Freitag, 26. April 2024
   
Startseite Konkret Hefte Konkret Texte Sonderhefte Konsum Online Konkret Verlag

Das aktuelle Heft



Aboprämie



Studenten-Abo



Streetwear



36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 02 2007

Jan Gerber

Die Stimme des Ostens

Porträt des Schauspielers, Regisseurs und Stammtischsozialisten Peter Sodann.

Freunde der Fernsehserie "Tatort" können aufatmen. Der einzige Kommissar, der auch ausgewiesene Fans der Krimireihe gelegentlich an ihrer sonntäglichen Abendbeschäftigung zweifeln ließ, soll ab November 2007 keinen Fall mehr lösen. Hauptkommissar Bruno Ehrlicher, gespielt von Peter Sodann, wird vom MDR in den Ruhestand geschickt.

Mit Ehrlicher verschwinden die nörgelnde Besserwisserei, die bräsige Pfiffigkeit und die humorlose Provinzialität, die nicht nur den Programmgestaltern des MDR lange Zeit als chic galten - der Ehrlicher des Südwestfunks hieß Bienzle -, vorerst vom Programmplatz. Für Sodann, der diese Eigenschaften noch mit einer ostzonalen Note versah, war der Kommissar weitaus mehr als eine Rolle. Er war nicht nur für den Namen seiner Figur verantwortlich. Wie auch in seinen anderen Rollen hat er im "Tatort" vor allem sich selbst gespielt.

Sowohl als öffentliche Person wie auch als Fernsehkommissar verkörperte und verkörpert die "Stimme des Ostens", wie Sodann gelegentlich genannt wird, wofür auch sein langjähriger Arbeitgeber MDR steht: In beiden verschmelzen Schunkelstimmung mit Weinerlichkeit, DDR-Nostalgie mit dem Charme einer CSU-Ortsgruppensitzung und das Gefühl, von allen nur "belogen und betrogen" zu werden, mit dem Verfolgungsbedürfnis gegen alle, die die heile Welt von "Achims Hitparade", "Riverboat" und der "Wernesgrüner Musikantenscheune" stören. Der Mann gilt dementsprechend als "unbequem", als "Querdenker" und als "Provokateur".

Sein Weltbild hat er in dem Buch "Mai-Reden und andere Provokationen" zusammengefaßt. Es versammelt die Ansprachen, die er bei den Maiumzügen des Neuen Theaters in Halle, in dem er von 1981 bis 2005 Intendant war, gehalten hat. In ihnen präsentiert er sich als moralischer Antikapitalist, der das Elend der Welt auf fehlende Umverteilung, geldgierige Politiker und den Verlust von "Ehre und Gewissen" zurückführt. Er beschwert sich über die "Schacherdemokratie" und Diätenerhöhungen, behauptet, die "neuen Verhältnisse" würden den Menschen "die Seele zerstören", und erklärt: "Die Armen werden ärmer, die Reichen immer reicher, die gute alte Mutter Erde geht zum Teufel, und die Politiker beschäftigen sich mit sich selbst oder mit dem nächsten Wahlkampf."

Diesen Stammtischsozialismus machte Sodann auch zur Grundlage seiner Intendantentätigkeit. Unter seiner Leitung wurde das Neue Theater in Halle zum "intellektuellen Volkstheater" (Sodann) ausgebaut, das Schillers großartiges Sturm-und-Drang-Stück "Die Räuber" im Stile des Ohnsorg-Theaters aufführte. Mit unzähligen Nostalgieshows, Heimatstücken und Volksschwänken kultivierte Sodanns Theater ein Gefühl, das in den postindustriellen "wastelands" des Ostens stark verbreitet zu sein scheint: Früher war alles besser!

In einer Revue über die fünfziger Jahre ließ er den Mief der Adenauer- und Ulbricht-Ära hochleben; in einer Zwanziger-Jahre-Show wurden Ufa-Schlager, die bereits einen Vorschein auf den Nationalsozialismus boten, geträllert; und in einer "Wende-Revue" durften die tapferen und geknechteten Massen, die ihren Humor trotz Stasiterror und Bananenmangel nicht verloren hatten, noch einmal gegen die SED-Bonzen protestieren. Ihr Sieg war allerdings nur von kurzer Dauer. Kurz nach dem symbolischen Abriß der Mauer ließen Sodann und seine Co-Regisseure einen neuen Herrn auf die Bühne spazieren: Eine Horde "Wessis" fiel in den Osten ein und machte alte Eigentumsansprüche geltend.

Neben dieser Fortführung des MDR mit anderen Mitteln versuchte sich Sodann als Lokalpolitiker. 2001 gründete er gemeinsam mit Christoph Bergner (CDU), dem ehemaligen Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, die Initiative "Halle gegen Graffiti". Mit dieser Initiative wollten die Gründer nach eigener Aussage "eine Art Volksbewegung gegen den Spraydosenvandalismus" ins Leben rufen. Die Initiative setzte Kopfgeld auf Sprayer aus und rief mit Waschzwangrhetorik dazu auf, gegen die "gemalten Alpträume" und "krakenhaften Formphantasien", die "fratzenhaft ganze Wohnhauswände" bedecken, vorzugehen.

