber wegen Wolf Biermann nicht. Das hat keiner der zahlreichen Anrufer und E-Mail-Schreiber bedacht, die Frau Saalmann täglich, seit sie die Verbringung des Hitler aus der Staatsbürgerschaft beantragte, erreichen. An unserem Freund Biermann sieht man, daß ein Gemeinwesen, das mit der Ausbürgerei anfängt, verletzlich ist, ja rasant auf sein Ende zusteuert. Es finden sich nämlich immer Leute, die dann Petitionen an Kurt Hager schreiben und die ganze Sache als Vorwand nehmen, medienwirksam in Länder zu emigrieren, wo die Steuern niedrig sind. Gewiß, Hitler hat viel schlechter gesungen, vielleicht findet er nicht so viele Anhänger. Und schon, weil er tot ist, kann er nicht am Abend nach seiner heimtückischen Ausbürgerung in einer Pariser Vorstadt ein Konzert bei der CGT geben und in die Gitarre weinen. Doch wer weiß, wer das für ihn übernimmt? Erst der Biermann, dann der Hitler, dann womöglich der Handke oder Hoyzer - das ist doch keine Lösung. Und wohin sollten wir ihn denn, wenn auch posthum, wenn auch "nur" symbolisch, abschieben? Soll die Kanzlerin zu ihrem Kollegen Schüssel sagen: Wir geben ihn euch zurück, paßt das nächste Mal besser auf das Buberl auf? Ehe wir uns versehen, wird er Ehrenbürger in der Reichshauptstadt und kriegt ein fein geharktes Grab auf dem Dortheenstädtischen zwischen Brecht und Rau.

Drum gilt das, was man schon Honecker hätte raten sollen: Laßt ihn drinnen, da kann er nicht entrinnen.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36