Höhepunkt ihres Engagements war eine Ausstellung im Neuen Theater, mit der verdeutlicht werden sollte, daß Graffiti keine Kunst seien. Das heimliche Vorbild dieser Schau, so kritisierte der Antifa-Arbeitskreis des örtlichen Studierendenrates, sei die Ausstellung "Entartete Kunst" gewesen, mit der die Nazis 1936 all diejenigen als kulturlos denunzieren wollten, die sich der braunen Brauhaus-, Fitneß- und Postkartenkunst verweigerten. Auch Sodann fühlte sich in diesem Zusammenhang an den Nationalsozialismus erinnert - allerdings in Form einer klassischen Verschiebungsleistung: Graffiti, so erklärte er gegenüber einer Lokalzeitung, seien Ausdruck des "gewöhnlichen Faschismus".

Sodann wird jedoch nicht nur durch Graffiti an den Faschismus erinnert. Gemeinsam mit Konstantin Wecker, dem PDS-Barden Diether Dehm und Rolf Hochhuth war er auf einer CD vertreten, die zum sechzigsten Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus veröffentlicht wurde. Der Titel: "Befreit! Lieder und Texte nach dem 8. Mai". Den Beteiligten war allerdings weder an einer Danksagung an die Alliierten noch an einer Kritik der Volksgemeinschaft gelegen. Bereits auf dem Cover der CD wurde ein Bogen vom "Dritten Reich" zu den Vereinigten Staaten gespannt; Konstantin Wecker erklärte in seinem Begleittext, daß das "Kriegsgeschrei der Nazis" in der aktuellen Politik der USA einen "vielstimmigen Widerhall" gefunden habe, und auch Peter Sodann fiel aus Anlaß des Tages der Befreiung nichts anderes ein, als den Herausgebern der CD seine Rede gegen den Irakkrieg zur Verfügung zu stellen und zu erklären, daß Krieg immer ein Verbrechen sei.

Mit diesem gesunden Volksempfinden qualifizierte Sodann sich schließlich für die Partei, deren Anhänger der DDR vor allem den Abschnittsbevollmächtigten, den Hausbuchführer, das Betriebsvergnügen und die Kopfnoten auf den Zeugnissen - Betragen, Ordnung, Fleiß - zugute halten. Bei einer Pressekonferenz im Juli 2005 kündigte er im Beisein von Oskar Lafontaine und Lothar Bisky an, bei den nächsten Bundestagswahlen für die Linkspartei/PDS kandidieren zu wollen. Nur der ARD war es zu verdanken, daß Sodann nicht auch noch im Bundestag zu sehen ist. Internen Richtlinien des Senders zufolge dürfen Schauspieler, die zu einer Wahl antreten, sechs Wochen vor der Wahl nicht mehr auf den Bildschirm. Darüber hinaus, so erklärten Vertreter der Rundfunkanstalt, dürften Bewerber um ein Mandat und Mandatsträger im Programm nicht mehr als "gestaltende Personen" (Moderatoren usw.) auftreten. Sodann zog seine Bereitschaft zur Kandidatur aus diesem Grund zurück und ließ wissen, daß er nun doch lieber ein "politischer Schauspieler als ein schauspielernder Politiker" sein wolle.

Die PDS witterte eine Verschwörung: Cornelia Ernst, sächsische Landesvorsitzende der Partei, behauptete, der Sender habe Sodann unter Druck gesetzt; Wahlkampfleiter Bodo Ramelow erklärte, es sei ein "faktisches Berufsverbot" gegen den Schauspieler ausgesprochen worden. Wer sich in Deutschland "für links entscheidet", habe mit solchen Erfahrungen - Berufsverbot, Ausgrenzung und Ächtung - zu rechnen.

Zumindest im Hinblick auf Sodann kann von Ausgrenzung und Ächtung nicht die Rede sein. Der Schauspieler ist nicht nur Ehrenbürger der Stadt Halle, Preisträger des "Verbandes der deutschen Kritiker", "Ehrenkommissar" der Sächsischen Polizei, der Sächsischen Polizeigewerkschaft und der Polizeidirektion Halle. Zu seinem 65. Geburtstag verlieh ihm der Bundespräsident auch noch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Als die Stadtverwaltung Halle 2005 schließlich doch noch Geschmack bewies und Sodanns Intendantenzeit nicht über das Jahr 2005 hinaus verlängerte - der Kulturdezernent erklärte, er wünsche sich mehr "moderne, internationale Dramatik" am Neuen Theater -, wurden die Regionalzeitungen mit Leserbriefen überschwemmt, Mitglieder einer Bürgerinitiative sammelten Unterschriften gegen die Kündigung, und ein großes Kaufhaus schmückte seine Fassade mit einem riesigen Transparent, auf dem das Gesicht Sodanns und die Aufschrift "Peter, wir danken dir!" zu sehen waren.

Jan Gerber ist Politik- und Medienwissenschaftler und wohnt in Halle

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36